Am frühen Morgen taucht Anna Janneke unangemeldet bei ihrem neuen Kollegen Paul Brix auf. Empfangen wird sie von seiner gärtnernden Mitbewohnerin: einer transsexuellen Französin - ausgerüstet mit einem Megafon:
"Brix aufstehen, du hast Besuch. Brix!"
Brix – erfahren wir von der Pflanzenkennerin - zählt zu den Nachtschattengewächsen. Eine ganze Armee von Weckern ist nötig, um den Polizeibeamten aus dem Schlaf zu reißen.
"Sie sind ja nen Morgenmuffel wie er im Buche steht, Herr Brix, hä? Ouäääähhä, wer sind Sie eigentlich? Anna Janneke. Wir beide müssen gleich bei der Mordkommission antanzen."
Anna Janneke ist neu in Frankfurt am Main.
"Ich hab die Berliner Polizei jahrelang psychologisch beraten. Ich bin sozusagen Quereinsteiger. Nennen Sie mir ein Hobby von sich? Photographieren vielleicht?"
Das hat die Krimi-Figur mit ihrer Darstellerin gemein: Margarita Broich ist bekanntlich nicht nur Schauspielerin, sondern auch Fotografin. Ihr Kollege Brix – alias Wolfram Koch – hat vorher im Rotlichtmilieu ermittelt. Dem Chef wären andere Mitarbeiter lieber gewesen:
"Warum Sie beide unbedingt zur Mordkommission wollten, will ich gar nicht wissen. Und die Jüngsten sind Sie auch nicht. Wahrscheinlich können Sie sich noch an die Einführung der Wehrpflicht erinnern." – "Ruhe jetzt!"
Soweit die Grundkonstellation des neuen Frankfurter "Tatorts", soweit der Tonfall auf dem Revier. Vielleicht wären solche Dialoge komisch – aber die Schauspieler sagen sie auf wie auswendig gelerntes Schülertheater:
"Ich auch?" – "Ja."
Selbst Bühnengrößen wie Margarita Broich und Wolfram Koch überzeichnen ihre Rollen und wirken nicht wie authentische Menschen, sondern wie Darsteller, denen man beim Spielen zusieht.
"Martin, warum können wir der Polizei nicht einfach sagen, dass du am Freitag Nachmittag beim Angeln warst?" – "Mich hat aber niemand gesehen, Silke. Ich habe kein Alibi. Wie würde ich denn dastehen?"
Wer solche Sätze schreibt, darf sich nicht wundern, wenn sie künstlich klingen. Dabei hat der Hessische Rundfunk - mit Drehbuchautor Michael Proehl und Regisseur Florian Schwarz - auf ein bewährtes Team gesetzt: Die beiden sind die Urheber des Ulrich-Tukur-Tatorts "Im Schmerz geboren". Einer furiosen Mischung aus Shakespeare-Drama, Italo-Western und Tarantino-Krimi, mit der sie im vergangenen Jahr den Grimme-Preis gewannen.
"Wenn sich dann die Tür öffnet, kommt manchmal so'n Duft!"
Auch diesmal warten Proehl und Schwarz mit filmischen Effekten auf: Wenn die Zeugen Erinnerungen schildern, nehmen sie die Ermittler mit in die Vergangenheit. Janneke und Brix tauchen dann – wie Albus Dumbledore und Harry Potter - am Schauplatz der Rückblende auf.
"Jetzt zum Beispiel: frisch gebackener Kuchen und Kaffee. Riechen Sie's?"
Textnachrichten auf dem Handy erscheinen als Sprechblasen im Bild. Wenn die Kommissare miteinander telefonieren, teilt sich der Bildschirm, und wir sehen die Sprecher an beiden Enden der Strippe: Verfremdungseffekte, die auf die Ästhetik von Werbefilmen und auf amerikanische 70er-Jahre-Krimis anspielen. Damals hatte die Split-Screen-Technik Konjunktur.
"So, das langt. Brix?! Der Kollege hat's begriffen."
Die Effekte bleiben allerdings leere Spielereien in einem Krimi, dem vor allem eines fehlt: eine überzeugende Geschichte.
"Der Fall ist aber auch echt beschissen!"
Im Mittelpunkt steht der Mord an einer Familie. Eine abstruse und ziemlich abgeschmackte Story.
"Mein Beileid. Nur keine Umstände."
In der 45-jährigen Geschichte der Krimireihe hat sich gezeigt: Der "Tatort" ist immer dann gut, wenn er politische und gesellschaftliche Realität abbildet. Oder wenn er – wie der preisgekrönte Tukur-Fall - völlig abdreht. Dieser Film bietet weder das Eine noch das Andere. Da kann man nur mit Polizeisychologin Anna Janneke hoffen:
"Wir kriegen das wieder hin!"