"Den Menschen hier geht es immer schlechter. Das wollen die politisch Verantwortlichen nicht erkennen. Schauen Sie sich doch um! Was meinen Sie, wie viele Leute in Italien Probleme haben, sich ausreichend mit Lebensmitteln einzudecken. Die haben einfach nicht genügend Geld! Wie viele suchen einen Job, eine Unterkunft?!"
Don Matteo Zuppi nimmt kein Blatt vor den Mund. Wenn der katholische Geistliche erst einmal ins Reden kommt, etwa wenn man mit ihm morgens, recht früh, einen Espresso in einer Kaffeebar im historischen Zentrum von Bologna trinkt, dann ist er nur schwer zu stoppen.
"Man muss etwas tun. Schluss machen mit dem Gequatsche, den Versprechungen. Handeln ist angesagt! Wenn man schon nichts tut, dann sollte man die Klappe halten. Das Resultat: Immer mehr Menschen glauben den Politikern doch gar nichts mehr."
Don Zuppi schaut auf seine Armbanduhr, wundert sich, wie spät es schon ist, und erklärt, dass er los muss, zu seinem ersten Vormittagstermin, mit einer Gruppe von Mitarbeitern der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Es geht um die Situation in Auffanglagern für Migranten aus Syrien und Afrika. Amnesty International hofft, im Bischof von Bologna einen Ansprechpartner zu finden, um einige dutzend Migranten aus dem städtischen Auffanglager in Wohnungen unterzubringen, die der Diözese gehören. "Da werden wir schon was finden!", sagt Don Zuppi beim Abschied, schwingt sich auf sein Fahrrad, das er aus Rom mitgebracht hat, winkt – und schon ist er davon.
Der ungewöhnlichste Bischof Italiens
Vor ein paar Monaten – im vergangenen Dezember – bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als neuer Bischof von Bologna: Da schlug dem römischen Geistlichen Don Matteo Volksfestatmosphäre entgegen – erst auf dem Platz vor der Basilika des Heiligen Petronius und dann im Gotteshaus. Menschen aller Altersgruppen und Konfessionen bejubelten den Straßenpriester, der nun Bischof war.
Ein Bischof, der, dazu auch noch standesgemäß gekleidet, mit Kindern und Erwachsenen scherzt, der in die Hocke geht, um mit den Kleinsten zu plaudern, der Witze erzählt. Das hat es in Bologna noch nicht gegeben. Unvergessen sind Zuppis Vorgänger, die erzkonservativen Bischöfe Giacomo Biffi und Carlo Caffarra, die immer wieder gegen Homosexuelle, Nichtchristen, gegen zivile Lebenspartnerschaften und Minarette wetterten. Als im traditionell links regierten Bologna die Stadtväter auch gleichgeschlechtlichen Paaren städtische Sozialwohnungen vermieten wollten, liefen die Bischöfe Sturm, und beschworen den Untergang des christlichen Abendlandes.
Mit Don Zuppi, dem Armenpriester aus Rom, das hofften Linkspolitiker und Linkswähler, werde endlich ein aufgeschlossener Geistlicher in einer der wichtigsten Diözese Italiens das Ruder übernehmen. Und sie wurden in ihrer Hoffnung nicht enttäuscht. Zuppi ist heute der wohl ungewöhnlichste Bischof Italiens.
"Bischofs-Revolution des Papstes"
Mit seiner vollkommen überraschenden Nominierung Ende 2015 setzte Papst Franziskus ganz bewusst ein Zeichen – zum Entsetzen der konservativen Bischofskollegen. Ein solches Zeichen setzte Franziskus auch in Palermo. Dort ernannte er einen so gut wie unbekannten Kleinstadtgeistlichen zum neuen Bischof dieser großen Diözese. Italiens Medien sprechen deshalb von der "Bischofs-Revolution des Papstes". Franziskus gab den neuen Bischöfen folgende Worte mit auf den Weg:
"Ich will keine grauen Bischöfe, keine Pessimisten, die nur auf sich selbst konzentriert sind. Liebt das Volk, um das ihr euch kümmern sollt!"
Worte, die Bischof Zuppi aus dem Herzen sprechen. Er hatte gleich nach der Wahl von Papst Franziskus begriffen, dass mit dem Argentinier ein frischer Wind durch die katholische Kirche wehen wird. Ein Reformwillen, für den auch der 60jährige Zuppi schon sein Leben lang kämpft.
Der studierte Theologe und Philosoph machte sich einen Namen vor allem durch seine enge Zusammenarbeit mit der katholischen Laienorganisation Sant’Egidio, die ihren Hauptsitz im römischen Stadtviertel Trastevere hat. Zuppi wurde zum Synonym des sozial engagierten Geistlichen, der keine Berührungsängste hat. Don Zuppi wurde so zu einem "prete di strada", wie man in Italien jene Priester nennt, die vor allem auf der Straße, unter freiem Himmel, tätig sind, um sich dort um die sozial Ausgeschlossenen zu kümmern. Zuppi will, dass man in Bologna nicht den, "fernen Bischof in seinem Palast" in ihm sieht, sondern einen Ansprechpartner für alle Probleme. Um den Zugang zu ihm zu erleichtern, wohnt er nicht im Bischofspalast, sondern in einem Priesterkolleg, in dem rund um die Uhr die Türen offen stehen.
Don Matteo Zuppi: "Ich denke, man hat mich als Bischof ausgewählt, weil ich versuche, konkret das Evangelium zu leben. Das Evangelium gibt konkrete Antworten auf konkrete Fragen der Menschen. Es geht doch um die Barmherzigkeit."