Die Stimmung in der Unterhaus-Fraktion war offenbar ernst, aber nicht frostig oder feindselig – so zitiert der "Guardian" einen der Teilnehmer. Jeremy Corbyn sah sich über 200 Labour-Abgeordneten gegenüber, von denen gerade einmal 20 seine Wahl als Parteivorsitzender unterstützt hatten.
Kritische Fragen gab es schon: Wie ist denn jetzt seine Position zu Europa und zur NATO? Der Zickzack-Kurs der letzten Wochen habe Verwirrung gestiftet. Bleibt er dabei, dass er auf keinen Fall Stellungen der Terrormiliz in Syrien bombardieren lassen will? Fragen über Fragen. Am deutlichsten soll noch die Labour-Abgeordnete Gisela Stuart geworden sein: Corbyns Leute sollten es unterlassen, innerparteiliche Kritiker als "Tories" abzukanzeln.
Kein leichter Tag für den Mann, der am Samstag noch frenetisch von seinen Anhängern gefeiert worden war. Nach den Feiern stand sofort die Bildung des Schattenkabinetts an. Ein Dutzend erfahrener Labour-Politiker aus der ersten Reihe stellte sich nicht mehr zur Verfügung –mit Corbyn zusammenarbeiten? Auf keinen Fall!
Hardliner McDonnel im Schattenkabinett aufgestellt
Corbyn hatte versprochen, er werde sein Schattenkabinett flügelübergreifend zusammenstellen. Aber dann der Schock für den Realo-Flügel von Labour: Corbyn ernennt einen Hardliner zum Schatten-Schatzkanzler – dem wichtigsten Posten, der zu vergeben war. John McDonnell versuchte vergeblich den Mikrofonen zu entkommen:
"Wir versuchen jetzt, unsere Kollegen in der Fraktion zu überzeugen, dass wir einen Wandel brauchen. Aber jetzt muss ich meinen Bus kriegen, entschuldigen Sie bitte."
In den Medien werden McDonnell alte Zitate vorgehalten: In den 1980er-Jahren wünschte er sich wörtlich "ein Attentat auf Margret Thatcher". Oder die IRA gehöre für ihren bewaffneten Kampf geehrt. Konservative Labour-Politiker protestierten prompt gegen die Benennung McDonnells, zum Beispiel der frühere Innenminister Charles Clarke.
Top-Ressorts im Schattenkabinett gehen an Männer
"Er entspricht nicht der Vorgabe, dass das Schattenkabinett eine bessere Alternative zur amtierenden Regierung sein soll. Und die Wirtschaft ist das wichtigste Feld. John McDonnell ist dazu nicht in der Lage."
Kritik prasselte auf Jeremy Corbyn auch herab, er habe die Frauen nicht ausreichend bedacht. Zwar gehen mehr als die Hälfte der Jobs an Frauen, aber die wichtigen Top-Ressorts gehen alle an Männer.
"Wir haben eine Mehrheit von Frauen in unserem Schattenkabinett, verteidigt sich Jeremy Corbyn. Es ist ein großartiges Team, das die ganze Partei abdeckt. Eine gute Leistung also."
In der Fraktionssitzung herrschte – anders als zum Teil vorausgesagt – keine Putschstimmung, eher die Sorge, dass Corbyn, der nie ein Amt innehatte, überfordert sein könnte. Er müsse sich schnell ein erfahrenes Team von Medienberatern holen. Corbyn selbst konterte: es geht nicht um Personen, sondern um die Sache – um mehr Gerechtigkeit in Großbritannien.