Jochen Spengler: Der VW-Skandal weitet sich aus. Der Konzern selbst gab heute bekannt, dass 800.000 Fahrzeuge mehr Sprit verbrauchen und damit mehr CO2 ausstoßen, als offiziell angegeben, womit erstmals auch Benzinmotoren betroffen sind. Vor sieben Wochen hatte die US-Umweltbehörde die Diesel-Abgasmanipulation aufgedeckt und das Unternehmen in die Krise gestürzt. Es ging um elf Millionen Autos weltweit mit älteren Dieselmotoren zwischen 1,2 bis zwei Litern Hubraum. Jetzt aber behauptet die US-Behörde, dass auch neuere, größere Motoren der Oberklasse in Audi- und Porsche-Modellen zu niedrige Stickoxid-Werte vorspiegeln. VW widerspricht.
Am Telefon begrüße ich nun Oliver Krischer, stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion. Guten Abend, Herr Krischer.
Oliver Krischer: Guten Abend!
Spengler: Wir haben es gehört: Aussage steht gegen Aussage. Die US-Umweltbehörde beschuldigt VW, auch bei Dieselmotoren der Oberklasse, neuen Motoren eine Manipulations-Software eingesetzt zu haben. Der Konzern hält dagegen, sagt, wir haben kein Programm installiert, um die Abgaswerte in unzulässiger Weise zu verändern. Herr Krischer, wem glauben Sie?
Krischer: Ich glaube, die Glaubwürdigkeit von Volkswagen, die ist an der Stelle beschädigt, weil die haben die bisherigen Manipulationen ja lange Zeit nicht zugegeben und sind damit nicht an die Öffentlichkeit gegangen, haben das, obwohl es dann auch schon im Unternehmen breiter bekannt war, nicht veröffentlicht. Erst die EPA selber hat vor sechs Wochen ja dafür gesorgt, dass das Ganze öffentlich wird. Wenn jetzt die EPA wieder etwas veröffentlicht und Volkswagen sagt, das stimmt nicht, dann habe ich Zweifel, ob Volkswagen da die nötige Glaubwürdigkeit angesichts der Vorgeschichte hat, dass man das so einfach abtun kann.
"VW hat es ganz schlimm getrieben"
Spengler: Nun hat ja der Konzern einen neuen Chef, er hat einen Neuanfang versprochen, Aufklärung, Transparenz. Zählt das nicht?
Krischer: Ja, aber das ist genau der Chef, der für die Porsche verantwortlich ist, die jetzt in Rede stehen, und das sind alles Leute, die Teil des Systems waren. Ein wirklicher Neuanfang ist das ja bei Volkswagen auch nicht gewesen. Sicherlich hat man am Anfang jetzt die Versäumnisse zugegeben, aber dieser sehr deutliche Widerspruch, den es jetzt gibt, obwohl die EPA ja sehr eindeutig und sehr klar ist und bei den bisherigen Enthüllungen zum Thema VW ja offensichtlich genau am Punkt gelegen hat und nichts Falsches gesagt hat, das lässt mich dann schon ein bisschen zweifeln an der Glaubwürdigkeit von VW. Und ich glaube, wenn sich herausstellen sollte - und ich befürchte das, dass die EPA recht hat -, dann wird es jetzt ganz, ganz schlimm für Volkswagen.
Spengler: Wie kann man sich so was eigentlich erklären? Ich habe noch mal nachgelesen. Es gibt jede Menge Wirtschafts- und Autoexperten, die VW vorwerfen, dass der Konzern noch immer mauert, immer nur das Nötigste preisgibt, Probleme kleinredet, von Journalisten etwa verlangt, nur noch schriftlich eingereichte Fragen zu stellen. Wie erklären Sie sich das? Kann das sein, dass der Konzern den Ernst der Lage einfach nicht erkannt hat?
Krischer: Wir haben in der Automobilindustrie - und das betrifft leider nicht nur VW - seit Jahren eine Kultur, dass es völlig selbstverständlich ist, dass die Grenzwerte auf der Straße nicht eingehalten werden, dass man auf irgendwelchen Prüfständen das dann nachweist und dass einen die Leute sogar aus der Automobilindustrie ganz entgeistert fragen, wie, ihr habt erwartet, dass wir die Werte auf der Straße einhalten, wie kommt ihr darauf. Das ist eine Kultur, die sich dort entwickelt hat, die meines Erachtens von Arroganz ein Stück weit geprägt war nach dem Motto, wenn es Regeln gibt, gut, dann müssen wir uns im Zweifelsfall nicht daran halten, man darf es dann nicht so besonders toll treiben. VW hat es jetzt ganz schlimm getrieben und deshalb ist man am Ende in den USA ja auch auf die Nase gefallen damit, weil sie dann wirklich auch in den illegalen Bereich gegangen sind. Aber das ist einfach das Problem, dass hier eine Branche unterwegs ist, die offensichtlich nicht in der Lage ist, substanzielle Selbstkritik zu üben und zu sagen, da ist bei uns grundsätzlich was schiefgelaufen.
"Für eine klare und eindeutige Überwachung des Staates sorgen"
Spengler: Angenommen, an den neuen Vorwürfen wäre was dran, was Sie vermuten, Sie haben schon angedeutet, das hätte schlimme Folgen. Welche denn?
Krischer: Ich sage mal, wenn wir jetzt an dem Punkt sind, dass Volkswagen das jetzt abstreitet und nachher eingestehen muss, man wusste das auch schon und hat es dann nicht gesagt, dann ist die Glaubwürdigkeit ja nun endlich dahin. Welcher Käufer soll diesem Automobilunternehmen dann noch irgendetwas glauben? Wir dürfen auch nicht vergessen: Hier geht es um ein Thema, wo in Deutschland pro Jahr 7.000 Menschen dran sterben, an Emissionen aus dem Straßenverkehr, und das sind in wesentlichen Teilen die Stickoxide. Da finde ich es, ehrlich gesagt, ein bisschen zynisch, dass die ganze Branche offensichtlich nonchalante immer hingenommen hat, okay, da gibt es ein paar Grenzwerte, aber auf der Straße müssen die nicht eingehalten werden.
Spengler: Nachgewiesen ist es im Augenblick nur bei VW. - Sie haben in einer Pressemitteilung davon gesprochen, dass es ein Armutszeugnis auch für die Bundesregierung sei. Wieso?
Krischer: Wir hatten gestern eine Anhörung im Verkehrsausschuss im Bundestag und da ist deutlich geworden vom Präsidenten des Kraftfahrtbundesamtes, dass es überhaupt keine staatlichen Kontrollen gibt bei dem Thema Abgase. Man lässt die Automobilindustrie sich selber prüfen, die kommen dann mit irgendwelchen Prüfberichten und dann macht man einen Stempel darauf und dann war es das. Hier gibt es keine staatliche Überprüfung mehr, so wie wir das in anderen Bereichen kennen, und das ist meines Erachtens die tiefere Wurzel des Übels, dass man einfach hier den Staat quasi abgeschafft hat als derjenige, der eigentlich für die Einhaltung der Regeln sorgen muss, und das hat dazu geführt, dass die Automobilindustrie in diese Betrügereien gelaufen ist. Eigentlich müsste es jetzt das Zeichen der Zeit sein, die Konzerne vor sich selber zu schützen und ihren eigenen Machenschaften und für eine klare und eindeutige und auch strenge Überwachung des Staates zu sorgen.
"Möglicherweise erst die Spitze des Eisbergs"
Spengler: Nun hat doch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt eine Expertenkommission einberufen. Er war letzte Woche in den USA. Er hat sich mit den dortigen Behörden auf eine Zusammenarbeit verständigt. Was denn noch?
Krischer: Ja! Es ist ja interessant, dass Herr Dobrindt letzte Woche in den USA war, wir bis heute nichts wissen, was dort eigentlich besprochen und vereinbart worden ist. Das einzige, was ich auf der Internetseite des Verkehrsministeriums finde, ist, dass Herr Dobrindt im Google-Auto durch Kalifornien gefahren ist. Was nun die Ergebnisse dieser Reise waren, wissen wir nicht. Und dass die EPA gestern dann mit den neuen Enthüllungen rausgegangen ist, spricht ja nicht dafür, dass man mit Herrn Dobrindt besonders vertrauensvoll gesprochen hat. Insofern ist das ganze Handeln von Herrn Dobrindt mehr so ein bisschen auf Show angelegt. Wir haben eine Kommission, die seit mehreren Wochen arbeitet. Wir kennen nicht einmal ihren genauen Untersuchungsauftrag, geschweige denn irgendwelche Ergebnisse. Wir haben keinen einzigen Vorschlag sechs Wochen nach Beginn des Skandals, welche strukturellen Änderungen es denn geben soll bei der Kontrolle der Automobilindustrie und bei der Einhaltung von Stickoxid-Werten in unseren Städten. Angesichts der Enthüllung der EPA und der ganz neuen Geschichte von heute Abend, dass VW jetzt selber auch noch zugibt, dass bei den CO2-Werten, also bei den Kohlendioxid-Werten manipuliert worden ist, zeigt ja, dass die Geschichte nicht zu Ende ist, sondern wir möglicherweise es erst mit der Spitze des Eisbergs zu tun haben.
Spengler: Das war die Meinung von Oliver Krischer, Verkehrsexperte der Grünen. Das Gespräch mit ihm haben wir am frühen Abend aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.