Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen. Das wusste schon Matthias Claudius, der seinen Urian einmal um die Welt reisen lässt, wo er feststellt, dass nicht jedes mitgebrachte Klischee sich vor Ort auch bestätigt. Nur im Norden findet Urian genau das, was er gesucht hat: Kälte, trinkende Grönländer und wilde Eskimos. Bettina und Carsten Willms sind auch in den Norden gereist und haben dort weit mehr entdeckt: Vor allem einen großen Schatz an zeitgenössischen Bilderbüchern. So gut hat ihnen die nordische Buchlandschaft gefallen, dass sie nicht nur davon erzählen sondern einen eigenen Verlag gegründet haben, in dem sie ausschließlich Kinderbücher des Nordens herausbringen, den Kullerkupp-Verlag.
Bettina Wilms: "Das ist das estnische Wort für Trollblume, und in Estland hat diese Blume eine sehr wichtige Bedeutung, sie blüht im Sommer und steht für eine Kindheit, die unbeschwert ist, für Natur und das hat uns gefallen – Kupp und Kuller, tollen, rollen, spielen – wir denken, das passt gut zu unserem Programm."
Kein Klischee einer Bullerbü-Idylle
Kullerkupp ist allerdings kein Verlag, der das Klischee einer Bullerbü-Idylle bedient. "Nein, so ist es nicht!" – heißt passenderweise der erste Bilderbuchtitel, den der Verlag 2017 herausgebracht hat. Es ist die Geschichte eines Hasen, der standhaft leugnet, dass seine eigentlich so vertraute, farbige Welt im Winter plötzlich bedrohlich schwarzweiß erscheint. Dass dort Füchse, Wölfe und Ungeheuer, aber auch Kälte und Einsamkeit lauern. Er singt und ruft seine Ängste weg, flüchtet sich in den Winterschlaf und erwacht im bunt explodierenden Frühling, der ihm sogar die Kraft gibt, den Wolf in Flucht zu schlagen. Die Bilder von Kertu Sillaste aus Estland sind voller Witz und von einer ungeheuren Dynamik. Zwei Bücher hat Kullerkupp von ihr im Programm, zwei weitere sind in Planung.
"Kertu Sillaste, die illustriert und schreibt auch die Bücher, hat selbst Textildesign in Paris studiert, arbeitet als Lehrerin in der Kunstakademie, ist viel in England mit Workshops, also die Briten hatten sie schon vor uns entdeckt."
Die Entdeckungsreise, die zur Gründung des Kullerkupp Verlages führte, begann aber nicht in den Verzeichnissen internationaler Verlage, sondern vor Ort: In Skandinavien und im Baltikum.
"Mein Mann hat vier Jahre in Estland und in Finnland gelebt, der spricht auch die Sprachen Skandinaviens, und wir haben da viele Freunde und haben auch die Bücher aus deren Ländern bei uns zuhause. Wir haben drei Kinder, und die holen natürlich die Bücher aus dem Regal, mein Mann übersetzt, und später kam dann die Frage hinzu: Warum sollen eigentlich nur unsere Kinder die Bücher lesen? Und dann haben wir im letzten Jahr im Januar entschieden, den Kullerkupp Kinderbuchverlag zu gründen."
Carsten Wilms, der die Bücher im Kullerkupp Verlag aussucht und übersetzt, arbeitet im Auswärtigen Amt, Verlegerin Bettina Wilms im Hotelfach. Neben der Recherche in den jeweiligen Ländern greifen die beiden auch auf die Erfahrung internationaler Literaturzentren zurück.
"Wir sind immer in Kontakt mit den Kinderliteraturzentren in den jeweiligen Ländern, also in Estland, in Finnland und auch in München mit den Kollegen in der Blutenburg, viele Autoren, die wir anschreiben, entsteht dann auch ein persönlicher Kontakt. Wir treffen uns vor Ort oder die kommen nach Berlin, und dann spielen natürlich auch unsere Kinder eine Rolle, also die Bücher, die sie immer wieder aus dem Schrank holen: 'Bitte lies mir das Buch noch mal vor, ich möcht das hören!' - zeigt uns ja dann auch im Praxistest, was Kinder mögen, und das ist oft ein ganz anderer Geschmack als der, den die Eltern haben."
Bilderbücher müssen Geschmack der Zeit treffen
Dass die Wahrnehmung von Kindern und Eltern völlig konträr ist, erzählt auch der neueste Titel im Verlag – ebenfalls aus Estland - "Einen Tag ganz brav" von Indrek Koff, illustriert von Ulla Saar. Darin bemühen sich die Kinder Lena und Oskar, einen Tag lang alles richtig zu machen und erschaffen - fein säuberlich - das perfekte Chaos. Alles ist eben Geschmackssache. Dass auch Bücher – und gerade Bilderbücher den Geschmack der Zeit treffen müssen, ist für kleine Verlage eine große Herausforderung. In den nordischen Ländern beobachtet Bettina Wilms eine ganz konkrete Form der Kinderbuch-Förderung, die Geschmacksfragen außer Acht lassen darf.
"In der Kommunikation mit den Autoren habe ich nie empfunden, dass sie in ihrer Kreativität eingeschränkt sind. Sie publizieren ein Buch, es kommt in jede Bibliothek des Landes, das ist natürlich auch eine Sache, was schon mal für Absatz sorgt, auch für den Verlag. Zum Beispiel Finnland hat eine sehr hohe Bibliotheken-Dichte, und die Bibliotheken erwerben jeden Ersttitel, und da kann man natürlich ganz andere Auflagen bringen als wir jetzt hier in Deutschland."
Ich treffe Bettina Wilms im Berliner Stadtteil Pankow, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Buchhandlung "Pankebuch", einem traditionsreichen Buchladen, der auf die Literatur der nordeuropäischen Länder spezialisiert ist. Die Gründerin Katrin Mirtschink beobachtet ein wachsendes Interesse an den skandinavischen und baltischen Ländern, auch bei Erwachsenen.
"Es ist ja nicht immer Literatur. Ich denke jetzt auch an diese vielen Hygge-Bücher in den letzten Jahren, also um dieses dänische Glücksphänomen. Und jetzt kommen die schwedischen Lagom-Bücher dazu und die nächste Welle wird das finnische Lebensgefühl sein, Sisu. Also da ist ein großes Interesse sowieso an Natur da aus dem Norden und immer mehr auch an Literatur und auch an der Kinderliteratur, das ist keine Nische mehr."
Andere Wertschätzung für Kinderliteratur in Schweden
Die glücklichen Dänen, die ausgeglichenen Schweden, die schlauen und lesekompetenten Esten – es scheint, dass der Rest Europas von seinen nördlichen Mitgliedern viel lernen kann.
"Ich weiß insbesondere aus Schweden, also Leseförderung und Bibliotheken ist ganz wichtig, jede Schule hat ihre Bibliothek, die städtischen Bibliotheken sind sehr gut ausgestattet und modern, und das spiegelt sich auch in der Wertschätzung für Kinder-Literatur wieder."
Natürlich liegen auch bei Pankebuch die Bücher des Kullerkupp-Verlages aus.
"Da findet man eher so die Autoren oder auch Zeichner, die noch nicht so bekannt sind. Die größeren Verlag setzen doch eher auf die bekannteren Namen, also auf die sicheren Verkaufserfolge."
Einen Verkaufserfolg hat auch der Kullerkupp Verlag schon gelandet. Es ist die äußerst kunstvoll gestaltete Geschichte vom sehnsüchtigen Schneemann Ludwig, die sich vor allem vor Weihnachten gut verkaufte. Autorin Leelo Tungal und Künstlerin Regina Lukk-Toompere sind in Estland erfolgreich und daher auch für den neuen Verlag eine sichere Bank. Aber auch die oft schrägen und unkonventionellen Titel des Verlags werden hoffentlich in viele Kinderhände gelangen. Von Estland und den Färöer Inseln wird sich Kullerkupp nun auch in andere Regionen des europäischen Nordens vorwagen.
"Wir haben jetzt auf dem Plan für dieses oder nächstes Jahr: Bücher aus Island und Finnland und gehen Stück für Stück jetzt weiter: Norwegen ist ja dann auf der Frankfurter Buchmesse 2019, da werden wir sicher auch ein Kinderbuch aus Norwegen im Programm haben. Alles Schritt für Schritt, wir glauben da ganz fest, dass das eine große Erfolgsgeschichte noch wird."