Auf der Suche nach dem Ersten Amerikaner ging Ted Goebel nach Sibirien. In Kamtschatka, am Nordostende des asiatischen Kontinents, begann der Archäologe von der Universität Reno mit Ausgrabungen. In der Wissenschaft war man nämlich überzeugt: Dort, zwischen den Pinien und Birken der Tundra, liegen die ältesten Siedlungen, aus denen Menschen in der Steinzeit nach Amerika aufgebrochen sind. Sie waren Jäger und Sammler und lebten in kleinen runden Hütten aus Holz und Erde, die halb in den Boden eingegraben waren, mit einer Feuerstelle in der Mitte. Solche Feuerstellen sind ein idealer Fund für einen Archäologen:
Wir haben Holzkohle exakt aus der Herdstelle, aus dem Feuer gefunden. Und wir konnten direkt die Zeitpunkt datieren, an dem in diesen Hütten Feuer brannten.
Holzkohle, auch wenn sie seit der Steinzeit im sibirischen Boden gelegen hat, lässt sich nämlich mit der C-14-Methode gut datieren. Steinwerkzeuge der frühen Menschen hingegen eignen sich nicht: Man braucht eben Kohle-Spuren, wenn man über den Zerfall des Kohlenstoff-Atoms 14 das Alter eines archäologischen Fundstücks ermitteln will. Was das Team von Professor Goebel in der Holzkohle aus Ushki gemessen hat, brachte ein wohletabliertes Lehrgebäude ins Wanken:
Zwar haben russische Archäologen die Fundstelle Ushki vor vielen Jahren auf ein Alter von etwa 14.000 Jahren vor heute datiert. Aber wir haben gefunden, dass sie nur gut 11.000 Jahre alt ist, also rund 3000 Jahre jünger, als man dachte. Viele Archäologen haben Ushki für die älteste Fundstelle auf der Landbrücke zwischen Sibirien und Alaska gehalten – und das gilt jetzt nicht mehr. Diese Region wurde nicht vor 14.000 Jahren von Menschen besiedelt, sondern erst vor knapp 12.000 Jahren.
Daraus folgt: Erst vor knapp 12.000 Jahren sind Menschen aus Sibirien nach Alaska hinübergewandert. Und damit ist kaum vorstellbar, dass sie Vorfahren der ersten Amerikaner waren: Die frühen amerikanischen Kulturen, insbesondere die Mammutjäger aus New Mexiko, sind nämlich nur 400 Jahre jünger. Dass die sibirischen "Einwanderer" in 400 Jahren Tausende Kilometer nach Süden gezogen sind, scheint heute zwar leicht denkbar. Doch bei den Jäger-Gruppen der Steinzeit, die den Fährte der Mammuts folgten, halten Wissenschaftler es für sehr unwahrscheinlich. Die Sache kam ins Rollen, weil Forscher die alten C-14-Daten der russischen Kollegen schon seit längerem in Zweifel gezogen hatten. Diese Resultate passten nicht ins Gesamtbild der Funde, sie waren auch nie abschließend wissenschaftlich publiziert worden. Ted Goebel glaubt jetzt, dass die Holzkohle-Proben damals durch fremdes Material verunreinigt worden sind. Mit seiner neuen Datierung ist die direkte Verbindungslinie zwischen sibirischen und amerikanischen Steinzeit-Kulturen nun zerschnitten. Den Archäologen bleiben keinerlei Hinweise auf die Vorfahren der frühen Amerikaner mehr.
Es wirft ein grundlegendes Problem auf, über das andere amerikanische Archäologen schon länger diskutieren: Nämlich ob wir überhaupt an der richtigen Stelle suchen! Wäre es möglich, dass die Vorfahren der ersten Amerikaner aus Europa kamen, aus Australien oder Ostasien statt aus Sibirien?
Die Siedler müssten dann mit einfachen Booten quer über den Atlantik oder den Pazifik gesegelt sein. Ted Goebel kann nicht so recht daran glauben, doch manche seiner Kollegen halten es für möglich. Aber vielleicht liegen auch nicht genug Funde aus Amerika selbst vor, und die Archäologen müssen jetzt dort nach weiteren Spuren der Steinzeit suchen statt zwischen den Pinien und Birken der sibirischen Tundra.