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Neuer Krimi von Daniel Woodrell
Wo Gerechtigkeit ein schlechter Witz ist

Das Schicksal hat es mit den Figuren in Daniel Woodrells Romanen meist nicht gut gemeint. Das gilt auch für sein neues Werk "Tomatenrot", das tief in der amerikanischen Provinz spielt. Dass noch mindestens einer der Protagonisten eines unnatürlichen Todes stirbt, gerät angesichts der Trostlosigkeit seines Lebens fast zur Nebensache.

Von Sacha Verna |
    Sammy Barlach gehört zu jenen verkrachten Existenzen, deren Pech nur noch von ihrer Kaltschnäuzigkeit übertroffen wird. Das macht ihn zu einem glänzenden Ich-Erzähler und perfekt für einen Roman wie "Tomatenrot", der von nichts anderem handelt als vom existenziellen Verkrachen. Ort des Geschehens ist West Table, ein Nest im Süden Missouris. Sammy trifft dort auf so etwas wie eine Familie: Mama Bev Merridew, die sich mit billigem Wein, Zynismus und wechselnden Liebhabern bei Laune und über Wasser hält, die 19-jährige Jamelee, die zwischen rasender Wut auf die Menschheit, Träumen von einem besseren Leben und beides stimulierenden Pillen schwankt, sowie den 17-jährigen Jason, der schöner ist, als ihm gut tut. In Sammy knospen Zugehörigkeitsgefühle. Dann verschwindet Jason. An einer Aufklärung ist niemand interessiert. So viel Aufhebens sind Leute wie Jason nicht wert. Also versuchen seine Nächsten, selber herauszufinden, was passiert ist. Erwartungsgemäß mit desaströsen Folgen.
    Daniel Woodrell ist der Barde des "White Trash". Er rekrutiert seine Figuren aus der weißen Unterschicht Amerikas und lässt sie ihn den Orzaks, einem zerklüfteten Hochplateau im Mittleren Westen ihr Schicksal verfluchen. Häusliches Glück bedeutet in Woodrells bisher zehn Romanen, jemanden zu finden, den man nicht schon nach dem ersten gemeinsamen Rausch umbringen möchte. Enormes häusliches Glück heißt: Der Gerichtsvollzieher verschont die Couch. West Table ist ein fiktiver Ort, aber in seiner Trostlosigkeit zigfache Realität. Sammy und die Merridews könnten stereotype Sozialhilfeempfänger sein, würden sie noch Sozialhilfe empfangen. Was längst nicht mehr der Fall ist.
    Das Gesetz spielt lieber Golf
    Es gibt immer mindestens einen unnatürlichen Tod bei Daniel Woodrell und jede Menge Fragen. Doch wie in den meisten Neo-Noirs sind die Rätsel auch hier nebensächlich und Gerechtigkeit ein schlechter Witz. In "Tomatenrot" besteht die Welt nicht aus Gut und Böse, sondern aus Mitgliedern des Country Clubs und Sammy. Sammy und Seinesgleichen. Dass das Gesetz lieber Golf spielt, als sich um Sammys Hinweise zu kümmern, ist klar. Dass Jason für eine Papiertüte voller Kleingeld vergessen werden wird, nehmen Gesetz und Golfspieler an. Zu Recht, wie sich herausstellt. Aber für Sammy beginnt die Tragödie damit erst richtig.
    Zum Glück ist "Tomatenrot" an diesem Punkt bereits zu Ende. Daniel Woodrell weiß, dass man beim Schwarzmalen nicht zu dick auftragen darf. Tatsächlich ist dieser Roman nämlich saukomisch. Das liegt an den Dialogen. Diese Prosa lebt vom verbalen Boogie-Woogie der Akteure. Deren Bissigkeiten klingen zwar manchmal mehr nach einem Klassescript aus Hollywood als nach einem Alltagsplausch in den Orzaks. Aber das ist egal. Authentizität wird ohnehin überschätzt. Hinzu kommt Woodrells Fähigkeit, knapp und bilderstark zugleich zu erzählen. Ein Teich macht "spuckende Geräusche wie ein Baby, das keinen Karottenbrei mag". Ein Lippenstift ist "irgendwie pink, aber über das übliche Pink hinaus, mit mehr Wumms, wie ein Pink, das seit Mittag Gin getrunken hat".
    Armut ist kein Spaß. Die amerikanische Provinz kann die Hölle sein. Beides zu schildern, ohne den dazu Verdammten die Würde zu nehmen, ist eine Kunst. Woodrell beherrscht sie. Seinem Roman hat er ein Zitat des ehemaligen Baseballstars Dennis "Oil Can" Boyd vorangestellt: "Es ist nicht alles eitel Sonnenschein. Aber das habe ich noch nicht gelernt." Nach einer Lektion von Daniel Woodrell ist man gerne bereit, den Mond anzuheulen.
    Daniel Woodrell: "Tomatenrot", Roman, aus dem Amerikanischen von Peter Torberg, Liebeskind Verlag, München 2016, 222 Seiten, 20 Euro