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Neuer Eurogruppenchef Donohoe
Giegold (Grüne): Europa braucht eine gemeinsame Finanzpolitik

Irlands Finanzminister Paschal Donohoe ist neuer Eurogruppenchef. Donohoe stehe unter Beobachtung, weil Irland als Steueroase in Europa Unternehmenssteuerdumping betreibe, sagte der Grünen-Politiker Sven Giegold im Dlf. Um aus der Coronakrise herauszukommen, brauche Europa dringend eine gemeinsame Finanzpolitik.

Sven Giegold im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Sven Giegold im Mai 2019 bie einer Bundespressekonferenz
Steuertransparenz sei in der europäischen Gesetzgebung zuletzt auch an Irland gescheitert, sagte Sven Giegold (Grüne) im Dlf (imago / Jürgen Heinrich)
Die Wahl des irischen Finanzministers Paschal Donohoe zum neuen Eurogruppenchef war eine Überraschung. Die favorisierte Spanierin hat das Rennen nicht gemacht, obwohl sie sowohl von Deutschland als auch von Frankreich unterstützt wurde. Donohoe steht vor einigen Herausforderungen, wie der Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold, im Dlf sagte.
Der irische Finanzminister Pascal Donohoe wird neuer Vorsitzender der Eurogruppe
Der irische Finanzminister Pascal Donohoe ist neuer Leiter der Eurogruppe: des informellen Gremiums der 19 Staaten in der Währungsunion (picture-alliance/dpa)
Jürgen Zurheide: Herr Giegold, der neue Mann, der neue Eurogruppenchef, der überraschend gewählt worden ist, hat in einem der ersten Interviews gesagt, er will mehr Transparenz schaffen. Welche Transparenz sollte er denn schaffen?
Sven Giegold: Am besten wäre natürlich, wenn er endlich dafür sorgen würde, dass wir Steuertransparenz in Europa bekommen. Die hat die EU-Kommission ja vorgeschlagen und die ist damals unter anderem an Irland und Deutschland und einigen anderen Ländern gescheitert und liegt seitdem auf Eis in der Gesetzgebung. Aber jenseits dessen – natürlich: Er kommt aus einer Steueroase in Europa. Ich gratuliere ihm natürlich zur Wahl. Aber er steht natürlich unter Beobachtung. Jeder hat aber eine Chance verdient.
"Irland steht für groß angelegtes Unternehmenssteuer-Dumping"
Zurheide: Wofür steht Irland?
Giegold: Irland steht in der Finanzpolitik für zwei Dinge. Zum einen hat es Irland geschafft, nach der Finanzkrise wieder auf die Beine zu kommen. Das muss man anerkennen. Gleichzeitig steht Irland natürlich für groß angelegtes Unternehmenssteuer-Dumping in Europa. Etliche der notorischsten Steuer-Dumping-Firmen haben ihren Sitz in Irland, weil die Bedingungen genauso sind, dass man damit im europäischen Binnenmarkt Geld verdienen kann, dann aber niedrig in Irland versteuert.
Eine Hand hält ein schwarzes iPhone. Auf dem Display ist das Apple-Logo, ein weißer Apfel, zu sehen.
Europa und die Steuerflucht
Apple in Irland kaum Unternehmenssteuern abführen. Möglich ist das, weil EU-Staaten sich zu Steueroasen machen. Die EU will das ändern – doch bei 28 Finanzministern ist das schwierig.
Zurheide: Jetzt möchte ich mit Ihnen erst mal grundsätzlich, bevor wir über den neuen Mann reden und seine Aufgaben, fragen: Was müsste in Europa denn eigentlich geregelt werden? Wir reden alle immer über Corona. Das werden wir gleich auch tun. Aber ich würde den Blick gerne weiten, außerhalb von Corona und der Debatte über die Hilfen, Kredite oder nicht. Was müsste in Europa eigentlich im Moment passieren?
Giegold: Ja! Ich denke, grundsätzlich ist so entscheidend, dass wir jetzt gemeinsam aus der Krise wieder herauskommen. Viele Menschen sind gestorben. In vielen Teilen liegt die Wirtschaft danieder. Wir haben neue Arbeitslosigkeit und eine Spaltung zwischen den Ländern. Das heißt, Deutschland kommt aufgrund seiner Finanzstärke relativ wirtschaftlich gut aus der Krise, auch wenn das auch schlimme Zustände sind, aber in anderen Ländern sieht es noch stärker so aus. Deshalb muss dieser Wiederaufbaufonds jetzt kommen und der muss so kommen, dass damit in die Zukunft investiert wird, gleichzeitig Klimaschutz und Digitalisierung vorangetrieben werden und wir nicht die Verschuldung der ohnehin geschwächten Länder wieder nach oben treiben. Das ist die entscheidende Aufgabe. Und wichtig ist natürlich, dass das keine Eintagsfliege bleibt, sondern die deutsche Ratspräsidentschaft wird sich auch daran messen lassen müssen, ob es jetzt nur einmal eine Art Krisenreaktionsprogramm gibt, oder ob wir auf Dauer eine gestärkte Wirtschafts-und Währungsunion bekommen, und genau das brauchen wir.
Zurheide: Dann bleiben wir im Moment noch mal bei den Coronahilfen. Da ist ja die spannende Frage: Kredite auf der einen Seite, oder Zuschüsse auf der anderen Seite. Da gibt es immer noch beide Positionen. Der scheidende Eurogruppenchef, der Portugiese, hat ja noch mal gesagt, auch am Ende als Hinweis für seinen Nachfolger, die Hilfsmaßnahmen sollten nicht überstürzt zurückgefahren werden. Ist das ungewöhnlich, dass er das so deutlich sagt?
"Es geht um Mindeststeuersätze und damit Steuergerechtigkeit"
Giegold: Ja. – Erst mal muss man ja sagen: An Irland scheitert es ja gar nicht. Das muss man auch Paschal Donohoe sagen. Irland ist wie auch Frankreich, Deutschland und viele andere Länder in Europa – es sind ja nur ganz wenige – dafür, dass die Hilfsprogramme auf Basis von Zuschüssen vergeben werden, zumindest im Wesentlichen. Das stellt allerdings die Frage, wenn man die Gelder ausgibt, wie man die Kassen danach wieder füllt, und da ist in Irland leider bisher eine Blockadehaltung vorhanden. Man ist gegen stärkere gemeinsame Steuerpolitik und da erwarten wir natürlich jetzt Fortschritte. Denn nur wenn wir eine gemeinsame Steuerpolitik machen, kommen wir aus der Verschuldung wieder raus. Wir können ja nicht wollen, dass zukünftige Generationen die Konsequenzen dieser Krise dann alleine zu bewältigen haben.
Die Sterne für die Europäische Union werden an einem Aussichtsballon angebracht.
Eurozone - Was Europas Norden vom Süden trennt
Der Süden Europas lebt auf Pump, die nordeuropäischen Länder suchen Stabilität und wollen nicht für die Südländer geradestehen. Diese Stereotypen lähmen bis heute Reform der Eurozone.
Zurheide: Wobei gemeinsame Steuerpolitik heißt für Sie Steuererhöhungen?
Giegold: Das heißt für mich Mindeststeuersätze und damit Steuergerechtigkeit. Das heißt: Im Moment haben wir eine einseitige Absenkung von Steuern für bestimmte Unternehmen. Da sind sich in Europa ja die allermeisten Menschen völlig einig. Das sagen alle Umfragen. Auch Apple, Google, aber auch Unternehmen wie die deutsche BASF und viele andere, die Steuer-Dumping-Möglichkeiten Europas nutzen, die sollen genauso gerechte Steuern bezahlen wie alle anderen auch. Es geht hier auch um fairen Wettbewerb. Und gleichzeitig hilft das, die Kassen auszugleichen, ohne dass man wieder die Steuern für den Mittelstand oder gar die Verbrauchssteuern für die kleinen Leute dann erhöhen muss.
Zurheide: Auf der anderen Seite: Scheitert das wirklich an Europa, oder müssen wir da nicht über den großen Teich gucken?
"Wir haben immer noch keine Digitalsteuer in Europa"
Giegold: Ja, das ist eine ganz interessante Geschichte, weil eines der ersten Dinge, die Donald Trump gemacht hat, war eine große Unternehmenssteuerreform. Er hat in Europa nicht um Erlaubnis gefragt. Als Europa eine Digitalsteuer einführen wollte, die EU-Kommission das vorgeschlagen hat, alle großen Mitgliedsländer dafür waren, außer Deutschland, haben wir dann gesagt: Nein, nein, bloß nicht, das verärgert Amerika. Deshalb wurden die Verhandlungen in die OECD verlagert. Dort ist jetzt gerade vor einigen Wochen die Regierung von Donald Trump aus den Verhandlungen ausgestiegen. Das Ganze hat uns zehn Milliarden Euro gekostet. Mitverantwortlich ist hier übrigens auch Olaf Scholz, der da genauso gebremst hat, wie die CDU/CSU in Berlin. Das ist höchst ärgerlich, weil wir haben immer noch keine Digitalsteuer in Europa.
Zurheide: Kommen wir zurück zu der Frage Kredite oder Zuschüsse. Vieles hängt natürlich davon ab, auch bei allem Wohlwollen für Länder im Süden, die vielleicht Hilfe brauchen, dass das Geld dann gelegentlich versickert. Man muss jetzt nicht besonders Italien-Bashing betreiben, um festzustellen, dass die Administration in Italien nicht unbedingt so aufgestellt ist, wie man das immer erwartet. Wie sehen Sie das? Was erwarten Sie von Ländern, die Geld bekommen? Oder geben Grüne das Geld einfach so auf den Tisch?
"Bitte keine neue Austeritätspolitik"
Giegold: Im Moment geben wir gar kein Geld auf den Tisch. Aber der Punkt ist: Sie haben natürlich völlig recht. Wenn man viel Geld ausgibt, müssen damit auch große Aufgaben gelöst werden. Das Geld kann nicht einfach so übersandt werden, sondern es ist völlig richtig, dass damit dann auch Auflagen verknüpft werden. Die Frage ist nur welche, denn manche wollen jetzt zurück zu der alten Austeritätspolitik. Die ist aber nach der Eurokrise erwiesenermaßen gescheitert. Das hat der IWF, der Internationale Währungsfonds, nicht Bündnis 90/Die Grünen festgestellt, dass diese überzogene Sparpolitik ein Fehler war. Wenn Reformen einseitige Sparpolitik bedeutet, dann ist das falsch. Wenn man damit sagt, dieses Geld muss investiert werden, damit danach neue wirtschaftliche Leistungsfähigkeit entsteht, in den Klimaschutz, in die Digitalisierung, in andere Zukunftssektoren, dann ist das richtig.
Und ich muss auch sagen: Manchmal reden wir sehr einseitig über Fragen von Ineffizienz und Bürokratie. Italien macht gerade eine große Reform zum Abbau von Bürokratie. Das ist richtig! Allerdings müssen wir doch auch sagen, gerade als Deutsche: Bürokratie musste nicht in Italien erfunden und nach Deutschland exportiert werden. Wir kennen das alles auch. Insofern: Reformen ja, und wenn die Niederländer und die anderen knauserigen Staaten erreichen, dass Reformauflagen gemacht werden, gerne. Wir sind auch für Reformen, aber bitte keine neue Austeritätspolitik. Das schafft Armut und Spaltung und keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.
Zurheide: Jetzt schlagen wir noch mal den Bogen von der Eurogruppe, die zwar wichtig ist, aber die Regierungs- und Staatschefs sind dann möglicherweise am Ende entscheidender. Die deutsche Regierungschefin hat sich auch gestern noch mal mit dem niederländischen Premierminister getroffen. Was erwarten Sie denn eigentlich von Frau Merkel?
"Wir bauchen den Wiederaufbau-Fonds nicht irgendwann"
Giegold: Wenn dieses Event gestern in Berlin mit Herrn Rutte geholfen hat, dann ist das gut. Wir müssen die Blockaden auflösen. Wir brauchen diesen Wiederaufbau-Fonds nicht irgendwann Ende des Jahres und eine Einigung auf den EU-Haushalt nicht irgendwann nächsten Jahres. Aber wichtig ist, dass der Wiederaufbau-Fonds eine einmalige Aktion ist. Dagegen der mittelfristige Finanzrahmen der EU, der wird bleiben. Was ein schlechter Kompromiss wäre, ist, wenn der Wiederaufbau-Fonds mehr oder weniger so beschlossen wird, wie Deutschland und Frankreich das wollen, dann aber beim mittelfristigen Finanzrahmen bei der Zukunft gespart wird. Denn auch dort wollen ja die knauserigen vier Staaten möglichst wenig Geld und auch Deutschland war in der Vergangenheit für möglichst wenig Geld. Wenn wir dann weniger Erasmus bekommen und weniger Zukunft in den Investitionen des gemeinsamen Haushalts, wäre das falsch.
Aber es gibt noch eine größere Frage an Frau Merkel. Will sie im Grunde jetzt Krisenmanagerin sein, oder will sie Architektin eines stärkeren und solidarischen Europas sein. Da stellt sich die Frage: War dieser Wiederaufbau-Fonds eine einmalige europäische Anstrengung, oder schafft sie es, tatsächlich gerade in der Eurozone zu einer Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion zu kommen. Es sind ja große Tabus gebrochen worden: Schulden-Transferunion, gemeinsame Verschuldung, gemeinsame Steuern für den Wiederaufbau-Fonds. Aber bleibt das einmalig, oder bekommen wir jetzt endlich die gemeinsame Finanzpolitik, die Europa so dringend braucht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.