Alexander Winterstein hatte es nicht leicht. Eine Stunde lang grillten die Journalisten den stellvertretenden Sprecher der EU-Kommission. "Vielleicht könnten Sie noch mal ein paar Details dieses faszinierenden Verfahrens nennen?", fragte einer. "If you could flash out some of the details of this very very intriguing procedure?"
"It is the first time that someone finds our procedure intriguing." "Es ist wirklich das erste Mal das jemand unser internes Verfahren faszinierend findet", gab Winterstein zurück. Nichts daran sei faszinierend, dann erläuterte er ausführlich, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei, als Martin Selmayr durch Jean Claude Juncker vom Posten des Kabinettschefs auf den des Generalsekretärs der Kommission befördert wurde.
"Ich habe ihn ausgewählt, weil ich denke, er hat das Wissen und die Kompetenz eine solche europäische Verwaltung zu leiten."
Beförderung im Eiltempo
Das war am Mittwochmorgen vergangener Woche. Kurz nach Beginn der Kommissionsitzung lag das Rücktrittsgesuch vom bisherigen Generaldirektor Alexander Italianer vor. Innerhalb weniger Minuten wurde Martin Selmayr als Nachfolger vorgeschlagen. Das angeblich überrumpelte Kommissions-Kollegium stimmte geschlossen zu.
Weder war von einem bevorstehenden Rücktritt Italianers vorher etwas bekannt geworden, noch über die Absicht den vakanten Posten - eins, zwei, drei - mit Junckers Kabinettschef Martin Selmayr zu besetzen.
"It is simply this secrecy, which inspires to a lack of confidence." "Es ist diese Geheimhaltung, die zu einem Mangel an Vertrauen führt", klagte ein anderer Kollege in der Pressekonferenz ins Saal-Mikrofon. Und das ist nur einer der Aspekte, die seit dem in Brüssel diskutiert werden.
Konnte das Kommissions-Kollegium binnen 20 Minuten eine so wichtige Personalentscheidung ausreichend diskutieren? Wann wurden die Kommissare informiert? Und wann wusste Martin Selmayr etwas von dem frei werdenden Posten? Die bevorstehende Vakanz hielt Jean Claude Juncker nach eigenem Bekennen bis zuletzt geheim.
Die Kommission sieht keine Probleme
Für Misstrauen sorgte dann allerdings, dass sich Selmayr bereits Ende Januar auf den Posten des stellvertretenden Generalsekretärs beworben hatte, im Eiltempo die entsprechende Prozedur durchlief und während der Kommissionsitzung am 21. Februar quasi im Minutentakt von einer Position auf die nächste befördert wurde.
Dabei war die Vorgehensweise gerade dazu gedacht, dem Ganzen einen korrekten Anstrich zu verleihen. Nach Auffassung der Kommission wäre noch nicht mal der Umweg über den stellvertretenden Generalsekretärs-Posten nötig gewesen.
Der für Personal zuständige Haushaltskommissar Günther Oettinger war offenbar auch erst kurzfristig eingeweiht worden und hatte am Tag vor der Entscheidung ein Gespräch mit dem Bewerber geführt.
Wie die Zeitung "Le Soir" berichtet, hatte Martin Selmayr bereits Ende vergangenen Jahres Kenntnis von der frei werdenden Spitzenposition. Die Grünen im Europaparlament wollen das Verfahren im Haushaltskontroll-Ausschuss überprüfen lassen. Sven Giegold spricht von einer Nacht-und Nebel-Aktion:
"Man kann verstehen, dass es ein gewisses Maß an Diskretion in solchen Fragen geben muss. Gleichzeitig glaube ich, dass es doch besser wäre, wenn Spitzenpositionen in offenen Ausschreibungen vergeben würden. Dann würden so viele kritische Fragen nicht gestellt werden. Und auch die Kurzfristigkeit der Entscheidung passt nicht zur der Art und Weise, wie so ein Gremium eigentlich miteinander arbeiten sollte."
EU-weites Interesse
Das große Interesse an dem Fall speist sich aus zwei weiteren Quellen. Zum einen aus der Machtfülle mit der der bürokratisch klingende Posten des Generalsekretärs der Kommission tatsächlich ausgestattet ist. Dieser ist nicht nur Chef von 30.000 Mitarbeitern, sondern entscheidet auch darüber, welche Themen zu welchem Zeitpunkt auf die Tagesordnung der Kommission gesetzt werden. Das Amt wird je nach Persönlichkeit ausgestaltet.
Und das führt zur anderen Quelle der unbequemen Fragen. Martin Selmayr gilt einerseits als ein akribisch wie effektiv arbeitender Beamter, andererseits als jemand, der im Hintergrund durchsetzungsstark und machtbewusst die Fäden zieht. Und von dem sich der ein oder andere eingeschüchtert fühlt.
Die Personalie hat aber noch einen weiteren Aspekt. Es waren nicht umsonst Journalisten anderer europäischen Staaten, die die Causa Selmayr so kritisch aufspießten und - wie etwa die französische Liberation - von "Staatsstreich" schrieben.
Ein weiterer Deutscher auf einem so einflussreichen Posten - und dann noch dieser Deutsche? Das scheint manchem zu missfallen. Martin Selmayr als Berliner Unterseebot im Brüsseler Kommissionsbetrieb? Haushaltskommissar Günther Oettinger weist das strikt zurück:
"Der Martin Selmayr ist zwar ein Deutscher, aber mit Sicherheit kein 'undercover agent' der deutschen Politik."
Und auch der SPD Abgeordnete Jens Geier kann zumindest diese Kritik am CDU-nahen Martin Selmayr nicht nachvollziehen.
"Selmayr nur abzulehnen, weil er Deutscher ist, ist Quatsch. Das Verfahren ist schräg, und es ist eine Dankbarkeitsnummer von Juncker gegenüber seinem wichtigsten Gefolgsmann. Das ist es, was es zu kritisieren gibt."
Nicht nur den Haushaltskontroll-Ausschuss wird der Fall beschäftigen. Grüne und Linke haben zum Verfahren inzwischen auch eine parlamentarische Anfrage an die Kommission gestellt.