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Neue Social-Reality-Show "Newtopia"
Regeln des Miteinanders entwickeln

Auf Sat.1 startet die Reality-Show "Newtopia". Die Idee: 15 Kandidaten werden auf einem eingezäunten Acker ausgesetzt und dort sich selbst überlassen. Sie sollen dabei Regeln des Miteinanders entwickeln. John de Mol, ihr Erfinder, beschreibt im Corso-Gespräch, warum es für die Kandidaten schwierig werden wird, die richtige Gesellschaftsform zu finden.

John de Mol im Gespräch mit Eric Leimann | 23.02.2015
    Eric Leimann: Eine TV-Show, die 15 Leute sich selbst überlässt. Ist das nicht gegen die Regeln des Fernsehens, wo man ja eigentlich möchte, dass etwas passiert?
    John de Mol: Vielleicht. Aber ich bin jemand, der gerne gegen die Regeln arbeitet. Weil, wenn man das macht - immer die Regel - macht man zuviel das Gleiche. Trotzdem glaube ich, dass die Grundstruktur von der Idee "Newtopia" eine bestimmte Sicherheit gibt, dass es kein langweiliges Fernsehen wird. Weil, wenn die Leute, die 15 Pioniere, wie wir sie nennen, nichts machen, dann leben die nicht lange hier. Weil dann gibt es kein Essen, kein Wasser - überhaupt nichts. Die müssen etwas machen, um zu überleben.
    Leimann: In Holland läuft das Format ja jetzt schon über ein Jahr. Welche Gesellschaft haben denn Ihre Landsleute dort gebaut?
    de Mol: Eine gibt keine strukturelle, feste Gesellschaft. Die haben vieles ausprobiert. Am Anfang ist es sowieso total anders. Was auch hier passieren wird: Die ersten zwei Monate sind Überleben. Wie bekommen wir Essen, wie verdienen wir überhaupt einen Euro, woher kommt das Wasser ... Toilette? Das sind die ersten Bedürfnisse und die ersten Sorgen, die sie haben. Wenn das alles da ist, dann kommen erst die langfristigen Gedanken: Wohin gehen wir? Was wollen wir? Geld verdienen! Wie denn? Und wenn wir Geld verdienen, was machen wir dann mit dem Geld? Es gibt Leute, die sagen: Ach ja, wenn wir 100 Euro die Woche verdienen, reicht das zum Essen und Trinken - und lass uns weiter einfach glücklich sein. Aber es gibt auch Leute, die sagen: Nein, wenn wir 100 Euro verdienen, müssen wir die wieder investieren in etwas, damit wir nächste Woche 200 Euro verdienen. Eigentlich wie in der echten Welt. Aber hier müssen die sich irgendwie einigen, weil die können nicht weglaufen voneinander. In einem Land ist das einfacher. Also - die müssen sich einigen.
    Leimann: Was haben sie denn für Führungsstrukturen entwickelt? Herrscht dort Basisdemokratie, bestimmt man Vertreter für bestimmte Pflichten oder gibt es einen, der sich zum Boss aufschwingt?
    Beim niederländischen Vorbild bisher fünf verschiedene Strukturen
    de Mol: Es hat in Holland ich glaube mittlerweile schon fünf verschiedene Strukturen gegeben. Von: Wir wählen einmal im Monat den Monatskapitän und der kann alles entscheiden. Dann hieß es wieder: Nein, der hat denn zu viel entschieden, was ich nicht will. Dann geht es wieder zurück zur Demokratie. Es gibt 15 Leute, also wenn acht "Ja" sagen und sieben "Nein", dann ist es "Ja". Aber dann gibt es auch wieder lange Diskussionen, weil sieben sind zu viel, um zu sagen: Wir ignorieren einfach, was die finden. Es gab auch ein Minimodell Regierung mit drei Leuten: ein Präsident und zwei Minister. Wir haben alles versucht und haben immerhin noch nicht das Modell gefunden, von dem ich glaube, das wird ein Jahr durchhalten. Aber die versuchen es zumindest und haben viele verschiedene demokratische Strukturen ausprobiert ...
    Leimann: Und das Ergebnis ist: Es hat alles seine Vor- und Nachteile und man hat im Prinzip noch nicht das Richtige gefunden?
    de Mol: Genau. Das zeigt auch, dass es ist selbst mit 15 Menschen nicht einfach ist, sogar schwer ist - oder vielleicht wird sich zeigen in eins, zwei Jahren - unmöglich ist, um das ideale Modell zu finden.
    Leimann: Die Sendung ging ja nach einem Jahr einfach weiter, weil es in Holland sehr erfolgreich ist. Ich habe gehört, einige Leute sind gegangen, einige Leute sind dort geblieben. Wäre es denkbar, dass - wenn es immer weiter läuft - dass Leute hauptberuflich "Utopia"-Bewohner sind dann?
    Erst mal für 365 Tage geplant
    de Mol: Ja, das wäre theoretisch möglich. An erster Stelle ist das Projekt gemeint und geplant für ein Jahr. 365 Tage haben die Zeit, um ihre Gesellschaft zu bauen und zu strukturieren. Aber wenn man die Bedeutung des Wortes Utopia wirklich checkt, dann ist das eine utopische, ideale Welt. Man kann die Frage stellen: Ist es überhaupt jemals möglich, das zu erreichen? Und wenn wir nach einem Jahr in Holland wirklich richtig geschaut haben, wo sind die jetzt und wir auch mit den Pionieren überlegt haben, seid ihr zufrieden, habt ihr das Gefühl, wir haben es geschafft, dann haben alles gesagt: Nein, noch nicht. Also haben wir die Frage gestellt: Wenn wir weiter machen würden, würdet ihr mitmachen? Und dann haben alle außer zwei gesagt: Ja, gern!
    Leimann: Also zwei sind gegangen und die anderen sind geblieben?
    de Mol: Ja, ja.
    Leimann: Das bedeutet aber eigentlich, dass man nur Kandidat oder Bewohner werden kann, wenn man keine Arbeit und keine Familie hat, oder?
    de Mol: Ja, doch. Weil "Utopia" ist kein Big Brother. Es ist nicht abgeschlossen von der Außenwelt. Es ist ein offenes Gelände, wo Business getrieben wird, wo Leute hingehen können, um etwas zu machen, zu tun. Die können ihre Familie auch sehen, ein paar Mal im Jahr. Es gibt Telefon, es gibt Internet. Noch nicht jetzt, aber in einer gewissen Zeit wird es das geben. Ab ja - wenn man einen Job hat, dann muss man sagen: Ich mache etwas anderes und dann ziemlich lange, ja.
    Leimann: Es gibt ja Leute, die sagen: Fernsehen ist ein sterbendes Medium. Junge Leute gucken immer weniger Fernsehen. Jetzt ist es bei "Newtopia" zum Beispiel so, dass man über Internetpässe auch sein eigener Regisseur sein kann. Dass man eine Kamera bedienen kann, zwischen Kameras hin- und herschalten kann. Ist das dann vielleicht so ein bisschen auch die Zukunft des Fernsehens, also auch diese technische Seite, wie man das Medium konsumiert?
    Fernsehen als kulturelles, soziales Bindungsmedium
    de Mol: Ja, teilweise. Das Gute am Fernsehen ist, dass das Medium irgendwie die Flexibilität hat, um sogar zusammenzuarbeiten mit dem Medium, das gleichzeitig die größte Konkurrenz ist: Internet. Das Medium Fernsehen ist so entwickelt technisch, dass es irgendwo zusammen geht. Beispiel "Newtopia", wo man online sehr viele Unterteile hat, die bestimmt zu dem Programm gehören. Deswegen bin ich immer noch sehr positiv in Sachen Zukunft des traditionellen Fernsehens, des Free-To Air-Fernsehens. Weil es auch wirtschaftlich immer noch ein sehr interessantes Modell ist. Es ist die billigste Weise für Werbekunden, ein Massenpublikum zu erreichen und Fernsehen hat offensichtlich die Zukunft - wegen Netflix - dass es mehr und mehr lokales Produkt braucht - und hoffentlich von Leuten wie mir hoffentlich regelmäßig Produkte entwickelt werden, die man an einem bestimmten Abend auch sehen will, weil man weiß, morgen im Büro reden wir über das Programm von gestern Abend. Und ich will es gesehen haben und nicht später - dann kann ich nicht mitreden. Irgendwie ist Fernsehen auch noch so etwas wie ein kulturelles, soziales Bindungsmedium zwischen Menschen.
    Leimann: Sie sind ja nun ein legendärer TV-Entwickler, also mit Formaten wie "Big Brother", "Voice of ...". Wenn man nun die ganzen Sachen, die Sie erfunden haben, sich mal anguckt, gibt es irgendetwas, worauf Sie besonders stolz sind, wo Sie im Nachhinein sagen: Ja, das war mal eine super Sache? Also nicht nur wirtschaftlich, sondern auch von der Kreativität ...
    de Mol: Naja, ich bin nicht so schnell stolz. Ich bin richtig stolz auf meinen Sohn, aber nicht so sehr auf das, was ich geschafft habe. Aber wenn ich dann ein Format nennen muss, das in die Nähe kommt von Stolz, dann doch "Big Brother". Weil mit "Big Brother" habe ich es geschafft, ein neues Genre im Fernsehen zu schaffen: "Reality", das gab es nicht. Ich war der Erste, der das geschafft hat.
    Leimann: Was interessiert denn die Leute an der Realität von "Newtopia" jetzt beispielsweise? Gucken die sich lieber an, eine Diskussion, wie man ein Problem löst in der Gruppe oder schauen sie dann doch am Ende lieber einer Liebesgeschichte oder vielleicht sogar jemandem, der sich auszieht, zu?
    Keine Schauspieler, sondern "characters"
    de Mol: Vielleicht alles drei? Ich denke, dass so ein Format wie "Utopia" an erster Stelle funktioniert, weil Menschen sich wahrscheinlich abfragen: Wenn ich da wäre oder wenn ich er oder sie wäre, was würde ich tun? Es ist Erkennung "in characters". Es gibt 15 "characters". Ich glaube, wenn man "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" unter ein Mikroskop legt, gibt es auch 15 bis 20 "characters" - die sind aber Schauspieler. Ich denke, dass es irgendwo die neue Fassung von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" ist, aber dann mit echten Menschen. Wenn die weinen, dann weinen die echt. Wenn die lachen, dann lachen die echt. Wenn die böse sind, sind die echt böse. Wenn die traurig sind, sind die echt traurig.
    Leimann: Wenn Sie Kandidat in "Utopia" wären, oder "Newtopia", wie es in Deutschland heißt, mit welchen Fähigkeiten könnten Sie persönlich punkten? Gibt es da etwas, das Sie beitragen könnten?
    de Mol: Ich würde wahrscheinlich versuchen, innerhalb der 15 Hauptfiguren irgendwie wieder ein Fernsehprogramm zu entwickeln - in "Utopia". Weil das ist alles, was ich kann. Im weiteren habe ich wenig Talente. Gott sei Dank schaffe ich es, in diesem Bereich etwas zu erreichen. Ich glaube nicht, dass ich im Casting weiter als bis zu ersten Castingrunde kommen würde. Weil ich glaube, der Casting Director würde sagen: Nein, nicht geeignet für Reality-Shows.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.