Friedbert Meurer: Matt Thorne, wir sitzen hier zusammen im "Shakespeare"-Pub an der Victoria Station in London. Erinnern Sie sich noch, wo Sie genau waren, als die Nachricht vor einem Jahr kam: Prince ist tot?
Matt Thorne: Ja, eine Radiostation rief mich an, ob ich dazu etwas sagen könnte. Es kam für mich völlig überraschend. Ich gab Radio- und TV-Sendern Interviews, in den USA, Kanada und Australien, 24 Stunden am Stück ging das so. Ich hatte keine Zeit, das zu verarbeiten. Ich hatte sieben Jahre damit verbracht, das Buch über ihn zu schreiben. Ich hatte schon das Gefühl eines Verlusts.
"Eine Aura des Geheimnisvollen"
Meurer: Prince gab nur sehr selten Interviews. Er mochte Journalisten nicht besonders. Hatten Sie versucht, ein Interview mit ihm zu bekommen?
Thorne: Ich habe an die Produktionsfirma von Prince geschrieben und hatte Sorge, dass ich eine Unterlassungserklärung bekäme. Wenn er mir gesagt hätte, ich soll das Buch nicht schreiben, ich hätte es sofort gestoppt. Stattdessen aber lud mich Prince in sein Haus nach Los Angeles ein. Flug, Hotel, ein Fahrer holte mich ab und fuhr mich zu seiner Villa. Er fing dann an, für mich und die ganzen Promis mit seiner Gitarre zu spielen. Ich habe nicht auf ein Interview gedrängt, denn er sagte immer nur dasselbe. Überhaupt redete er nicht so viel, also war das kein großer Verlust für mich.
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Meurer: Prince versuchte, sein Privatleben abzuschirmen. Er blieb mysteriös. Was haben Sie über seine Persönlichkeit herausgefunden?
Thorne: Er war ein sehr professioneller Musiker und ein Workaholic. Er war scheu, ja. Er wollte die bestmöglichen Arbeitsmöglichkeiten und seine Musik verwerten. Eine Aura des Geheimnisvollen war da hilfreich. Und dann die ganze sexuelle Aufladung. Sie können da auch fragen: War Bob Dylan sexbesessen? War Elvis Presley besessen vom Sex? Prince war ein Unterhaltungskünstler und die wichtigsten Themen der Unterhaltungsmusik sind Liebe und Sex. Was ihn so interessant machte, das war, dass er auch eine religiöse Persönlichkeit war. Es gibt da eine starke christliche Ader in seiner ganzen Karriere, die mit der sexuellen Direktheit seiner Texte kontrastiert.
Jazz in Clubs nach den Stadionshows
Meurer: In den 80er-Jahren lautete die Frage: Bist du Prince-Fan oder Michael-Jackson-Fan? Worin liegt der Unterschied zwischen den beiden Künstlern? Ist Michael Jackson der Top-Pop-Superstar und bei Prince sind Texte und Musik etwas anspruchsvoller?
Thorne: Ich denke, ja. Ich bin kein großer Fan von Michael Jackson und ich kenne auch nicht viele Leute, die Prince mögen und gleichzeitig auf Michael Jackson stehen. Michael Jackson war darauf bedacht, etwas Festes und Statisches zu kreieren. Er probte seine Stücke immer und immer wieder. Deswegen liebe ich die Live-Performance von Prince. Jede war anders. Und nur Prince hat nach einer Stadiontour nachts noch in einem kleinen Club weitergespielt für 200 oder 300 Leute für drei oder vier Stunden. Er spielte da Stücke, die er nicht im Stadion spielte. Seine Popkarriere ist nur ein kleiner Teil seines unglaublichen Werks. Michael Jacksons Werk ist vergleichsweise klein und auf Hochglanz poliert. Das ist schon brillant, aber nichts für mich.
Meurer: Dafür ist Prince ja berühmt, dass er tief nachts noch in kleinen Clubs auftrat, nachdem er zuvor große Auftritte in riesigen Stadien hatte. Warum hat er das gemacht?
Thorne: Das war wichtig für ihn. Er spielte im Stadion, um viel Geld zu verdienen und um kulturell bedeutend zu sein. Als Musiker fühlte er sich zu den Aftershow-Clubs hingezogen, um mehr experimentelle Musik zu spielen. Er spielte da nicht nur Pop-Musik, sondern auch 20 Minuten lang Jazz. Große Teile seiner Kunst bestehen aus den Aftershow-Auftritten, mehr als in den Hauptshows.
"'Purple Rain' ist etwas Ungewöhnliches, Surreales"
Meurer: Der berühmteste Song von Prince ist sicher "Purple Rain". Das Album gilt als der Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens. Was ist eigentlich die genaue Bedeutung von "Purple Rain"?
Thorne: Man kann das nicht genau sagen, so wie manche das genau festlegen wollen. Es handelt sich um zwei Kräfte, die gemeinsam wirken: Der Regen, den wir alle kennen, und die Farbe Violett. "Purple Rain" ist etwas Ungewöhnliches, Surreales, etwas, das man nicht erwartet. In unserem Kopf entstehen Assoziationen. Die Undefinierbarkeit ist offensichtlich und das macht es so interessant.
Meurer: In dem Film "Purple Rain" geht es auch um die Liebe des jungen Musikers Kid zu der Sängerin Apollonia. Er behandelt sie schlecht, er schlägt sie, kümmert sich nicht um sie. Ist diese Art von Affäre typisch für sein Verhältnis zu Frauen?
Thorne: Als er auf MTV danach gefragt wurde, wies er zum einen darauf hin, dass er ja gar nicht selbst das Drehbuch geschrieben hat. Er war bestürzt darüber, dass er frauenfeindlich sein soll. Die Ehe seiner Eltern war sehr schwierig. Die Darstellung ist psychologisch akkurat, wie jemand aus zerrüttetem Elternhaus sich in der Liebe verhalten kann. In seinen anderen Filmen "Under the Cherry Moon" und "Graffiti Bridge" geht es aber um andere Liebesbeziehungen. Es ist also so, als würden Sie auf Clint Eastwood zeigen und unterstellen, er hat sich immer so und so verhalten. Nein, Prince hat einfach nur eine Rolle gespielt.
Von "Dirty Mind" zu den Zeugen Jehovas
Meurer: Als Prince älter wurde, schloss er sich den Zeugen Jehovas an. Es ist ein ziemlicher weiter Weg von einem Album "Dirty Mind", "schmutzige Phantasie", zu der Strenge der Zeugen Jehovas. Warum ist er in diese christliche Gruppe eingetreten?
Thorne: Er war von Beginn seines Lebens an auf der Suche. Er hatte schon immer gesagt, dass er Gott liebt, und hat auch auf der Bühne über Gott geredet. Was sich mit seiner Mitgliedschaft bei den Zeugen Jehovas veränderte, war, dass er auf der Bühne aufhörte zu fluchen. Das war ein kreativer Verlust, meine ich, einfach schade. Er spielte bestimmte Songs nicht mehr.
Meurer: Interessierte sich Prince für Politik und stimmt es wirklich, dass er Donald Trump als Präsidentschaftskandidat unterstützt hat?
Thorne: Prince interessierte sich für Politik und schrieb auch einige politische Songs, "Ronnie Talk to Russia" zum Beispiel, "Ronnie, rede mit Russland", ein Appell an Ronald Reagan in den frühen 80er-Jahren. Er schrieb für die Band "The Time" den Titel "Donald Trump (Black Version)". Das war, als man Trump als Geschäftsmann kannte. Prince wollte Schwarze inspirieren, so erfolgreich wie Donald Trump zu sein. Später während des Wahlkampfs redete Prince auf der Bühne darüber und machte Witze. Er hat sich nicht als Unterstützer Trumps geoutet und ich bezweifele sehr, dass er Trump gewählt hätte. Er fand ihn polarisierend und das hasste er. Also, Prince hat da über eine andere Person gesungen.
"Es gibt Hunderte von unveröffentlichten Alben"
Meurer: Vor einem Jahr starb Prince in seinem berühmten Paisley Park Studio in Minnesota. Es wurde zu einem Museum mit öffentlichen Führungen für seine Fans. Fürchten Sie, das könnte zu einer Art Disneyland werden?
Thorne: Das ist nicht mein Hauptaugenmerk. Ich kann verstehen, warum das gemacht wurde. Es ist eine Einnahmequelle. Ich glaube, Prince wollte das so. Paisley Park ist so entworfen, dass es sich als Museum eignet, in dem viele wichtige Dinge gesammelt werden. Für mich ist aber die Musik wichtiger, die noch nicht veröffentlicht wurde. Darum mache ich mir Gedanken - um die Videos und alles, was im Tresor liegt. Ich kann aber schon verstehen, dass es eine Stätte ist, um als Fan hinzupilgern. Ich halte das nicht für unfein oder schlecht.
Meurer: Prince wurde als Erneuerer gefeiert, als kreativer Geist und Genie. In diesem Tresor im Keller des Paisley Parks liegen die ganzen Mitschnitte, Kopien, Bänder seiner Songs, die nie aufgeführt wurden und die keiner jemals gehört hat. Liegt in diesem Tresor das Vermächtnis von Prince?
Thorne: Das Material liegt da nicht mehr, denn die Anwälte und die Leute, die das Anwesen kontrollieren, haben alles weggebracht und aufgeteilt. Ich glaube, sie haben ein Loch durch die Wand gebohrt und alle Aufnahmen herausgeholt. Aber Prince selbst hat gesagt, es gibt mehr als einen Tresor. Ich weiß nicht, wo die sind. Bislang wurden die Songs nur ganz behutsam und vereinzelt veröffentlicht. Es gibt aber Hunderte von unveröffentlichten Alben. Das ist der natürliche Konflikt zwischen den Archivaren und dem Künstler. Die Künstler mögen nicht unbedingt ihre alten Werke. Sie halten das nächste immer für bedeutsamer. Aber Prince' Outtakes, nicht verwendetes Material, sind interessant, auch seine Fehler oder was für ihn nur Abschnitte waren. Das fasziniert natürlich jemanden, der über seine Karriere ein Buch schreibt.
Meurer: Matt Thorne, vielen Dank für das Gespräch.
Thorne: Sehr gerne. Nett, Sie kennenzulernen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Matt Thorne "Prince: Die Biografie"
Edel Books, 784 Seiten, 29,95 Euro
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