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Neue Richtlinie für Geschäftsgeheimnisse
"Maulkorb" für Arbeitnehmer und Journalisten

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich gegen die Verabschiedung der EU-Richtlinie zur Erweiterung des Begriffs Geschäftsgeheimnisse ausgesprochen. Unternehmen dürften nicht "alles nach eigenem Belieben unter Geheimschutz stellen", kritisierte die DGB-Rechtsexpertin Marta Böning im DLF und verwies dabei auf große Risiken für Arbeitnehmer und Journalisten.

Marta Böning im Gespräch mit Jule Reimer |
    Zwei junge Frauen tauschen Geheimnisse aus.
    Die neue Regelung des EU-Parlaments zu Geschäftsgeheimnissen stellt für Arbeitnehmer laut DGB ein großes Risiko da. Wer Informationen nach außen trägt, die als "Geschäftsgeheimnis" gelten, kann auf Schadensersatz verklagt werden. (imago / McPHOTO / Baumann)
    Jule Reimer: Gleich steht die Abstimmung der EU-Parlamentarier über die EU-Richtlinie zur Erweiterung des Begriffs Geschäftsgeheimnisse bevor. In Berlin bin ich mit Marta Böning verbunden, Rechtsexpertin beim Deutschen Gewerkschaftsbund. Der DGB ist gegen die Verabschiedung der Richtlinie in der aktuellen Form. Warum?
    Marta Böning: Wir haben kein Problem damit, dass Unternehmen ihr wertvolles Know-how schützen wollen vor Wirtschaftsspionage. Wir haben aber sehr wohl ein Problem damit, dass Unternehmen alles nach eigenem Belieben unter Geheimschutz stellen können, dass sie im Grunde jede Information, von der sie nicht wollen, dass sie nach außen sickert, zum Geschäftsgeheimnis erklären und damit sowohl den Arbeitnehmern als auch eventuell den Journalisten einen Maulkorb aufsetzen.
    Reimer: Diese Beliebigkeit erlaubt die Richtlinie. Das heißt, es ist nicht ordentlich definiert?
    Böning: Das ist richtig. Wir haben die Aussagen aus dem Europäischen Parlament gehört. Die Richtlinie enthält eine Definition des Geschäftsgeheimnisses, welches ausschließlich auf Kriterien gestützt ist, die das Unternehmen beliebig definieren kann beziehungsweise beliebig bestimmen kann, sodass jedes Unternehmen nach eigener Vorstellung eine Information zum Geschäftsgeheimnis erklären kann.
    Reimer: Wenn aber doch gleichzeitig in der Richtlinie drinsteht, alle, die im öffentlichen Interesse handeln, sind nicht betroffen, woher kommt der Widerspruch?
    Böning: So steht das in der Richtlinie nicht drin. In der Richtlinie steht als eine der Ausnahmen im Artikel fünf drin, dass die Gerichte die Maßnahmen und Verfahren ablehnen können, die der Geschäftsgeheimnisinhaber geltend macht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Das bedeutet aber für denjenigen, der eine Information nach außen trägt als Geschäftsgeheimnis in diesem sehr weiten Sinne erst mal, dass er verklagt werden kann. Erst im zweiten Schritt trägt er oder sie die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er nämlich zur Aufdeckung einer Straftat gehandelt hat, dass er nämlich zum Schutz des öffentlichen Interesses gehandelt hat. Gelingt ihm das nicht, dann ist er natürlich voll in der Haftung drin.
    Reimer: Sie weisen auch darauf hin, dass es möglicherweise beim ganz normalen Arbeitsplatzwechsel auch Probleme geben kann. Jetzt formuliert die Richtlinie: Erfahrungen und Fähigkeiten, die Beschäftigte im Zuge der Ausübung ihrer üblichen Tätigkeiten auf ehrliche Weise erworben haben, gelten nicht als Geschäftsgeheimnisse. Sind da trotzdem Fallstricke?
    Böning: Sie haben diese Informationen aus den Erwägungsgründen. Ist das richtig?
    Reimer: Ja.
    Unternehmen könnten Arbeitnehmer verklagen
    Böning: Erwägungsgründe sind politische Vorgaben oder Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten, die bei der Umsetzung einer Richtlinie eingehalten werden können oder berücksichtigt werden können, aber nicht müssen. Das was die Richtlinie in ihrem Regelungstext vorsieht, also in den Artikeln, da ist nicht davon die Rede, dass Informationen oder Know-how, die im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses erworben wurden, automatisch aus dem Begriff oder aus der Definition des Geschäftsgeheimnisses herausgenommen worden sind.
    In Artikel eins der Richtlinie, wo es um die Zielsetzung geht, heißt es auch, die Mobilität der Arbeitnehmer soll nicht beschränkt werden. Aber wieder: Das ist nur eine Zielsetzung. Die Mitgliedsstaaten haben sich im Grunde danach zu richten. Wie es aber am Ende in Deutschland umgesetzt wird, entscheidet sich vor allem anhand der Frage, wie definiert die Richtlinie den Begriff des Geschäftsgeheimnisses.
    Reimer: Dann sagen Sie mal praktisch, was daraus resultieren kann für einen Arbeitnehmer?
    Böning: Das bedeutet praktisch für einen Arbeitnehmer, der in seinem Arbeitsvertrag folgende Klausel sinngemäß drin hat, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse dürfen nicht nach außen getragen werden, das bedeutet für den Beschäftigten, da das Unternehmen im Grunde alles zum Geschäftsgeheimnis erklären kann, ein großes Risiko: Womit darf ich überhaupt nach außen gehen? Was darf ich A nach außen erzählen?
    Wenn ich ein Unternehmen wechsle und bestimmte Kompetenzen mir angelernt habe in dem alten Unternehmen, sind diese Fähigkeiten und Kompetenzen nicht zufällig genau das, was hier gemeint ist, nämlich Geschäftsgeheimnis, und bedeutet das nicht für mich, sobald ich diese Fähigkeiten beim neuen Arbeitgeber einsetze, dass ich von dem alten belangt werde, auf Schadensersatz verklagt werde.
    Reimer: Sagen Sie noch mal ganz kurz, das ist nicht ganz Ihre Baustelle: Dieselgate - da hat ja ein privater Ingenieurs- und Verkehrswissenschaftler vor allem die Autos von VW in den USA einfach auf den Prüfstand gestellt. Könnte so was auch schwierig werden?
    Böning: Das ist in der Tat nicht ganz unsere Baustelle. Die Situation ist aber natürlich übertragbar, weil wie gesagt: Wenn ein Unternehmen bestimmte Informationen unter Geschäftsgeheimnisschutz stellt und den Arbeitnehmern ausdrücklich untersagt, diese Informationen dürfen nicht nach außen, dann läuft jede Person, die diese Information nach außen trägt, das hohe Risiko, dass sie hier verklagt wird.
    In Dieselgate ist die Information durch diese besagte NGO nach außen gesickert. Auch hier besteht natürlich die Gefahr, wenn sich die Vermutungen, die da aufgestellt wurden, nämlich dass es sich hier um eine rechtswidrige Situation handelt, nicht bestätigt hätten, obwohl alles darauf hingedeutet hätte, dass diese Menschen dann von VW verklagt worden wären.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.