Große Namen waren im Spiel um die Nachfolge von Jossi Wieler an der Stuttgarter Staatsoper. Serge Dorny, der überaus erfolgreiche Intendant aus Lyon(*) oder Brüssels Opernchef Peter De Caluwe(*) interessierten sich für das renommierte Haus in der Neckarstadt. Zuletzt hörte man aber auch von einer quasi betriebsinternen Lösung. Eva Kleinitz, Jossi Wielers Stellvertreterin, solle es werden. Kleinitz würde für die Fortsetzung des bei Kritik und Publikum gleichermaßen beliebten Kurses stehen. Doch es kam anders. Der 1974 geborene Viktor Schoner hat das große Los gezogen. Ein Los freilich, dass bei näherem Hinsehen dann doch nicht nur Jubelstimmung und Prestige bedeutet, weil die Staatsoper dringend einer Sanierung bedarf und der neue Intendant vermutlich viele Jahre mit Ersatzspielstätten vorliebnehmen muss.
Viktor Schoner ist ausgebildeter Bratschist und studierter Musikwissenschaftler, er war Mitbegründer der "Akademie Musiktheater heute", einer heute nicht mehr weg zu denkenden Schmiede für Nachwuchstalente. Mit dem legendären Impresario Gerard Mortier arbeitete er eng zusammen und war vor allem für experimentellere Projekte zuständig. 2008 kam er an die Bayerische Staatsoper, in der Position des Künstlerischen Betriebsdirektors. Man darf davon ausgehen, dass er in München sozusagen Richtlinienkompetenz hat, für 'besondere' Sängerbesetzungen gibt es dort aber noch den aus Norwegen stammenden Stimmenspezialisten Pål Christian Moe.
Auf Augenhöhe mit den Spartenchefs
Warum aber nun diese eher kleine Lösung für Stuttgart? Man beruft zwar einen Fachmann, aber einen aus der hinteren Reihe, den außerhalb des Betriebs kaum jemand kennt. Des Rätsels Lösung liegt möglicherweise im sogenannten Stuttgarter Modell. Es gibt ja einen geschäftsführenden Intendanten sowie die Chefs der Sparten Schauspiel, Ballett und Oper - alle vier sind gleichberechtigt und kommunizieren auf Augenhöhe miteinander. Ein Großintendant mit internationalem Renommee und entsprechendem Selbstbewusstsein passt da wohl nicht so recht ins Konzept.
Ästhetisch und 'intendantisch' freilich trennen Stuttgarter und Bayerische Staatsoper Welten. Während in München Prunk, Stars und Sternchen-Bohei bei den meisten Premieren fröhliche Urständ feiern und die Kommunikations- und Marketingstrategie lautsprecherisch aggressiv wirkt, gilt Stuttgart als Hort feinsinnig intellektueller Kunst ohne pompöse Begleiterscheinungen. Viktor Schoners Berufung dürfte also auch unter diesem Gesichtspunkt spannend werden. Vor ein paar Jahren fragte das Fachmagazin nmz Schoner, bei welcher Musik er sofort das Radio abstelle. Seine Antwort: Cembalomusik. Diesem Instrument wird er jedoch in Stuttgart wohl zwangsläufig öfters begegnen, weil es dort nun mal eine bedeutende Barocktradition gibt und auch ein entsprechendes Publikum.
(*) Anm. d. Red: Serge Dorny und Peter De Caluwe legen Wert auf die Feststellung, weder für die Intendanz der Stuttgarter Staatsoper kandidiert zu haben, noch jemals für diese Position angefragt worden zu sein.