Es ist eine alte Diskussion, die durch neue Zahlen neue Nahrung bekommt. Immer mehr Kindergeld wird ins Ausland gezahlt. Der Deutsche Städtetag dringt deshalb auf eine Reform. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy fordert gegenüber der dpa, die Höhe der Leistung an den Lebenshaltungskosten im Empfangsland zu bemessen.
Im vergangenen halben Jahr ist die Zahl der Kinder, die Leistungen erhalten und außerhalb Deutschlands in der EU oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben, um zehn Prozent gestiegen, von gut 240.000 auf knapp 270.000. Diese Zahlen hat die Deutsche Presseagentur beim Bundesfinanzministerium erfragt, die außerdem Stellungnahmen von Kommunalpolitikern vor allem in Nordrhein-Westfalen einholte. Besonders dort wird die Zahlung ins Ausland als Problem gesehen.
Gezielte Migration in Sozialsysteme?
Mehrere Oberbürgermeister sprechen von einer gezielten Migration in die Sozialsysteme. Die Bundesregierung verschlafe das Problem, kritisiert Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link, SPD. Tatsächlich bemühen sich Bundesregierungen seit Jahren, das Phänomen anzugehen, das unterschiedlich bewertet wird, je nachdem welche Kindergeldempfänger man in den Blick nimmt.
Sigmar Gabriel beschrieb es als SPD-Chef vor eineinhalb Jahren so: "Es geht darum, dass es Menschen gibt, die Schrottimmobilien aufkaufen, diese Schrottimmobilien zu unmöglichen Wohnbedingungen an EU-Bürgerinnen und Bürger im Wesentlichen aus Rumänien und Bulgarien vermieten. Und die Menschen haben zum Teil Kinder, die sie aber nicht mitbringen. Und derzeit beziehen sie dafür Kindergeld auf deutschem Niveau. Und darüber finanzieren sich diese Form von Menschenhändlern, die EU-Bürger aus diesen Ländern im Wesentlichen hierher bringen, damit sie das Kindergeld abkassieren können."
Nur erwerbstätige Eltern haben Anrecht
Das ist die eine Sichtweise, die allerdings ein schiefes Bild vermittelt. Denn das Kindergeld ist keine soziale Wohltat, sondern eine steuerliche Regelung, die allen erwerbstätigen Eltern im Land zusteht – und nur erwerbstätigen Eltern, ganz gleich, wo die Kinder ihren Wohnsitz haben. Nach europäischem Recht gilt dabei das Prinzip der Gleichbehandlung.
Marianne Thyssen, die zuständige EU-Sozialkommissarin, betonte deshalb schon Ende 2016: "Wir werden die Vorschriften zum Kindergeld beibehalten. Eine solche Kürzung ist jemandem, der für seine Arbeit normal Steuern zahlt, doch überhaupt nicht zu vermitteln. Und wenn der Leitsatz gilt: Gleiches Geld für gleiche Arbeit, dann ist es doch nur logisch, wenn wir auch sagen: Gleiches Kindergeld für gleiche Steuerabgaben."
Das war der vorläufige Schlusspunkt unter eine längere Debatte. Zuvor hatten sich nicht nur Deutschland, sondern auch Großbritannien und Österreich jahrelang um Änderungen des europäischen Rechts bemüht. So verkündete Thomas de Maiziere als Bundesinnenminister schon vor vier Jahren: "Klarer gesagt: Wir wollen prüfen, ob - wenn die Eltern in Deutschland und die Kinder in Bulgarien sind - die Höhe des Kindergeldes sich nach bulgarischem Recht richten könnte. Das ist rechtlich kein einfacher Vorgang in Zusammenhang mit dem EU-Recht."
Lösung auf europäischer Ebene steht aus
Der Vorgang stellte sich als zu schwierig heraus – weil die EU nicht mitmachen wollte. Bewegung gab es im Zuge der Brexit-Diskussion. Im Vorfeld der Abstimmung der Briten wollte Brüssel den dortigen Kritikern entgegenkommen – mit flankierender Hilfe aus Berlin von Kanzlerin Angela Merkel. "So wie die Dinge laufen, werden wir das jetzt in der Koalition überlegen, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir das für Deutschland auch durchsetzen."
Mit dem Austritt Großbritanniens allerdings hatte sich das Entgegenkommen wieder erledigt. Wolfgang Schäuble plante daraufhin als Bundesfinanzminister den nationalen Alleingang. So sehr auch die SPD die Leistungen ins Ausland als Problem ansah, wollte sie das aber nicht mitmachen. Eine Lösung läge weiterhin auf europäischer Ebene. Der Koalitionsvertrag sieht keine weiteren Maßnahmen vor.