"Hier sehen Sie Zeitschriften, die wir gespendet bekommen haben, konservative, rechte. Aber auch alles Mögliche, was von Interesse sein könnte."
Dr. Wolfgang Fenske führt durch die "Bibliothek des Konservatismus".
"Ein Wahlplakat aus der Weimarer Zeit haben wir hier. Die konservative Volkspartei."
Seit 2011 gibt es sie mitten in Berlin - die Bibliothek des Konservatismus. Ihre Gründung verdankt sie einer Stiftung des rechtskonservativen Publizisten Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing. Die Bibliothek steht interessierten Lesern offen, veranstaltet Seminare und wöchentliche Vorträge. Eine Art "konservative Denkfabrik", die zugleich, folgt man dem Nachrichtenmagazin SPIEGEL, ein Treffpunkt der neuen Rechten ist. Man habe jedenfalls keine Berührungsängste, betont Wolfgang Fenske, Bibliotheksleiter und zugleich promovierter evangelischer Theologe.
"Wir laden AfD-Politiker genau so ein wie CDU-Politiker. Wir hatten Herrn Bosbach hier, Christian Wagner und noch einige andere. Und das gilt auch für die Bücher, die wir hier haben. Da gehen wir danach, was für Konservative interessant ist.
Die Rückkehr des Konservativen
Konservativ sein – das gilt gemeinhin als uncool. Man assoziiert damit - Spießer, Schützenvereine, Gelsenkirchener Barock. Ewiggestrige, möglicherweise gar verwoben mit der dunklen Seite der deutschen Geschichte. Konservativ zu sein – das weisen deshalb viele weit von sich, erläutert Ulrich Greiner, Ex-Feuilleton-Chef der ZEIT.
"Weil der Konservative natürlich in die rechte Ecke geschoben wird und weil rechts sein eine sehr üble Vergangenheit hat, möchte man damit nichts zu tun haben und auch nicht konservativ sein."
Und doch ist Ulrich Greiner vom langjähriger SPD-Wähler zum bekennenden Konservativen geworden. "Heimatlos - Bekenntnisse eines Konservativen" heißt sein Buch, das Ende 2017 erschien. Greiner beschreibt darin, wie er Abschied nahm vom "Panorama-Blick auf die Erdkugel" und abbog "ins Nahe und Heimatliche". Mittlerweile ist er davon überzeugt, so wörtlich, "dass sich das jeweils Neue gegen das Erprobte zu rechtfertigen hat". Konservativ sein – allerdings sei das mehr ein Lebensgefühl als ein politisches Programm. Warum?
"Konservativ ist von der ganzen Geschichte reaktiv. Es gibt keine konservative Theorie. Sondern der Konservative ist einer, der gegen etwas ist, was zur Zeit dominant ist und versucht, etwas zu verlangsamen".
Offensichtlich hat die Zahl derer zugenommen, die gegen das sind, "was zur Zeit dominant ist". Jedenfalls, wenn man sich die Zahl der Veröffentlichungen zum Thema ansieht. Da gibt es Wolfram Weimer, Verleger und Gründer des Politik -Magazins "Cicero", der "Das konservative Manifest" veröffentlichte. Oder den Historiker Andreas Rödder, Mitglied der CDU, mit seinem Buch "Konservativ 21.0". Für die Grünen schrieb Winfried Kretschmann "Worauf wir uns verlassen wollen. Für eine neue Idee des Konservatismus". Politisch gründete sich 2017 innerhalb der CDU die "Werteunion", die ursprünglich "Freiheitlich-konservativer Aufbruch" hieß. Und übrigens: Bereits 2002 schrieb Alexander Gauland sein Buch "Anleitung zum Konservativsein". Prof. Frank Bösch, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam erklärt das neue Interesse am Konservativen:
"Zum einen ist der Konservatismus immer eine Gegenbewegung gewesen gegen liberale Reformen. Das ist das, was eben von einigen als Bedrohung angesehen wird. Das zweite ist die Debatte um die Migration. Der Konservatismus, der von der Überlegenheit der eigenen Gruppe ausgeht - das sind Grundwerte, mit denen auch die AfD jetzt mobilisiert, die durchaus eine längere Tradition im Konservatismus haben."
Drei Elemente, so Frank Bösch, charakterisieren den Konservatismus:
"Das ist erstens der Glaube an eine religiös geprägte Ordnung und die Begründung von Staats- und Gesellschaftsvorstellung im Verweis auf religiöse Traditionen. Das ist zweitens der Glaube, dass die Menschen nicht gleich sind. Und drittens, der Glaube an eine eher elitär geführte Staatsordnung, die auf der Vorstellung der Unvollkommenheit der Menschen beruht."
Entstehung des Konservatismus
Der Konservatismus war eine Reaktion auf die Aufklärung und die Französische Revolution. Er positionierte sich gegen neue politische Ideen, die damals aufkamen:
"In Reaktion auf den Liberalismus, der die Freiheit des Individuums betont, aber auch dann in Reaktion auf den Sozialismus, der die Gleichheit der Gesellschaft betont."
Der im 18. Jahrhundert lebende britische Philosoph Edmund Burke gilt als der geistige Vater der Konservativen. Für ihn war der Mensch – anders als die Aufklärer dachten - ein unvollkommenes Wesen mit nur begrenzter Vernunft. Deshalb müsse er durch gewachsene Ordnungen eingehegt werden. So sieht das auch Wolfgang Fenske:
"Dass der Mensch kein vernünftiges Wesen ist, sondern dass er ein Mängelwesen ist, mit der christlichen Tradition ein Sünder ist, der Hilfe, der Unterstützung bedarf."
Auch für den Leiter der Bibliothek des Konservatismus, spielt die Unvollkommenheit des Menschen eine wichtige Rolle.
"Die Konsequenz aus dieser Einsicht ist, dass er Institutionen braucht, um das zu kompensieren, was ihm fehlt. Und das sind im weltlichen Bereich der Staat und seine Strukturen, das sind aber im kirchlichen Bereich die Kirchen, der Sünder braucht die Verkündigung. Und in dem Augenblick, wo er das preisgibt, und mit der Aufklärung sagt, der Mensch kann sein Geschick selbst in die Hand nehmen und er ist vernünftig, und wir können die Welt retten, in dem Augenblick verliert er viele Einsichten der letzten 2000 Jahre."
Im Gefolge Edmund Burkes blieben die britischen Konservativen immer, so der Historiker Andreas Rödder in seinem Buch "Konservativ 21.0" "parlamentarisch-evolutionär – auch gegenüber totalitären Versuchungen im 20. Jahrhundert".
Dinge schaffen, die immer bleiben
In Deutschland hingegen entwickelte sich – insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg– eine der Weimarer Republik feindlich gesonnene, antiparlamentarische rechte konservative Bewegung.
"Der Konservatismus in Deutschland hat sich immer stärker, angefangen in Preußen, fundamental gegen Wandel, gegen Veränderung gestellt. Und zugespitzt hat sich das dann in der Weimarer Republik, in der sogenannten konservativen Revolution."
Mit dem Begriff der "konservativen Revolution" fasste der Schweizer Publizist Armin Mohler nach dem Zweiten Weltkrieg Strömungen der Weimarer Zeit zusammen. Auch die heutige "Neue Rechte" greift auf deren Ideen zurück, antiliberale, antiegalitäre Ideen. Weder Demokratie noch Monarchie schien den Vertretern der konservativen Revolution erstrebenswert. Ihnen schwebte vielmehr eine Art radikale Erneuerung der Gesellschaft vor, ein "Dritter Weg". Frank Bösch:
"Diese Rechtsintellektuellen vertraten einen Hypernationalismus, waren elitär, waren vor allem scharf gegen die Demokratie gerichtet und insofern ganz eindeutig auch intellektuelle Wegbereiter des Nationalsozialismus. Einige aus dem Umfeld dieser Konservativen Revolution verloren allerdings bei dem Röhm-Putsch ihr Leben und das ist etwas, was hinterher entlastend auf die große Gruppe der Konservativen Revolution übertragen wurde. Aber das darf nicht die Überschneidungen überdecken."
Da war, etwa bei Hugo von Hofmannsthal, die Rede von "eine( r) neuen deutschen Wirklichkeit". Andere träumten von einem "durch eine Elite geführten autoritären Staat". Der Kulturhistoriker Arthur Moeller van den Bruck veröffentlichte 1923 sein Buch "Das dritte Reich", wo er die Vision einer "sozialaristokratischen Regierung" entwickelte. Von diesem Vordenker der sogenannten "Jungkonservativen" stammte schließlich auch die Definition dessen, was konservatives Handeln ausmachen solle. Nämlich: "Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt". Wolfgang Fenske hält manche Ideen der Jungkonservativen heute noch für anschlussfähig. Und erläutert, welche Werte erhaltenswert seien:
"Das heißt nach landläufiger konservativer Definition, immer im Gespräch zu bleiben mit der Philosophie der Antike und dem Christentum und daraus hervorgehend mit dem Naturrecht. Ob das nun in Fragen der Anthropologie die Frage nach der Geschöpflichkeit des Menschen ist, ob es die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen ist, ob es Grundordnungen wie Ehe und Familie sind, das ist alles da angelegt. Natürlich ist auch angelegt Hierarchie, nichts funktioniert in dieser Welt ohne Hierarchie."
Wolfgang Fenske, der evangelische Theologie studierte, ist der Meinung, der Mensch bedürfe eines "archimedischen Punktes", der außerhalb des eigenen Denkens liege. Eine Orientierung an etwas Jenseitigem, sei es an Gott oder an - philosophisch gesprochen - naturrechtlich begründbaren, quasi überzeitlichen Werten. Denn der Konservative, formulierte Armin Mohler, führe "ein Leben aus dem, was immer gilt".
Den Wandel verträglich gestalten
"Es gibt keine durchgängigen überzeitlichen politischen Inhalte, die so etwas wie das überzeitliche Programm des Konservatismus wären."
ist dagegen Andreas Rödder überzeugt. Für Konservative wie Wolfgang Fenske, die sich auf das "was immer gilt" beziehen, ist dies der "blanke Relativismus". Doch Andreas Rödder veranschaulicht:
"Heute würde man sagen, ein Konservativer ist orientiert an Demokratie, Marktwirtschaft und Nationalstaat. Das sind aber alles Gegenstände, die Konservative vor 200 Jahren überhaupt nicht gut fanden. Das, was oft für Konservative nicht leicht zu schlucken ist: Konservative verteidigen heute, was sie gestern bekämpft haben."
Das klingt nicht so anders als die Definition des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, demzufolge sich das Konservative als ein "höchst wandelbares Kind des Wandels" erweist. Der Konservative, so Andreas Rödder, verteidigt zwar das Bestehende, lässt sich durch Argumente aber auch von Veränderungen überzeugen:
"Hermann Lübbe hat mit einer wunderschönen Formulierung von einer widerlegbaren Vermutung zugunsten der Vernünftigkeit des Bestehenden gesprochen. Das finde ich deshalb eine kluge Bemerkung, weil diese Vorstellung davon ausgeht, dass das Bestehende nicht etwas ist, das ich in Bausch und Bogen verdamme, dass ich als etwas Gewordenes annehme. Aber dass ich immer offen bin für das andere Argument, die widerlegbare Vermutung."
Der Liberalkonservative weiß also durchaus, dass er am gesellschaftlichen Wandel nicht vorbei kommt. Aber er möchte den Wandel so gestalten, "dass er für die Menschen verträglich" ist. Auch hier gibt es durchaus Übereinstimmungen mit Winfrid Kretschmann. Beide beziehen sich auf Aristoteles Definition der Tugend als "eine Mitte zwischen zwei Extremen". Nicht große Ideen – wie schon bei Platon – sollen die Realität bestimmen. Sondern, so Winfried Kretschmann, ein Pragmatismus, der "den Dingen keine vorgefertigten Wahrheiten überstülpt". Für Andreas Rödder, Mitglied der CDU, bedeutet das zum Beispiel, dass auch in der aktuellen Debatte um den Klimawandel eine Politik der radikalen Schritte für einen Konservativen indiskutabel sei:
"Es gibt sehr guten Grund für die Annahme, dass wir es mit einem Menschen gemachten Klimawandel zu tun haben, der eine ernste Bedrohung für die Menschheit ist. Aber Politik im Panikmodus zu machen, jetzt zu sagen, ich werde alles nur noch dieser einen Frage unterordnen, kann keine vernünftige Politik sein. Wandel verträglich gestalten, heißt, sehr offen und offener als bisher für die Probleme sein, aber sich nicht diesen ideologischen Selbstgewissheiten oder einer Hysterie hinzugeben."
Grüner Konservatismus
Allerdings, wendet Winfried Kretschmann ein, gerade die CDU sei ja lange Vertreterin eines bloß techniknaiven Fortschrittskonservatismus gewesen. Da erschienen vermeintlich konservative Werte wie Heimat oder das Bewahren der Natur oft nur noch als Kulisse oder Folklore. Hatte nicht Franz Josef Strauß formuliert, dass "der Konservative "an der Spitze des (- nicht zuletzt technischen -) Fortschritts" marschiere? Und zeigt das nicht, dass der ‚wahre‘ Konservatismus nicht schwarz, sondern grün ist?
"Die Grünen haben eine sehr konservative Wurzel. Das ist sozusagen die Bewahrung der Schöpfung, Erhalt der Natur. Die haben wir ja selber nicht geschaffen – die haben wir nur vorgefunden. Wir können Arten ausrotten, aber keine neuen in die Welt setzen. Das ist ein konservatives Thema."
Konservatismus als Alternative?
Natürlich ist die aktuelle Diskussion um den Konservatismus nicht allein eine, in der es um dessen ideengeschichtlichen und philosophischen Gehalt geht. Sondern es ist ein politischer Streit entbrannt.
Die Renaissance liberal- bis rechtskonservativer Positionen markiert sozusagen die Wiederkehr von Alternativen zu einer mitunter als alternativlos dargestellten Realpolitik. Solche Alternativen gilt es in einer pluralistischen Gesellschaft ernst zu nehmen. Ob sie, wie Andreas Rödder meint, den gesellschaftlichen Wandel wirklich verträglich gestalten können oder doch eher der Nostalgie vornehmlich älterer Herren - mit zum Teil illiberalen Zungenschlag- geschuldet sind, bleibt dahin gestellt.
"Diese Renaissance des Konservativen zeigt ja etwas an, dass es ein Bedürfnis gibt. Um warum gibt es dieses Bedürfnis? Wenn wir sagen, dass Konservatismus eine Folge des Wandels ist, dann zeigt dieses Reden über Konservatives an, dass wir einen so grundlegenden Wandel erleben, der ein Bedürfnis erzeugt, dass dieser Wandel so gestaltet wird, dass die Menschen mitkommen können."