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Neuer Chef beim "Cicero"

Christoph Schwennicke, er ist neuer Chefredakteur von "Cicero"- dem Magazin für politische Kultur. Christoph Schwennicke kommt von der Süddeutschen Zeitung und war zuletzt beim Spiegel. Für seine neue Aufgabe bei Cicero hat er sich einiges vorgenommen.

Von Norbert Seitz |
    "Ich glaube, Cicero muss dahin kommen, dass man es als Welt-Erklärer begreift, als Erklärer der Welt, in der wir uns bewegen. Für meine Begriffe muss das Ziel darin bestehen, selber Debatten anzustoßen, thematisch Avantgarde zu sein und über das hinaus zu blicken, was die Tages- und Wochenzeitungen tun."

    "Avantgarde", "Welterklärer" – ein bisschen viel Anspruch auf einmal, den Christoph Schwennicke sich da auf die Schultern lädt. Immerhin ist er bereits der dritte Chefredakteur von "Cicero", der sich beweisen muss, seit der Schweizer Ringier Verlag das Politmagazin 2004 in der Berliner Hauptstadtszene auf den Markt warf. Während seine beiden Vorgänger, der katholische Neokonservative Wolfram Weimer und Schröders linksliberaler Ex-Minister, Michael Naumann, politisch fest zu verorten sind, bewegt sich der 46jährige liberale Schwabe jenseits der sattsam bekannten Lagermuster und alarmistischen Feindbilder:

    "Ich persönlich halte nicht viel von diesen gesäßgeografischen Verortungen. Ich sage, Cicero soll sein wie Joachim Gauck. Unser neuer Bundespräsident sagt von sich, er sei links, liberal und konservativ."

    Mit solcher Mischung aus missionarischer Witterung und bloßer Ranschmeiße dürfte ihm nicht nur der Applaus seines ehrgeizigen Verlags sondern auch gängige Kampfpolemik wie jene von der "postmodernen Beliebigkeit " oder dem "neoliberalen Zeitgeist" sicher sein. Doch der frühere Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" und des "Spiegel" lässt sich davon nicht beeindrucken. Denn er sieht sich und sein Blatt in anderen Sphären:

    "Ein Monatsmagazin muss sich und soll sich freimachen vom Hyperventilieren der Tageszeitungen, die übrigens immer mehr dem Takt der Online-Medien erliegen. Und auch bei den Wochenzeitungen erlebe ich diesen Trend. Die Kunst, abstrakt gesagt, besteht für meine Begriffe darin, dieses Oberflächen-Gekräusel stattfinden zu lassen, und eher nach den entscheidenden Grundströmungen zu gucken, die möglicherweise dabei zu kurz kommen."

    Eine erste Kostprobe darauf liefert Schwennicke dem Leser in seinem Antrittstext über das "Geheimnis der Glucke" im Kanzleramt. So glaubt er, dass wir noch länger an Angela Merkel haben werden als es uns die Anzählversuche von links bis rechts nach den jüngsten Denkzetteln bei Wahlen im In- und Ausland glauben machen wollen:

    Angela Merkel mag die Essenz der Macht, die schiere Macht. Die verschafft ihr Satisfaktion, der Rest ist unwichtig. Sie hat in sieben Jahren Kanzlerschaft den politischen Gegner dehydriert. Wie Dörrpflaumen sahen Grüne und SPD phasenweise aus, Dörrpflaumen, denen Merkel alle lebenswichtigen Themen wegregiert hat.

    Vor allem lässt sich nicht leugnen:

    Düsseldorf ist nicht Berlin, die FDP nicht tot, und vor allem: Merkel ist nicht Röttgen und nicht in der Verfassung eines Helmut Kohl ein Jahr vor dessen Niederlage gegen Schröder. Damals machte sich das Gefühl übermächtig breit: Der muss weg. Von dieser Wechselstimmung 1997 ist Deutschland 2012 weit entfernt.

    Bei solchen Einschätzungen beruft sich der neue Cicero-Chef gern auf Gespräche mit Zeitzeugen, die ihm wichtiger erscheinen als verkopfte intellektuelle Stücke zur Tagespolitik. Sein Vorgänger Naumann hatte auf eine closed society aus früheren Zeit- und Spiegel-Redakteuren gesetzt, die das optisch aufgestylte Blatt mit viel zu vielen Porträts, besonders öde darunter jene über Fraktionsgeschäftsführer, zu füllen versuchten. Nachfolger Schwennicke hält dagegen mehr von lebendigen Reportagen mit Exkursionen vor Ort:

    "Ich glaube, dass es gut ist, wenn man immer wieder raus ins Feld geht, Anschauungen sammelt. Da glaube ich, kann man bei Cicero noch ein bisschen mehr tun in dieser Hinsicht, damit das Heft nicht zu sehr voll ist mit Kopfgeburten, also aus Stücken, die in der Denkstube entstanden sind. Aber gelegentlich dieselbe zu verlassen und sich die Dinge vor Ort anzuschauen, tut dem Text gut, tut dem Heft gut, und das ist das, was ich mit Eleganz, Sinnlichkeit meine."

    Fehlte zur Komplettierung eines möglichst non-konformen Images eigentlich nur noch er Anspruch, "tabufrei und provokant" sein zu wollen. Befragt, welches Tabu ihm dabei zuerst in den Sinn komme, ist der Neue bei Cicero offenbar geneigt, sich auch auf das spiegelglatte Terrain der political correctness zu begeben:

    "Ich glaube, dass Deutschland bis heute mit Hitler komisch umgeht (…) Für mich war symptomatisch der Streit um die Frage "Darf 'Mein Kampf' nun hier veröffentlicht werden oder nicht?" Was ein britischer Verleger versucht hat durchzusetzen. Ich kann nicht sehen, was schlecht daran wäre für die Aufklärung, wenn dieses Buch im Original nachzulesen wäre."

    So steht der neue Cicero vor dem schwierigen Spagat, das Image eines Hauptstadt-Nischenblatts loswerden zu wollen, ohne es mit einer anspruchsvollen Debattenkultur übertreiben zu dürfen.