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Neue Sterberituale
Der Trend zum spirituellen Testament

Wer soll dabei sein, wenn wir sterben? Wie soll die Beerdigung aussehen? Religionen sehen dafür Rituale vor, doch auch nicht-religiöse Menschen wollen geistliche Dinge regeln. Für sie gibt es zunehmend Angebote.

Von Ursula Reinsch |
    Schattenriss eines Mannes, der durch einen Tunnel ins Licht geht.
    Viele Menschen wollen ihr Sterben und die Zeit nach ihrem Tod individuell planen (imago)
    "Die kostbare Zeit zwischen Tod und Bestattung" – das ist sein Thema, wenn er bei Trauernden ist. Uller Gscheidel, Berliner Bestatter:
    "Diese Vorstellung, mit dem Tod ist alles Schluss, und es passiert dann nichts mehr – die ist einfach falsch. Es passiert nach dem Tod noch eine ganze Menge. Und das auch zugänglich zu machen, glaube ich, ist ein wichtiger Teil von dem, was ich als meine Arbeit sehe. Dass wir das auch sinnlich wahrnehmen können, dass dieser Mensch einfach sozusagen in einem Art Zwischenzustand – von 'einerseits ist er das noch, andererseits ist er das nicht mehr' - dass auch wahrnehmbar wird, dass es Tod und Tote überhaupt gibt."
    Sich mit dem Tod auseinandersetzen - dem eigenen, dem geliebter Menschen. An einem sonnigen Sonntag im September. In einem Workshop.
    Der Ort: Universität Potsdam, ein kühler Seminarraum. Nackte Betonwände. Etwa 50 Menschen sitzen im Kreis. Mitten im Raum: ein einfacher Kiefernsarg mit Blumenschmuck.
    Der Bestatter Uller Gscheidel fragt, ob jemand probeliegen möchte in diesem Sarg. Keiner will das. Betretenes Schweigen. Totenstille. Doch nach wenigen Minuten gemeinsamen Schweigens atmen die Menschen auf. Schauen sich an, lächeln, lachen. Es wird lebendig – durch die im Raum herumschwirrenden Fragen. Wie und warum sich mit Tod beschäftigen?
    Memento Mori
    Wilfried Reuter: "Mit dem Tod kann man und sollte man sich ruhig auch immer wieder beschäftigen – 'memento mori', 'denke an den Tod', denke an Deine Sterblichkeit."
    Er erinnert oft an diese vergessene hilfreiche Devise aus dem Mittelalter. Der Arzt, Autor und Sterbebegleiter empfiehlt: "Wichtige Dinge, die ich verschriftlichen sollte, könnten schon alles sein, was mit dem unmittelbaren Sterbeprozess und danach zusammenhängt."
    Sich Sterben auch nur vorzustellen - das ängstigt viele. Gerade die Hälfte der Menschen denkt regelmäßig oder gelegentlich an die eigene Endlichkeit.
    Die 52-jährige Grafikerin Christiane setzt sich bewusst mit ihrer eigenen Endlichkeit auseinander – regelmäßig, mit einigen Freunden: "Es ist wie ein Klärungsprozess für mich jetzt. Ich gehe damit schon länger schwanger, und ich tue mich nicht so leicht damit. Ich schiebe es auch gerne vor mir her, weil es natürlich auch so eine Art Berührungsangst ist mit dieser Aussicht auf das Ende des Lebens. Das spüre ich schon deutlich."
    Das häufige Resultat solcher Berührungsängste sei, so Uller Gscheidel: "Es gibt die, die sagen, ist mir alles ganz egal – bringt mich unter die Erde, am besten grüne Wiese, macht nur kein Aufwand für mich. Grab will ich auch nicht, weil ich nicht will, dass Ihr mit dem Grab belastet seid. Das ist eine Haltung, die sehr stark in der Nachkriegsgeneration vertreten ist, die sehr viele Jahre oft mehrere Gräber gepflegt haben, und wissen, was das heißt. Also macht es so minimalistisch wie möglich. Die haben nicht im Blick, dass der Ehepartner vielleicht ein Grab braucht, einen Ort wo sie sich aus dem Alltagsleben ein Stück rausnehmen können und sich auch ihren Gefühlen, ihrer Trauer widmen. Ich glaube, ein Grab auf einem Friedhof, ist wie eine Anderwelt gerade in großen Städten."
    Mit diesen Gedanken hängen Überlegungen zusammen, wie diese Anderwelt beschaffen sein wird. Und das hängt insbesondere von dieser Entscheidung ab: "Die Entscheidung, ob wir eine Feuer- oder Erdbestattung haben wollen, ist eine sehr wegweisende Entscheidung für diesen nachtodlichen Weg."
    Das spirituelle Testament
    Um den vortodlichen Weg, der ja den nachtodlichen zumindest auf dieser Ebene festlegt, geht es Lisa Freund. Die 65-jährige begleitet seit Jahrzehnten Menschen beim Sterben, hat Bücher dazu publiziert, bildet Sterbebegleiter und Pflegekräfte weiter. Sie empfiehlt, sich existenziellen Fragen zu stellen:
    "Wie möchte ich geistig gehen und seelisch? Und das wäre dann praktisch das spirituelle Testament. Und da kann ich mir überlegen: Was will ich an Begleitung, damit ich noch eine Perspektive habe, also meinen Geist oder meine Seele überführen kann?" Doch wie und wohin?
    Insbesondere Menschen, die nicht an eine 'höhere Macht' glauben, quälen sich oft einsam und in Endlosschleifen mit ihren Gedanken rund ums Sterben, sehnen sich nach spirituellem Halt. Meist in der zweiten Lebenshälfte. Oder kurz vor dem Tod.
    Lisa Freund: "Wir brauchen eine geistige Vorbereitung und auch eine emotionale. Und die bekommen wir, wenn wir den Tod nicht als etwas sehen, das uns umbringt oder auslöscht, sondern wenn wir eine Vision entwickeln können, die über den Tod hinausgeht. Und das muss keine religiöse sein. Das kann eine Wahrnehmung sein, ich bin ein geistiges Wesen in einem menschlichen Körper. Und mit dieser Haltung gibt es etwas, was bleibt und etwas, was vergeht."
    Grenzerfahrungen
    Die 56-jährige Musikerin Mareike hält solche Überlegungen für wichtig. Und insbesondere davor hat sie Angst und denkt dabei nicht nur an sich, sondern auch an ihre alten Eltern, die aus dem Tod ein Tabu gemacht haben. "Wenn man in der Kirche ist, dann kommt der Pfarrer, der einen vielleicht gar nicht gekannt hat. Und ja, versucht sich schnell ein Bild zu machen und hält dann die Trauerrede oder predigt. Das kommt mir sehr unpersönlich vor. Es wäre schöner, so eine Feier mit nicht so ganz festgelegten Regeln zu veranstalten. Wo einfach alle nochmal zusammenkommen und ihre Gedanken äußern und dadurch, dass sie gerade so bewegt sind, auch ganz ehrlich was sagen, dass es fast eher ein Fest ist. Gemeinschaftserlebnis und eine Grenzerfahrung. "
    Grenzerfahrungen waren früher mit Ritualen verbunden - oft. Aber im Zeichen der Postmoderne ist auch Individualität in existenziellen Fragen gleichsam unausweichlich. Hinzu kommt: "Das reine Christentum, also in Anführungsstrichen, wenn es das überhaupt gab, ist nicht mehr. Wir sind multikulturell. Wir haben durch die Globalisierung und das Internet die unterschiedlichsten Einflüsse. Und das ist völlig egal, ob das christliche, islamische, jüdische oder ganz individuelle Ideen sind. Es geht einfach nur darum, als Bezugspunkt das zu finden, was ich brauche, damit ich ohne Probleme diesen Körper verlassen kann. Damit respektiert wird, dass ich zum Beispiel allein sein will, dass ich Ruhe brauche, dass ich einen bestimmten Menschen an meinem Bett haben möchte. Der soll ein Lied singen oder ein Gebet sprechen. Oder ich habe die Vorstellung, der soll gar nichts tun und still an meiner Seite sein. Oder er soll nicht direkt am Bett sitzen, sondern irgendwo im Raum sein. "
    So etwas kann man in seinem spirituellen Testament festhalten. Hilfreiche Fragebögen, wie man ein spirituelles Testament anlegen kann, kann man im Internet finden. Man sollte seine Gedanken konkretisieren, wie einen die Anwesenden im Sterbeprozess unterstützen sollten: "Das kann Gebet sein, das kann Meditation sein, das kann sein, dass ich mir eine Kraftquelle suche, also versuche, innerlich meine Ressourcen zu nähren. Zum Lebensende hin, wenn die Kraft nachlässt, gibt es oft innere Bilder. Das kann sein: die Erinnerung an die Kindheit, eine Situation von Geborgensein, an einen Sonnenuntergang. Und ich kann diese schöne Erfahrung nehmen, um in mir Frieden, gute Stimmung, Wohlbefinden zu schaffen. Und damit habe ich eine Kraftquelle. Ich muss nicht unbedingt ein Gebet nehmen oder Gott oder Buddha oder irgendjemand, oder irgendwas aus einer spirituellen Tradition. Es kann etwas sein, was in meinem Leben in mir Frieden, Vertrauen, Hingabe, Weite geschaffen hat."
    Was nach dem Tod geschehen soll
    Christiane hat ihrem spirituellen Testament Texte beigefügt: "Es gibt Texte, die mich sehr berühren, und die mich einfach sehr ruhig machen und sehr auf mich besinnend machen. Eigentlich ist es meine Vorstellung, dass ich davon was zusammenstelle an Texten, und dass meine Kinder zum Beispiel mir diese Texte einfach vorlesen. Auch vielleicht wenn ich in einem Zustand bin, wo sie meinen, dass ich nicht mehr aufnahmefähig wäre. Genau das würde ich mir wünschen, dass mir einfach diese Texte vorgelesen würden." Sie hat auch festgelegt, welche Rituale nach dem Sterben noch vollzogen werden sollen, welche nicht:
    "Früher gab es die drei Tage, die ein Körper in Ruhe liegen durfte. Und ich würde mir wünschen, dass meinem Körper und meinem Geist diese Gelegenheit gegeben wird. Dass ich nicht danach sofort in die Kühlkammer komme, diese üblichen Prozesse, von denen man so weiß, wie sie in Krankenhäusern stattfinden."
    Auch seinen Bestatter kann man schon zu Lebzeiten aussuchen. Es kann beruhigend sein, zu wissen, wie der Bestatter nach dem klinischen Tod mit Toten umgeht. Uller Gscheidel: "Der Tote ist durchaus präsent. Es ist nicht nur das, was er mit seinem toten Körper hinterlassen hat, sondern es ist ganz oft so, dass ich von meiner Wahrnehmung her, durchaus eine Präsenz noch verspüre. Es ist schon eine Kommunikation, aber eine Kommunikation jenseits einer sprachlichen Möglichkeit. Vielleicht einfach ein Gefühl, der braucht jetzt das oder das noch. Das ist was, worüber man ganz schwer kommunizieren kann auf der normalen Ebene von Gespräch."
    Der Sterbebegleiter Wilfried Reuter erlebt immer wieder, wie entlastend das spirituelle Testament ist: "Zum einen tut mir das selbst auch ganz gut, diese einzelnen Schritte mal durch zu gehen. Zum anderen mache ich es den Angehörigen leichter. Für die Angehörigen ist es wohltuend, wenn sie einen letzten Willen erfüllen können und über das Tun mit dem Verstorbenen in Berührung sein können."