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Neue Standards für alte Knochen

Forscher haben festgestellt, dass Daten aus Skelettsammlungen in Portugal und den USA nicht so akkurat generiert sind wie bislang gedacht. Sie schlagen nun ein einheitliches Modell vor, nach dem diese Informationen zukünftig erfasst und genutzt werden können.

Von Michael Stang |
    1997 sei er erstmals stutzig geworden, sagt John Albanese. Damals habe er als angehender Anthropologe an seiner Masterarbeit in Toronto gesessen und zwei Skelettserien miteinander verglichen.

    "Ich hatte die Daten, die ich in Toronto gesammelt hatte, mit denen der Terry Sammlung, die sich jetzt an der Smithsonian Institution befindet, verglichen, aber ich stieß auf zahlreiche Widersprüche. Ich konnte bei bestimmten Gruppen einfach keine Übereinstimmungen finden, obwohl die Individuen aus der gleichen Region und derselben Zeit stammten. Das passte einfach vorne und hinten nicht."

    Dieses Thema habe ihn seither nicht mehr losgelassen, so der Professor für Anthropologie von der Universität von Windsor im kanadischen Ontario. Vor allem konzentrierte er sich auf zwei Sammlungen, die für viele Forscher weltweit Relevanz haben: Zum einen die Terry Skelettsammlung in den USA, zum anderen die in Lissabon, beide umfassen je ungefähr 1.700 Skelette. Zwar gibt es in beiden Sammlungen zu jedem Skelett konkrete Angaben wie Alter und Geschlecht, doch einige dieser Daten sind unstimmig. Grund sei zum einen eine fehlerhafte Dateneingabe, also dass weibliche Skelette als männlich deklariert wurden, zum anderen sind diese Sammlungen nicht zwangsläufig repräsentativ. Denn 1870 etwa kamen in den USA nur die Körper bestimmter Menschen in die Anatomie.
    "Sektionen wurden meist bei Menschen gemacht, die keine Lobby in der Gesellschaft hatten. In den USA etwa waren das meist dunkelhäutige Männer, deren Skelette dann in solchen Sammlungen landeten. Das hat auch viel mit Rassismus zu tun."

    So gibt es wesentlich mehr männliche Skelette als weibliche; ein typischer Schnitt der Gesellschaft ist dies nicht. Auch rekrutiert sich ein Großteil aus den Gebeinen von Armen, Kranken und mitunter gesellschaftlich Benachteiligten. Um dennoch relevante, saubere und für die jeweilige Bevölkerung repräsentative Daten zu erhalten, ging John Albanese akribisch vor.

    "Ich habe mir dann die Skelette als Ganzes vorgenommen und mehr als hundert einzelne Messungen durchgeführt, also vom Schädel, Füßen, den Händen, die Arm- und Beinknochen und so weiter. Dadurch erhielt ich einen ganzen Satz an Einzeldaten."

    Ein Skelett um das andere pflegte der kanadische Forscher in die Datenbank ein.

    "Mittlerweile umfasst meine Datenbank 650 Individuen, von denen ich nicht nur diese einzelnen Messdaten habe, sondern auch demografische Informationen, Alter zum Todeszeitpunkt, Todesursache, Geschlecht und eine Reihe zusätzlicher Informationen, die verfügbar sind."

    Das sind etwa bestimmte Krankheiten oder der Beruf. Im nächsten Schritt entwickelte John Albanese statistische Methoden für einzelne Knochen.

    "Ich habe eine Serie von Gleichungen erstellt, mit deren Hilfe man verschiedene Teile des Skeletts analysieren kann. Damit können also Gerichtsmediziner etwa einen einzelnen Knochen nehmen, messen, die Daten eingeben und dank statistischer Analysemethode dann mit einer Sicherheit von 99 Prozent gesagt bekommen, ob es sich hierbei um den Knochen eins weiblichen oder männlichen Individuums handelt."

    Bislang hat John Albanese nur die Methode für die Geschlechtsbestimmung etabliert. Die Daten für das Alter zum Todeszeitpunkt und Status des Individuums zu bestimmen seien weitaus komplizierter. Jedoch werde er auch bald diese Statistiken fertighaben. Dann können Rechtsmediziner oder Industrieanthropologen, die etwa die Daten für die Entwicklung neuer Autositze benötigen, online auf die Daten der Skelettsammlungen zugreifen.