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Neuer Kurs Griechenlands
"Tsipras spielt mit dem Feuer"

Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber hat den neuen griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras kritisiert. Im Deutschlandfunk warf Weber ihm vor, neue Russland-Sanktionen der EU nicht mitzutragen. Tsipras liefere das griechische Volk an den "Aggressor" Putin aus, sagte der Vorsitzende der EVP-Fraktion im EU-Parlament.

Manfred Weber im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Porträt von Manfred Weber
    Der CSU-Abgeordnete Manfred Weber ist neuer Chef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament. (dpa/Daniel Karmann)
    Weber bezog sich im Deutschlandfunk auf Tsipras' Kritik an einem EU-Beschluss zu neuen Sanktionen gegenüber Russland. Tsipras hatte am Mittwoch öffentlich angeprangert, dass er bei dem EU-Beschluss nicht einbezogen wurde; aus Brüssel hieß es, das Schweigen eines Mitgliedsstaats gelte als Zustimmung. Der CSU-Politiker sieht darin und in Tsipras "gefährlichem Pakt" mit russlandfreundlichen Rechtspopulisten eine Gefahr für das griechische Volk.
    In Bezug auf das Sparprogramm sagte Weber, Tsipras drohe, das Erbe seines Vorgängers als Ministerpräsident, Antonis Samaras, zu verspielen. Man könne sich durch eine Wahlabstimmung nicht höhere Renten zusprechen, wenn dafür kein Geld da sei.
    Ministerpräsident Tsipras verhalte sich unsolidarisch, wenn er verlange, dass deutlich ärmere EU-Mitgliedsländer seine Wahlversprechen bezahlten. Weber bezifferte die Kosten bei einem Schuldenschnitt für Spanien auf 6,6 Milliarden Euro, für Italien auf 10 Milliarden. Nach dem ideologischen Unsinn der vergangenen Tage müsse Tsipras nun zur Vernunft zurückkehren, betonte Weber. Der CSU-Europapolitiker forderte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz auf, bei seinem Besuch in Griechenland heute Klartext zu reden.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Alexis Tsipras hält das Tempo hoch. Er erhöht den Mindestlohn, er stellt Tausende entlassene Beamte wieder ein, er legt geplante Privatisierungen auf Eis, unterschriebene Verträge inklusive. Der linke Ministerpräsident stoppt die Sparpolitik, wirft also einiges über Bord, was mit den internationalen Geldgebern eigentlich vereinbart war, und beteuert dennoch, dass er keinen Bruch will. – Am Telefon ist Manfred Weber, Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament. Schönen guten Morgen.
    Manfred Weber: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Alles nur Theaterdonner?
    Weber: Wenn es denn so einfach wäre. Was Tsipras jetzt an den ersten Tagen bereits signalisiert ist, dass er das Erbe von Samaras, weil ja Griechenland heute gut dasteht, zu verspielen droht und dass er ein wirklich neues griechisches Drama auslösen will, und wir hoffen, dass das jetzt nur ein Abarbeiten von ein Stück weit Wahlkampfgetöse ist und dass er zurückkehrt zur Vernunft. Aber sorgenvoll stimmt das alles natürlich schon.
    Barenberg: Sie plädieren also auch ein Stück weit für Nachsicht, dass er erst mal Wahlversprechen einlösen muss, ja auch in der Pflicht steht gegenüber den vielen Menschen, die ihn gewählt haben, wie es Alexander Graf Lambsdorff tut, der FDP-Europaabgeordnete? Ein Stück Nachsicht?
    Weber: Nein, definitiv nicht! Tsipras spielt mit dem Feuer und er schließt einen gefährlichen Pakt mit Rechtspopulisten und offensichtlich auch mit Russlands Präsident Putin. Er ist dabei, das griechische Volk an einen dumpfen Rechten und auch an einen Aggressor auszuliefern und zu verkaufen, und deswegen muss Klartext gesprochen werden. Das muss Martin Schulz heute machen, wenn er in Griechenland ist, das muss der Kollege Dijsselbloem machen, wenn er in Griechenland ist. Wir müssen mit Tsipras Klartext sprechen, er ist jetzt in Verantwortung und muss dieser Verantwortung auch gerecht werden.
    "Keine Sonderkonditionen für Tsipras"
    Barenberg: Was würden Sie sagen soll Martin Schulz im Gepäck haben als Botschaft, wenn er heute Alexis Tsipras spricht, wenn er Klartext sprechen soll? Was wäre Klartext heute Abend?
    Weber: Klartext heißt, sich an die Vereinbarungen zu halten, und da gibt es kein Wackeln. Es kann keine Sonderkonditionen für Tsipras geben. Man kann sich übrigens auch in der Demokratie nicht durch Wahlentscheidungen einfach höhere Renten wählen. Wenn sich das Land selbst nicht finanziert, dann kann man auch keine höheren Renten in Griechenland bekommen. Man muss auch darauf hinweisen, was heißt eigentlich Solidarität in Europa. wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Länder wie Lettland, wie Litauen, wie die Slowakei deutlich ärmere Länder in der Euro-Zone sind; sollen die jetzt die Versprechungen von Tsipras finanzieren? Oder man stelle sich mal vor, wir reden wirklich über einen Haircut, wie Tsipras das macht. Dann muss man mal darauf hinweisen, dass das für Spanien 6,6 Milliarden Euro bedeuten würde, für Italien zehn Milliarden Euro und für das auch Programmland und Nachbarland Zypern 350 Millionen Euro. Ist denn das solidarisch, wenn andere Programmländer für Griechenland bezahlen müssten? All das muss man Tsipras klar vor Augen halten und dann hoffen wir, dass er seiner Verantwortung gerecht wird, zurückkehrt zu dem Samaras-Weg, den Griechenland erfolgreich jetzt gegangen ist. Und wenn nicht, dann wird es eine schwierige Phase für Europa.
    "Unsolidarisches Verhalten in der Russland-Frage"
    Barenberg: Keine Abstriche, sagen Sie, was die Verpflichtungen Griechenlands angeht. Nun hat beispielsweise Währungskommissar Pierre Moscovici gesagt oder angedeutet, man könne durchaus zu etwas flexibleren Formen der Zusammenarbeit kommen. Wenn es um den Schuldenberg geht, den Griechenland zu bewältigen hat, wenn man berücksichtigt, was die Menschen alles schon an Einbußen, an Einschnitten hinnehmen mussten, und wie jetzt die Wahl ausgegangen ist, was kann die europäische Seite lernen gegenüber Alexis Tsipras?
    Weber: Ich wüsste nicht, was wir da von ihm lernen sollten. Zunächst mal wie gesagt sein unsolidarisches Verhalten mit anderen Ländern, auch sein unsolidarisches Verhalten in der Russland-Frage, Vereinbarungen, die 28 Länder bisher hatten, einfach aufzukündigen, das hat nichts mit Partnerschaft und Solidarität zu tun. Deswegen sehe ich keinen Ansatz, wo wir was von ihm lernen sollten. ich glaube, er hat viel zu lernen, nämlich wie man sich in Europa als Regierungschef verhält, als Partner auftritt, den europäischen Geist zu atmen. Und bei der Frage der Kürzungen: Die Ansätze, das insgesamt sozial gerechter zu machen, die möglichen Anpassungsschritte, sind Aufgaben, die Griechenland zu erledigen hat. Es verbietet Griechenland niemand, dass es dort dafür sorgt, dass die großen Konzerne, die Reeder, alle die, die bisher wenig Steuern bezahlt haben, mehr Steuern bezahlen. Im Gegenteil! Die EU wollte partnerschaftlich helfen, damit das Steuersystem dort funktioniert. Insofern: Wenn soziale Aufgaben zu erledigen sind, dann sind die auf nationaler Ebene anzugehen, und da will Europa gerne hilfreich sein.
    "Ideologischer Unsinn von Tsipras"
    Barenberg: Was die Schulden angeht, können Sie sich also nicht vorstellen, dass man etwa, was die Zinshöhe oder die Laufzeiten der Kredite angeht, Griechenland ein Stück weit entgegenkommt?
    Weber: Man muss ja sehen, dass Griechenland bereits heute extrem lange Laufzeiten hat. Die europäischen Zusagen sind erst ab zehn Jahren fällig, dass die zurückbezahlt werden müssen. Und die Zinsen sind auf einem extrem niedrigen Niveau. Das heißt, heute hat Griechenland einen ausgeglichenen Haushalt, das hat Samaras erreicht, und kaum Belastungen durch die enorme Schuldenlast, die Griechenland hat. Europa, die europäischen Partner sind Griechenland enorm entgegengekommen und jetzt liegt es daran, ob man diese ausgestreckte Hand Europas, ob man die weiter halten will, ob Griechenland sie weiter halten will, oder ob man wirklich in eine schwierige Richtung geht, und die ersten drei Tage jetzt im Amt, den ideologischen Unsinn, den wir dort nun wirklich gesehen haben, das signalisiert leider, dass Griechenland durch Tsipras in schwere Zeiten geführt wird.
    Barenberg: Die Bundesregierung gibt ja als Parole im Moment aus, wenn ich es recht sehe, dass man bereit ist, Griechenland zu helfen, dass man auf jeden Fall an der Seite Griechenlands bleiben will. Geben Sie dieses Ziel auf, Griechenland weiter im Euro-Raum zu halten?
    Weber: Ich bin voll an der Seite von Wolfgang Schäuble zu signalisieren, wir werden alles tun, um Griechenland weiter zu helfen. Aber das ist keine Einbahnstraße. Das ist eine klare Vereinbarung, die auf dem Tisch liegt, die vereinbart und die unterschrieben worden ist. Die Griechen haben übrigens am letzten Sonntag ein neues Parlament gewählt, damit auch eine neue Regierung gewählt, aber sie haben keinen neuen Staat gewählt. Dieser Staat ist Verpflichtungen eingegangen, denen sich auch eine neue Regierung stellen muss. Und was wir jetzt in Europa machen, um die Antworten nach den Jahren auch der Krise zu geben, heißt, wir müssen deutlich machen, wo wir Erfolg haben, wo wir auch Hoffnung signalisieren für Menschen, die viel erleiden mussten.
    Ich möchte nur ein Beispiel nennen: der Juncker-Plan, der Investitionsplan. Gestern hat die ILO, die Europäische Arbeitsorganisation, Zahlen veröffentlicht, nach denen über 2,1 Millionen neue Jobs entstehen können, wenn wir diesen Plan jetzt anpacken. Wir gehen also in Europa neue Schritte, um Perspektive zu erzielen. Und ich sage auch ausdrücklich dazu: Viele der Programmländer sind auf einem tollen Weg. Wir haben die höchsten Wachstumsraten in Irland mit 3,6 Prozent und in Spanien wurden im letzten Jahr eine Million neue Jobs geschaffen, weil das Land sich reformiert hat, weil der Haushalt in Ordnung gebracht worden ist. Das heißt, die Maßnahmen wirken, und das wird hoffentlich in Griechenland jetzt nicht verspielt.
    "Regierung muss zurück zum Pfad der Vernunft"
    Barenberg: Braucht es dort trotzdem so etwas wie einen Marshallplan, damit man Wachstumsbereiche in der Wirtschaft tatsächlich wirkungsvoll fördern kann?
    Weber: Den Marshallplan versuchen wir, mit dem Juncker-Investitionspaket jetzt auf den Weg zu bringen, Geld zu mobilisieren, um in Zukunft in Infrastruktur, in moderne Arbeitsplätze, in Technologie zu investieren. Aber stellen Sie sich bitte mal vor: Wie sollen wir denn jetzt in der Situation, in der wir uns jetzt befinden, einen privaten Investor dazu gewinnen, in Griechenland zu investieren? Die Märkte reagieren ja geradezu geschockt im Moment gestern und es wird Geld abgezogen, weil man mit der Unsicherheit, die politisch jetzt durch Tsipras erzielt wird, dem Land einen schweren Schaden zufügt. Deswegen hoffen wir, dass die Regierung zurückkommt zum Pfad der Vernunft, der Partnerschaft, des Miteinanders, und dann wird Europa alles tun, um den Griechen zu helfen. Allerdings liegt der Ball jetzt eindeutig im Feld von Tsipras, diesen Vernunftsweg auch zu beschreiten.
    Barenberg: Das gilt ja auch für die Außenpolitik. Sie haben mehrfach angesprochen die Differenzen, die sich auftun, was die Haltung gegenüber Russland angeht. Wie groß ist die Gefahr, dass die Stärke Europas, nämlich die Geschlossenheit bisher gegenüber Russland, in Gefahr gerät?
    Weber: Griechenland ist ein Land von 28 Ländern in der Europäischen Union und deswegen ist natürlich es schwierig, wenn ein Land ausschert. Aber es ist auch kein Flächenbrand, der dann ausgelöst wird. Nein, Europa steht zusammen, vor allem, weil Europa sich bewusst ist, dass es um Werte geht, die in der Ukraine verteidigt werden. Heute vor einem Jahr haben die Menschen auf dem Maidan für Freiheit, für Demokratie demonstriert und sind auch Menschen gestorben dafür, und diese Freiheit und Demokratie wollen die Ukrainer jetzt nicht wieder verlieren. Deswegen geht es um Werte bei dieser Debatte, ob wir der Ukraine an der Seite stehen und ob wir das auch gegenüber Russland verteidigen. Und selbst wenn Griechenland ausscheidet, bin ich mir sehr sicher, dass es gelingt, in Europa, vor allem bei den großen Partnern in Europa Klarheit bei dieser Frage zu erzielen.
    Barenberg: …, sagt Manfred Weber, der CSU-Politiker und Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Weber: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.