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"Neue Spielregeln im Bund-Länder-Finanzausgleich"

Die Förderung von benachteiligten Städten, Gemeinden und Regionen ist nötig, sagt Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Doch dabei solle nicht nach Himmelsrichtungen gefördert werden. Zudem sei eine Änderung des Grundgesetzes hinsichtlich des Kooperationsverbotes sinnvoll.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Gerhard Schröder |
    Schröder: Herr Landsberg, seit dem 1. August dieses Jahres gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder unter drei Jahren. Nun haben viele Kommunen im Vorfeld befürchtet, dass einige Eltern leer ausgehen könnten und dann klagen würden. Wie sieht es nun aus, einen Monat nach Beginn dieser Garantie, ist die befürchtete Klagewelle ausgeblieben?

    Landsberg: Die Klagewelle ist ausgeblieben, was sicher auch daran liegt, dass wir, ehrlich gesagt, mehr Plätze geschafft haben, als wir selber geglaubt haben. Am Ende des Jahres werden es 810.000 Plätze sein. Das ist schon ein beachtlicher Kraftakt. Und wir versuchen vor Ort, auch den Eltern zu helfen, wenn es schwierig wird. Und bisher scheint das weitgehend zu funktionieren.

    Schröder: Wenn die Klagewelle ausgeblieben ist, heißt das aber nicht, dass nun auch alle Wünsche erfüllt werden konnten. Wie groß sind noch die Defizite, wie viele Eltern warten noch vergeblich?

    Landsberg: Also, wenn Sie es an den Wünschen der Eltern messen, haben wir noch sehr viel zu tun. Viele Eltern wollen natürlich zum Beispiel keine Tagesmutter, sondern lieber eine Kita, und sie wollen eine bestimmte Kita, nämlich die Kita um die Ecke. Das haben wir in vielen Fällen nicht leisten können. Und deswegen sage ich auch: Der Ausbau muss weitergehen, denn immer mehr junge Frauen werden schnell in den Beruf wollen, aber auch von den Arbeitgebern gedrängt. Das heißt, der Bedarf wird nicht weniger werden.

    Schröder: Konkret, wie viele Plätze fehlen noch, wovon gehen Sie aus?

    Landsberg: Also, ich gehe nicht davon aus, dass viele Tausende Plätze fehlen. Man kann das schwer schätzen, das ist regional unterschiedlich. Aber wenn wir die 810.000 nehmen, die die Länder gemeldet haben bis Ende diesen Jahres, ist das immerhin eine flächendeckende Quote von 39 Prozent, sodass ich davon ausgehe, dass wir weitgehend hinkommen, was aber nicht heißt, dass es in einzelnen Städten trotzdem Schwierigkeiten gibt.

    Schröder: Wo gibt es noch die größten Lücken?

    Landsberg: Die größten Lücken gibt es, wie gesagt, in Universitätsstädten, in den großen Ballungszentren, aber teilweise auch in ländlichen Räumen, wo hohes Wirtschaftswachstum ist, wo eben Frauen ganz schnell wieder in den Beruf wollen.

    Schröder: Viele Kommunen haben improvisiert, um die Wünsche zu erfüllen, haben zum Beispiel verstärkt Tagesmütter oder auch Tagesväter eingesetzt. Kann das auf Dauer ein gleichwertiger Ersatz für Kindergartenplätze sein?

    Landsberg: Aus meiner Sicht schon. Viele Eltern wollen übrigens auch lieber die Tagesmutter, weil sie das Gefühl haben, das Kind ist da ähnlich, wie in einer Familie betreut. Andere wollen unbedingt die Kita, weil das natürlich mehr Sicherheit gibt. Also, ich glaube, es wird immer Tagesmütter und hoffentlich auch mehr Tagesväter geben. Aber das Schwergewicht liegt in der Tat beim Kita-Ausbau.

    Schröder: Sie sagen, sie haben mehr geschafft, als Sie eigentlich erwartet haben. Es war für viele Kommunen ein Kraftakt. Kritiker sagen nun, die Zahlen sind beachtlich, aber die Qualität, die fehlt noch. Wo gibt es da noch Defizite?

    Landsberg: Also, man kann sich immer mehr wünschen, nur man muss natürlich wissen: Eine Kommune setzt die Standards nicht fest, das macht der Landesgesetzgeber. Da haben wir unterschiedliche Betreuungsschlüssel. Wir haben in letzter Zeit auch eine deutliche Zunahme sogar von Personen, die als Leiterin arbeiten, die einen Fachhochschulabschluss haben. Der Druck, der politische Druck, hier noch mehr zu tun, wird steigen. Aber das ist eine Situation, die wir überall haben. In der Schule können wir auch sagen: Eigentlich brauchen wir viel mehr Lehrer, die müssen viel besser ausgebildet sein. Also, man muss auch mal sehen, man kann nur das machen, was finanzierbar ist. Und da sind wir in der Tat langsam an der Grenze.

    Schröder: Aber konkret: Wo sehen Sie Defizite noch?

    Landsberg: Ich glaube, dass wir mittelfristig die Ausbildung vergrößern müssen, die Kapazitäten für Erzieherinnen und Erzieher, und dass wir sicherlich auch langfristig, wie es in einigen nordischen Ländern ist, mehr auch zu einer Hochschulausbildung kommen.

    Schröder: Schon jetzt tun sich viele Kommunen schwer, den Kita-Ausbau zu bewältigen, weil zurzeit auch die Fachkräfte fehlen. Es wird schwierig, ausreichend Erzieher und Erzieherinnen zu finden, der Nachwuchs fehlt. Dieser Fachkräftemangel wird der zunehmend zum Hemmschuh beim Kita-Ausbau?

    Landsberg: Der wird zum Hemmschuh, denn nach unseren Berechnungen fehlen etwa 10.000 ausgebildete Kräfte. Die wachsen auch nicht in dem Umfang nach, wir haben einen demografischen Wandel. Das Problem haben wir übrigens auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Deswegen müssen wir auch dafür sorgen, dass diese Funktionen attraktiv bleiben. Sonst werden wir die Verlierer sein..

    Schröder: Attraktiv bleiben ist vielleicht etwas beschönigend gesagt. Viele finden inzwischen, viele Jugendliche, das ist kein attraktiver Beruf. Was müssen Sie denn, was können Sie tun, damit der Beruf Erzieher/Erzieherin wieder attraktiver wird?

    Landsberg: Also, was wir eben nicht ohne Weiteres können und auch nicht wollen ist, die Vergütungen gigantisch nach oben treiben, weil – Erzieher ist eine Funktion im öffentlichen Dienst, vergleichbar mit anderen. Das muss in das Gefüge passen. Aber wir versuchen natürlich schon, den Personen ein angenehmes Umfeld zu schaffen, also bei der Wohnraumvermittlung helfen, die eigenen Kinder können auch in die Kita gehen. Also im Umfeld können wir noch sehr viel tun. Wir können auch noch mehr für die Anerkennung dieses Berufes tun. Viel mehr Möglichkeiten haben wir eigentlich nicht.

    Schröder: Ist die Bezahlung angemessen?

    Landsberg: Ich glaube, dass die Bezahlung angemessen ist. Ich glaube aber auch, dass – das gilt auch hier – Angebot und Nachfrage in den nächsten Jahren steigen wird.

    Schröder: Wenn Kinder dann von de Kita, vom Kindergarten in die Grundschule wechseln, dann stellen viele Eltern fest, da tun sich neue Betreuungsprobleme auf, weil nicht alle Grundschulen nachmittags eine Betreuung anbieten oder eine Betreuung, die die Eltern für ausreichend halten. Steht hier der nächste Kraftakt bevor?

    Landsberg: Ganz sicher sind wir gefordert, nicht nur die Kommunen, auch die Länder, das sogenannte Ganztagsschulangebot auszubauen oder zumindest eine Betreuung am Nachmittag anzubieten. Das sind ja zwei verschiedene Dinge – ob ich nachmittags Schulunterricht mache oder ob ich die Kinder nachmittags in der Schule betreue. Die Mehrheit der Eltern will jedenfalls bei den kleineren Kindern eher eine Betreuung, natürlich auch eine pädagogische. Das wird in vielen Fällen schon organisiert und auch gemacht, das werden wir weiter ausbauen müssen. Hier sind auch die Länder gefordert, denn Schulangelegenheiten sind auch Länderangelegenheiten. Andererseits wird nach meinen Erfahrungen der normale Wettbewerb schon dafür sorgen. Wir haben ja demnächst zurückgehende Schülerzahlen, und Eltern werden ihre Kinder dort anmelden, wo eine solche Betreuungsmöglichkeit besteht. Und deswegen wird das kommen, natürlich nicht so schnell, wie mancher sich das wünscht.

    Schröder: Nun hat der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gezeigt: Druck wirkt. Dann plötzlich tun Bund, Länder und Gemeinden auch gemeinsam etwas, ziehen an einem Strang. Wäre das nicht ein Erfolgsmodell, das hier auch angewandt werden kann, also die Rechtsgarantie auf einen Platz in einer Ganztagsschule?

    Landsberg: Ich glaube nicht, dass das die Lösung ist. Man muss zunächst mal die Finanzierung sicherstellen, das Personal gewinnen. Und wenn man das gemacht hat, dann kann man über einen Rechtsanspruch reden. Aber ein Anspruch alleine, obwohl das so eine moderne Form der Politik neuerdings ist, schafft der gar nicht, der schafft keine Schule, der schafft keine Lehrer, der schafft keine Betreuer ...

    Schröder: ... aber er schafft Druck ...

    Landsberg: ... er schafft Druck, das ist richtig. Aber es ist natürlich ein Riesenunterschied, im Bereich der Schule hat der Bund eigentlich gar keine Zuständigkeit. Das heißt, er dürfte wohl noch nicht mal dauerhaft flächendeckend Geld geben, das würde eine Grundgesetzänderung voraussetzen. Also das Geflecht ist sehr viel komplizierter als bei der Kinderbetreuung.

    Schröder: Gerade deshalb haben ja viele Eltern den Eindruck, es mangelt nicht an Absichtserklärungen, am guten Willen. Aber wenn dieser Druck nicht da ist, dann passiert nichts.

    Landsberg: Also, aus meiner Sicht passiert etwas. Ich hab es ja gesagt, die Zahl der Grundschulen, die als Ganztagsgrundschulen oder als halboffene Ganztagsgrundschulen laufen, wo Kinder betreut werden, nimmt deutlich zu. Das wird weitergehen, der politische Druck ist da. Natürlich würden wir uns wünschen, wenn es zunächst jedenfalls mal eine finanzielle Vereinbarung zwischen Bund und Ländern und Kommunen gäbe, dass man dieses Thema gemeinsam auch finanziert und nicht nur politisch erörtert.

    Schröder: Was würde es denn kosten, wenn man einen Rechtsanspruch zusichern würde? Wovon gehen Sie aus?

    Landsberg: Also, es gibt eine Berechnung der Bertelsmann-Stiftung, die sagt mindestens neun Milliarden pro Jahr. Wir haben dort natürlich im Übrigen die gleichen Probleme, auch dafür brauchen wir wieder Betreuer, Erzieher, Lehrer. Und auch da ist der Markt nicht gerade besonders bereit, uns diese Personen zur Verfügung zu stellen.

    Schröder: Es gibt noch ein weiteres Thema, das auf der Tagesordnung steht – für die Schulen, für die Gemeinden. Das Stichwort lautet "Inklusion", also die gemeinsame Betreuung von behinderten und nichtbehinderten Kindern in der Schule. Sind die Kommunen darauf schon vorbereitet?

    Landsberg: Das findet faktisch statt, aber da muss ich die Länder kritisieren. Wenn sie so etwas wollen, und politisch ist das gewollt, müssen sie eigentlich ein Inklusionsgesetz machen und in einem solchen Gesetz auf Landesebene festschreiben, wie funktioniert es und wie wird es finanziert. Das haben die Länder bisher nicht gemacht, weil in allen Landesverfassungen der Grundsatz "wer bestellt – bezahlt" steht, und das enorm kosten wird. Das kostet schon jetzt enorm, und deswegen müssen wir auch diese politische Diskussion führen.

    Schröder: Das Interview der Woche mit Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes. Herr Landsberg, es gab erfreuliche Meldungen in diesen Tagen. Die Kommunen haben im vergangenen Jahr 1,8 Milliarden Euro Überschuss erzielt, und in den ersten sechs Monaten dieses Jahres über fünf Milliarden. Nun sind uns die Klagen der Kommunen noch im Ohr: Wir haben kein Geld, es geht uns so schlecht! Woher kommt es, das Sie plötzlich so große Überschüsse haben?

    Landsberg: Also, dieser Überschuss betrifft das erste Halbjahr. Es ist eine Momentaufnahme, über die wir uns freuen und die ich auch gar nicht kleinreden will. Nur man muss auf der anderen Seite sehen, dass zum Beispiel die Kassenkredite der Kommunen aufsage und schreibe 48 Milliarden gestiegen sind. Und man muss auch mal fragen: Wie kommt es zu dem Überschuss? Das hat zwei Gründe. Der eine Grund ist, dass es der Wirtschaft sehr gut geht, das heißt, die Steuereinnahmen – Gewerbesteuer, aber auch Einkommensteuer, Lohnsteuer – die laufen sehr gut, das wirkt sich positiv aus. Der andere Aspekt ist vielleicht genau so wichtig. Wir haben bei den Investitionen uns sehr zurückgehalten, mit Ausnahme der Kindergärten. Und wenn Sie weniger investieren, geben Sie weniger aus. Und dann haben Sie natürlich möglicherweise einen höheren Überschuss. Ich warne davor zu glauben, damit seien die Probleme der Kommunen gelöst. Wir haben über Jahre jedes Jahr acht, neun, zehn Milliarden Miese gemacht, und jeder weiß, dass dieses wunderschöne Wirtschaftswachstum, das wir haben, wahrscheinlich nicht dauerhaft sein kann.

    Schröder: Das Bundesfinanzministerium geht aber davon aus, dass die Überschüsse in den nächsten Jahren in ähnlicher Höhe ausfallen könnten, wenn die Konjunktur so bleibt. Sind Sie auch so optimistisch?

    Landsberg: Ich bin nicht so optimistisch. Wir haben die Erfahrung, dass die Konjunktur immer in Wellenbewegungen verläuft. Keiner weiß auch, wie das internationale Geflecht weiter geht. Ich würde mich freuen, wenn es so ist. Aber die strukturelle Unterfinanzierung von Kommunen, die teilweise selbst ihre Kassenkredite nur wieder mit neuen Krediten finanzieren müssen, die ist damit nicht beseitigt. Und deswegen glaube ich, dass wir eine grundlegende Reform brauchen.

    Schröder: Fünf Milliarden Überschuss in den ersten fünf Monaten. Wo, denken Sie, stehen Sie am Ende des Jahres?

    Landsberg: Also ich glaube, wir werden ein Plus machen. Ob das deutlich über fünf Milliarden sind, glaube ich am Ende des Jahres nicht.

    Schröder: Trotz dieses Überschusses von dann vielleicht fünf Milliarden Euro machen 60 Prozent der Gemeinden nach wie vor Defizite. Woher kommt das, wie ist das zu erklären? Wirtschaften die einfach schlecht?

    Landsberg: Es gibt eine einfache Faustformel. Wenn Sie in einer Kommune eine hohe Arbeitslosigkeit haben, dann haben Sie natürlich enorm hohe Sozialkosten. Sie haben dann in der Regel wenig Kaufkraft und Sie sind auch für die Wirtschaft nicht besonders attraktiv. Andererseits fehlt Ihnen dann aber auch das Geld, aus diesem Dreh rauszukommen. Und deswegen haben wir eine starke Spreizung von Städten, denen es relativ gut geht und anderen, die eben aus dieser Abwärtsspirale sich nicht selbst befreien können. Ich will ein Beispiel nennen: Essen ist mit 2,3 Milliarden Kassenkrediten verschuldet, vor drei Jahren haben die 400 Millionen Miese gemacht, jetzt sind es wahrscheinlich 100 Millionen. Das ist zwar schön, aber das löst da Problem nicht. Ob Sie 40 oder 10 Meter unter Wasser sind, Sie werden ertrinken, wenn Sie nicht irgendwann auftauchen.

    Schröder: Es sind vor allem die Gemeinden im Ruhrgebiet, auch im Saarland, Gemeinden also, die früher vom Bergbau gelebt haben. Ist der Strukturwandel dort gescheitert, seit Jahren wird er ja auch mit Milliarden subventioniert, trotzdem kommen diese Gemeinden nicht auf einen grünen Zweig. Woran liegt das, was läuft da falsch?

    Landsberg: Es ist sicherlich der Strukturwandel und es ist die nach wie vor vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit. Das heißt, wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir die Städte von den Sozialkosten entlasten, damit sie Spielraum haben, um zum Beispiel auch für Unternehmen interessant zu sein. Denn Unternehmen gehen am liebsten natürlich in Städte, wo auch wieder ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein gutes Kultur-, ein gutes Schulangebot haben. Also, das Umfeld muss stimmen. Und wir haben ja eine Steigerung der Sozialkosten jetzt auf 48 Milliarden – alle Städte in Deutschland –, obwohl die Wirtschaft so gut läuft. Und deswegen ist eine unserer zentralen Forderungen: Der Bund muss die Einigungshilfe für Behinderte, die wir jetzt etwa mit 14,4 Milliarden pro Jahr finanzieren und die gerade diese verschuldeten Städte besonders belastet, in ein Bundesleistungsgesetz überführen. Denn es ist keine kommunale Aufgabe, ob Sie, ob ich behindert werde, das entscheidet ja nicht die Stadt, die hat da keinen Einfluss drauf. Insofern muss das auch anders finanziert werden.


    Schröder: 14 Milliarden, die dann im Bundeshaushalt fehlen würden. Wie wollen Sie denn den Bundesfinanzminister überzeugen, dass er das freiwillig auf sich nimmt?

    Landsberg: Also, ich gehe mal davon aus, dass der Bundesfinanzminister genau das tun wird, denn das ist verabredet worden mit den Ländern im Rahmen des Fiskalpaktes. Und im Unterschied zu Kommunen und auch Ländern hat der Bund natürlich ganz andere Refinanzierungsmöglichkeiten. Ich will ein Beispiel nennen. Es gibt ja eine Diskussion, soll der Soli abgeschafft werden oder nicht. Allein der Soli sind im Moment 13,9 Milliarden. Wenn die Wirtschaft so weiterläuft, werden es in wenigen Jahren 17 Milliarden sein. Das heißt, die Spielräume des Bundes sind schon andere als die der Länder und insbesondere auch der Kommunen.

    Schröder: Der Bund hat die Kommunen ja schon entlastet, hat die Grundsicherung im Alter übernommen, also Sozialhilfe für Rentner, die zu wenig haben. Das macht rund vier Milliarden Euro pro Jahr aus. Das ist doch schon eine ganze Menge.

    Landsberg: Das ist eine ganze Menge. Dafür haben wir auch gekämpft und wir freuen uns, dass der Bund diesen Weg gegangen ist und sagen, diesem richtigen Schritt müssen eben weitere folgen. Und das ist eigentlich auch gerechtfertigt, denn die Gesetze, die diese Leistungen festschreiben, hat ja auch der Bund gemacht.

    Schröder: Sie sagen, der Bund muss helfen. Zunächst aber sind ja auch die Gemeinden selber gefragt. Was können die tun, gerade die hoch verschuldeten? Können die aus eigener Kraft aus dieser hoch verschuldeten Situation herauskommen?

    Landsberg: Wir haben Personal abgebaut ohne Ende, es werden Kooperationen vereinbart im Kulturbereich. Nur wenn eine Stadt 90 Prozent – teilweise ist es sogar mehr als 90 Prozent – ihrer Ausgaben überhaupt nicht beeinflussen kann, weil es eben gesetzliche Pflichten sind und sie hat nur einen Spielraum von acht oder zehn Prozent, dann können Sie so sehr viel aus eigener Kraft nicht machen. Dann muss die Struktur geändert werden. Und das ist genau eine unserer Forderungen.

    Schröder: Sie haben gesagt, Kommunen, die hoch verschuldet sind, die versuchen zu sparen, die investieren nicht. Das hat nun wiederum negative Folgewirkungen. Das Umfeld wird weniger attraktiv. Es werden keine Arbeitsplätze geschaffen. Das wiederum drückt die Einnahmen, erhöht die Sozialausgaben. Wie kann man diese Abwärtsspirale denn stoppen, Ihrer Meinung nach?

    Landsberg: Also, nach unserer Auffassung brauchen wir eine Investitionsoffensive in Deutschland. Es gibt Berechnungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die sagt, 128 Milliarden wären eigentlich erforderlich, damit unsere Straßen, Wege, Plätze wieder in einen ordnungsgemäßen Zustand gebracht werden. Das ist übrigens nicht nur eine Frage, ob den Bürgern das Leben gefällt, sondern es ist auch eine wirtschaftliche Frage, gerade bei den Straßen. Aus meiner Sicht konzentriert sich Politik viel zu sehr darauf, Transferleistungen zu organisieren, also kann man hier noch was machen, kann man da noch was machen und müssen wir da nicht noch gerechter sein? Ich glaube, dass wir das Thema Investitionen in Deutschland ganz oben auf die Agenda der neuen Bundesregierung schreiben sollten.

    Schröder: 128 Milliarden Euro, wie wollen Sie das finanzieren?

    Landsberg: Wir werden das nicht mal so ohne Weiteres finanzieren können, auch nicht in ein oder zwei Jahren. Deswegen brauchen wir da einen Konsens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Das wird nur mit Reformen gehen. Es wird wahrscheinlich auch nur gehen, wenn wir zu einer Änderung des Grundgesetzes kommen, sodass Bund, Länder und Kommunen solche Projekte auch gemeinsam betreiben und finanzieren können. Das ist kein einfacher Weg, aber ich sehe keine Alternative.

    Schröder: Grundgesetzänderung, damit der Bund auch direkt einzelne Kommunen finanzieren kann?

    Landsberg: Das wäre natürlich meine Wunschvorstellung, aber da bin ich Realist genug, das werden die Länder nicht wollen. Aber, es würde schon völlig genügen, wenn man sagt, die sogenannten Kooperationsverbote, was wir im Moment haben, das heißt, der Bund darf eine kommunale Aufgabe, selbst wenn sie das denn wollen, gar nicht finanzieren. Das sollte fallen. Warum soll der Bund nicht berechtigt sein, zum Beispiel ein flächendeckendes Ganztagsschulprogramm zu finanzieren. Nach bestimmten Vorgaben, in Abstimmung mit Kommunen und Ländern. Das sollte gehen. Im Moment geht es nicht und dafür brauch man eine Grundgesetzänderung.

    Schröder: Welche Folgen hätte das, wenn hier nichts geschehen würde, wenn da keine Investitionen in den Kommunen getätigt werden, die das selber nicht finanzieren können?

    Landsberg: Also, es wird die Abwärtsspirale verstärken. Es wird für den Wirtschaftsstandort Deutschland nachteilig. Wir haben schon jetzt Brücken, die gesperrt werden müssen. Und es wird natürlich auch Auswirkungen auf die Zufriedenheit der Bürger haben. Und deswegen glaube ich, dass der politische Druck, der besteht, der wird sich weiter verstärken. Und deswegen werden wir dort zu Lösungen kommen, vielleicht nicht so schnell, wie wir uns das wünschen. Aber die Investitionsquote in Deutschland ist verheerend gering auch im europäischen Vergleich, obwohl es Deutschland so gut geht.

    Schröder: Herr Landsberg, wenn wir über die Finanzierung eines solchen Programms reden, dann muss man ja auch fragen, gibt der Staat sein Geld wirklich immer effizient aus, ist er sparsam genug? Wenn wir sehen, es werden allein rund 200 Milliarden Euro pro Jahr für Familien ausgegeben in 152 verschiedenen Maßnahmen. Wird dieses Geld immer gut ausgegeben?

    Landsberg: Ich glaube, dass wir auch hier Reformen brauchen. Die Leistungen sind teilweise in ihrer Wirkung nicht analysiert. Ich glaube, dass wir zum Beispiel kommen könnten zu einer Grundsicherung für Kinder, also nicht viele verschiedene Leistungen, sondern möglichst einheitliche Leistungen. Und eine klare Botschaft: Mir wäre es wichtiger, mehr Geld in die Infrastruktur zugunsten der Kinder zu investieren, als in Transferleistungen, entweder für die Kinder selbst oder ihre Eltern.

    Schröder: Wo würden Sie denn ansetzen?

    Landsberg: Also, ich würde zum Beispiel überlegen, ob es richtig ist, ein Betreuungsgeld zu bezahlen, wenn andererseits die Kommunen riesige Probleme haben, ihre Kindergärten entsprechend auszubauen und qualifiziertes Personal zu gewinnen. Man kann alles machen, wenn man sich das leisten kann, aber noch machen Bund, Länder und Gemeinden immer neue Schulden. Und wir sprechen ja bisher auch gar nicht über die Abtragung von 2,3 Billionen Altschulden. Insofern müssten wir natürlich auch ein bisschen mehr die Kosten im Auge haben und den Vorrang auf die Institution legen, die den Kindern Gutes tun durch gute Betreuung.

    Schröder: Gerhard Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes im Interview der Woche. Herr Landsberg, derzeit haben wir die Situation, dass hoch verschuldete Westkommunen Geld transferieren müssen im Rahmen des Solidarpaktes und Gemeinden im Osten unterstützen, denen es teilweise durchaus besser geht. Ist das noch zeitgemäß, diese Art der kommunalen Förderung nach Himmelsrichtung?

    Landsberg: Das läuft aus, das wissen Sie. Der Solidarpakt läuft aus 2019, und ich glaube, wir brauchen eine Förderung von benachteiligten Städten, Gemeinden und Regionen, aber eben nicht nach Himmelsrichtung, sondern nach Bedarf. Und auch das wird sich nur organisieren lassen, wenn wir zu neuen Spielregeln im Bund-Länder-Finanzausgleich kommen.

    Schröder: Schon in der vergangenen Legislaturperiode hat es Versuche gegeben, die kommunalen Finanzen zu reformieren, das Beziehungsgeflecht zwischen Bund, Länder und Gemeinden. Sie haben das jetzt auch wieder angemahnt. Hier muss etwas getan werden. Woher nehmen Sie denn den Optimismus, dass hier tatsächlich etwas passiert nach Jahren des Stillstands?

    Landsberg: Ich bin eigentlich ganz optimistisch. Es läuft der Solidarpakt aus. Bayern und Hessen klagen gegen den Bund-Länder-Finanzausgleich. Wir diskutieren den Soli. Das sind drei ganz wichtige Bausteine, aus denen eigentlich etwas Neues entstehen muss. Der politische Wille ist aus meiner Sicht da, und auch die Notwendigkeit ist da. Sie ist deshalb da, weil wir die Schuldenbremse nicht nur für den Bund im Grundgesetz haben, sondern auch für die Länder. Ab 2020 dürfen die Länder überhaupt keine neuen Schulden mehr machen. Das wird einen enormen politischen Druck auslösen, hier zu anderen Spielregeln, aber auch zu einem anderen System zu kommen.

    Schröder: Andere Spielregeln, was heißt das konkret?

    Landsberg: Also, ich glaube, dass zum Beispiel der Bund-Länder-Finanzausgleich, das sind im Moment ja etwa 7,9 Milliarden, da zahlen drei Länder, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, alle anderen nehmen. Das ist schon mal ganz schlecht. Das sind ja praktisch drei gegen 13. Und die Orientierung an der Steuerkraft scheint mir nicht richtig. Man müsste überlegen, was soll – egal in welcher Region Deutschlands – eigentlich an Mindeststandards der Daseinsvorsorge für die Bürger vorhanden sein. Denn das Grundgesetz sagt im Artikel 72 "gleichartige Lebensverhältnisse". Und danach müsste sich im Prinzip orientieren, wie wird welches Geld verteilt. Also, ich habe ein gewisses Interesse und Verständnis dafür, dass zum Beispiel Bayern sagt: wir zahlen hier ein, aber bei uns kostet das dritte Kindergartenjahr. Und Empfängerländer leisten sich, das freizustellen. Auch über diese Dinge wird man einmal sprechen müssen.

    Schröder: Die kommunale Finanzreform ist in dieser nun endenden Legislaturperiode auch gescheitert, weil es keine Einigung darüber gab, was mit der Gewerbesteuer passieren soll. Bundesfinanzminister Schäuble drängt darauf, sie abzuschaffen mit dem Argument, die Gemeinden brauchen eine verlässlichere Basis. Hat er da nicht recht? Die Gewerbesteuer ist extrem konjunkturanfällig, und wir sehen das jetzt auch bei den Kommunen, die Probleme haben, die resultieren oft darauf, dass die Gewerbesteuer einbricht. Also, brauchen wir hier nicht Veränderungen für die Kommunen, die eine verlässlichere Basis brauchen?

    Landsberg: Sicher brauchen wir mehr Verlässlichkeit, aber das geht gerade nicht mit der Abschaffung der Gewerbesteuer, sondern es geht nur mit einer Stärkung der Gewerbesteuer. Wir sagen seit Jahren: Lasst uns die Gewerbesteuer ausdehnen auf die freien Berufe. Es ist eigentlich nicht einzusehen, warum der Zahntechniker mit zehn Mitarbeitern sie bezahlt, umgekehrt der Zahnarzt aber nicht. Der kann das dann verrechnen mit der Einkommensteuer. Das ist natürlich für die FDP eine Kröte, die sie sicherlich nur schwer, wenn überhaupt, schlucken wird. Für uns ist auch in beiden Finanzkommissionen nicht klar geworden, wie man die Gewerbesteuer, die dieses Jahr etwa 37 Milliarden ausmachen wird, vernünftig ersetzen kann. Wir wollen eine eigene Steuer, wir wollen eine mit Hebesatzrecht ausgestattete Gewerbesteuer. Und deswegen bin ich ziemlich sicher, dass jede Regierung, egal, wie sie sich zusammensetzt – die Abschaffung der Gewerbesteuer die sehe ich nicht und die wollen wir nicht. Wir wollen eine Stärkung.

    Schröder: Nun hat aber Finanzminister Wolfgang Schäuble gerade in diesen Tagen noch mal betont, die Gewerbesteuer hat keine Zukunft. Also wie wollen Sie hier zusammenkommen?

    Landsberg: Also, Totgesagte leben länger, das ist schon oft gesagt worden. Gleichzeitig sagt der Finanzminister aber auch: Wir wollen eine wirtschaftsbezogene kommunale Steuer mit Hebesatzrecht. Dass die dann vielleicht nicht mehr Gewerbesteuer heißt – ich weiß nicht, was sich dahinter verbirgt. Aber ich glaube, dass das Unterfangen einer neuen Bundesregierung, die Gewerbesteuer abzuschaffen, zum Scheitern verurteilt ist.

    Schröder: Herr Landsberg, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Landsberg: Bitteschön.

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