Amazon hat seine User gerade wieder abstimmen lassen. Zwei neue Serienpiloten standen zum Abruf bereit, beide basierten auf einer Romanvorlage: "The Last Tycoon" gegen "The Interestings". F. Scott Fitzgerald gegen Meg Wolitzer. Ein nostalgisches Liebesdrama in Hollywood zu Zeiten der 1930-Jahre gegen eine Coming-of-Age-Geschichte mit vielen Zeitsprüngen zwischen 1974 und 1995.
(Doppel-)Trailer mit kurzen Einspielungen aus den erwähnten Serien:
Gerade fiel die Entscheidung: Weiter produziert wird "The Last Tycoon".
Bei Netflix ist unterdessen die Mysteryserie "Stranger Things" erschienen. Der Plot wie aus einem Stephen-King-Buch: In einer Kleinstadt verschwindet ein zwölfjähriger Junge. Bei der Suche nach ihm häufen sich Seltsamkeiten und übernatürliche Ereignisse.
Ausschnitt Trailer "Stranger Things":
"Stranger Things" ist extrem gut gemacht, extrem spannend, vielschichtig – "The Last Tyoon" dagegen ein mit Klischees, schablonenartigen Figuren und hölzernen Dialogen gespicktes Hochglanz-Wannabe. Amazon kokettiert ja immer wieder mit der Behauptung, dass User die Drehbuchvorlagen zu den Serien schreiben würden. Vielleicht ist auch das eine Erklärung für die zuletzt eher enttäuschenden Pilot-Sendungen.
Netflix hat die Nase vorne
Die beiden Beispiele zeigen den Trend im Vergleich zwischen Amazon und Netflix. Bei den Serien-Eigenproduktionen hat der weltweite Branchenführer Netflix mit 34 Originalserien – mehr als doppelt so viele wie Amazon mit derzeit 15 – die Nase weiter vorne. Amazon muss zahlenmäßig aufholen und tut das in rasantem Tempo, allerdings zulasten der Qualität.
Für die zweite Hälfte 2016 sind zahlreiche Neuerscheinungen angekündigt: Die vielversprechendesten sind nach erstem Eindruck "Z: The Beginning of Everything", ein kurzweiliges Bio-Pic zum Leben der berüchtigten Diva Zelda Fitzgerald (gespielt von Nicole Richie) und "Good Girls Revolt", ein journalistisches Emanzipationsdrama.
Ansonsten aber: viel Masse, wenig Klasse. Wobei man auch berücksichtigen muss, dass Amazon seine Kinderserien aufstockt, denn gerade dort liegt man im Angebot weit hinter Netflix zurück.
Die wohl mit größter Spannung erwartete Neuerscheinung im Spätherbst legt dagegen wieder Netflix vor: "The Crown", eine Historienserie über Queen Elizabeth II., hat das Potenzial zum nächsten großen Serienhit.
Ausschnitt Trailer "The Crown":
Ob sie die Krone mal ausleihen dürfe, fragt die 25-jährige Queen, als sie 1952 Königin von England wird. Zeilen wie diese versprechen viel. Drehbuchautor Peter Morgan hat bereits mit seinem oscarnominierten Filmskript zu "Die Queen" seine Expertise auf diesem Gebiet unter Beweis gestellt. Dazu scheut Netflix keine Kosten: 125 Millionen Euro kostet die erste Staffel von "The Crown". Im besten Fall kriegen die Fans eine Mischung aus den politischen Intrigen von "House of Cards" und der britischen Anmut von "Downton Abbey" zu sehen.
Netflix bleibt in der Qualität besser
Damit scheint sich eine Entwicklung fortzusetzen: Netflix bleibt Amazon, gerade, was Qualität, Anspruch und Produktionsaufwand der Originalserien angeht, überlegen. Mit "House of Cards", "Orange Is The New Black" und "Narcos" zeigte der Anbieter die Highlights der vergangenen Jahre. Beste Kritiken, Spitzen-IMDB-Bewertungen und hohe Abrufzahlen sind der Lohn. Amazon hat mit "Transparent", "Mozart in the Jungle" oder insbesondere "The King in the High Castle" zwar auch sehr ambitionierte und durchaus innovative Projekte im Programm, doch löst man damit bisher viel weniger Faneuphorie oder Jubelstürme in Zeitungen und den sozialen Netzwerken aus.
Lediglich bei den deutschen Nutzerzahlen führt Amazon noch klar vor Netflix. Das aber hat zwei Gründe: Erstens ist Netflix erst seit Ende 2014 in Deutschland online, zweitens profitiert Amazon vom großen Kundestamm hierzulande, dem das Video-on-Demand-Angebot geschickt zugänglich gemacht wird.
Diese Zahlen könnten sich bald umkehren. Ob es da hilft, dass Amazon für 2017 die erste deutsche Produktion plant? "Wanted" von und mit Liebling Matthias Schweighöfer – das klingt zumindest nach vielen Abrufen. Aber nicht unbedingt nach neuen Ideen.