Christoph Schmitz: Erst mit dem Tod des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher wurde so richtig klar, welche Dynamik dieser Journalist und Autor in der deutschen Debattenkultur entwickelt hatte. Eine Leerstelle wurde gleich fühlbar, und die Frage stand im Raum, wer wird ihn ersetzen, wird ihn überhaupt jemand auch als Mitherausgeber der FAZ ersetzen können? Gestern, wir hatten es gemeldet, wurde bekannt, wer die neue Person im Kreis der Herausgeber sein wird, ab dem 1. Januar: Es ist der 52-jährige Jürgen Kaube. Schon seit 1999 ist er als Redakteur bei der FAZ, seit 2008 leitet er das Ressort "Geisteswissenschaften", vor zwei Jahren wurde er stellvertretender Kulturchef. Der studierte Philosoph, Germanist und Kunsthistoriker, der diplomierte Volkswirt und einstige Soziologiedozent - er wurde für sein im vergangenen Jahr erschienenes Buch "Max Weber - Ein Leben zwischen den Epochen" viel gelobt. Als neuer FAZ-Herausgeber kann man sich wohl etwas Leichteres vorstellen, als das Erbe von Frank Schirrmacher anzutreten, oder? Jürgen Kaube:
Jürgen Kaube: Ja, ganz gewiss. Natürlich, das sind sehr große Fußspuren und auch eine sehr lange Tätigkeit ja als Herausgeber der FAZ, sehr prägend seine Sachbücher, seine Debatten. Das hat aber auch vielleicht den Vorteil, dass Vergleiche sowieso sofort scheitern und man sich dann in dem Sinne jedenfalls nicht sofort messen lassen muss, denn das wird relativ unvergleichlich bleiben.
"Man geht an eine Zeitung nicht mit einem Masterplan heran"
Schmitz: Sie haben es gerade schon angedeutet: Das Feuilleton auch der FAZ hat sich immer wieder unter Schirrmacher verändert, in den letzten Jahren besonders. Zu den Berichten aus dem Kulturleben, zu den Kritiken über die Künste kamen viele Debatten zu gesellschaftlichen Themen, Veränderungen, die neuen Technologien standen im Mittelpunkt, Biopolitik, Zukunftsthemen allgemein, auch Popkultur wurde stärker integriert, was mittlerweile alle machen. Wie halten Sie es mit diesen neuen Feuilleton-Themen, sage ich mal?
Kaube: Ich denke, das sind Themen unserer Zeit. Die müssen behandelt werden im Rahmen auch dessen, was wir können, der Möglichkeiten, der intellektuellen Möglichkeiten. Man soll über Dinge schreiben, bei denen man sich auskennt, und dann durchaus in einem kontrovers zugespitzten Stil oder zur Diskussion auffordern. Ich finde die Unterscheidung von Debatten auf der einen Seite und den Künsten auf der anderen Seite insofern ein bisschen, wie soll man sagen, zu kurz gesprungen, als man sich ja durchaus auch Debatten vorstellen kann im Bereich dessen, was jetzt im engeren Sinne Kultur heißt, also Literatur oder Musik oder Theater, Film. So ein bisschen hat es sich so eingespielt, dass man die Kontroverse und die Diagnose immer auf der Seite der Gesellschaftsdiagnose und die Kontroverse über die gesellschaftlichen Themen verortet und zu wenig darüber nachdenkt, ob nicht auch viel zu diskutieren ist in dem anderen Bereich.
Schmitz: Wäre das schon eine Art Plan für Ihre neue Tätigkeit, dass man die Debatte innerhalb der Kultur sucht?
Kaube: Das ist jedenfalls eine Idee oder etwas, was ich interessant finde und worüber ich nachdenke. Man geht an eine Zeitung nicht mit einem Masterplan heran. Man muss es ja auch zum Beispiel täglich machen, wir sind eine täglich erscheinende Zeitung. Aber natürlich hat man eine ganze Menge Fragen in diesem Bereich, und wenn man Autoren findet oder selber einer ist oder von außen jemand dazu anregen kann, dann würde ich das in dem Bereich sehr gerne tun, weil ich finde, das ist ein bisschen vielleicht auch zu kurz gekommen. Aber wie gesagt, all die anderen Dinge sind immens wichtig. Das Internet - ich meine, wer wollte das außer Frage stellen. Wenn man darüber klug sprechen kann und schreiben kann, dann soll das auf jeden Fall bei uns geschehen.
"Nicht nach Leserschichten zu schauen, die man nie erreichen wird"
Schmitz: Viele Jahre lang sind Sie schon für die Geisteswissenschaften zuständig. Ist das ein Gebiet, das stärker in den Vordergrund gerückt werden müsste?
Kaube: Ich denke, jetzt als Gebiet eigentlich nicht. Wir haben eine regelmäßig erscheinende Seite darüber, wir berichten, das soll auch weiter so geschehen. Es kommen viele Anregungen aus diesen Wissenschaften. Es ist immens, was im Bereich der Sachbücher oder auch der wissenschaftlichen Aufsätze geschrieben wird und dann eigentlich kein Echo in den Medien findet. Da ist mehr möglich, das weiß ich, weil ich jetzt darauf spezialisiert war eine Weile, aber das heißt nicht unbedingt, dass jetzt praktisch die Geisteswissenschaften großflächig in die Aufmacherspalten einziehen, sondern einfach die geben Anregungen für Themen, für Fragen, für diese Kontroversen, und da ist eine Menge zu holen.
Schmitz: Die Zeitungskultur allgemein ist in ziemlichen Turbulenzen: schwindende Leserzahlen, Internet-Konkurrenz, mangelnde Werbeeinnahmen. Was muss die Zeitung heute tun, die Zeitung, wie wir sie kennen, um eine gute Zukunft zu haben, Herr Kaube?
Kaube: Sie muss zum einen gut sein. Das ist das Mindeste. Sie muss intelligent sein, sie muss mit intelligenten Lesern rechnen. Sie muss auch, jedenfalls unsere Zeitung, wissen, in welchem Bereich des Publikums sie tätig ist. Es hat keinen Sinn, nach Leserschichten zu schauen, die man niemals erreichen wird. Und insbesondere würde ich zum Beispiel denken, sie muss eine Zeitung sein: Die Studierenden, diese unglaubliche Menge an Leuten, die irgendwie akademisch gebildet sind oder gerade dabei sind, sich zu bilden, und die auf Intelligenz setzen in diesem Sinne, die kann sie erreichen, die kann sie noch mehr erreichen. Da sehe ich durchaus noch viele Möglichkeiten.
Schmitz: Jürgen Kaube, neuer Mitherausgeber der FAZ.
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