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"Neuer Mensch, neue Wohnung" im Deutschen Architekturmuseum
Lernen vom Neuen Frankfurt

Bezahlbar und fortschrittlich war das Konzept für tausende Neubau-Wohnungen. Das Neue Frankfurt der Zwanzigerjahre war effektiver als das berühmtere Bauhaus, sagte Architekturredakteurin Laura Weißmüller im Dlf.

Laura Weißmüller im Gespräch mit Antje Allroggen |
Blick auf die Siedlung Niederrad (Zickzackhausen). «Neues Frankfurt» im Architekturmuseum - Lehren für heute, März 2019
Blick auf die Siedlung Niederrad (Zickzackhausen) in Frankfurt (dpa / Institut für Stadtgeschichte Ffm.)
Beeindruckend am Bauprogramm des Neuen Frankfurts ist allein die Zahl. Zwischen 1925 und 1933 entstanden 12.000 Wohnungen und dazu noch alles, was eine moderne Großstadt damals brauchte: Schulen und Fabriken, Verwaltungsgebäude wie das I.G. Farben-Haus mit 1700 Arbeitsplätzen, Parks, Sportstätten und Großprojekte wie die Großmarkthalle, mit dem damals größten Innenraum in ganz Europa. Diese enorme Produktivität ist noch erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass man sich damals mitten in der Wirtschaftskrise befand.
Wohnungsnot überwinden
Dieser Erfolg des Neuen Frankfurts, der schnell in ganz Deutschland, aber auch im Ausland Aufsehen erregte - tatsächlich entstanden anfangs nicht wie angekündigt 1000 Wohnungen pro Jahr, sondern 2000 - war nur möglich, weil der politische Rückhalt so groß war. Und das ist fast noch beeindruckender am Neuen Frankfurt. Es herrschte in der Stadt damals tatsächlich der unbedingt politische Wille, die schreckliche Wohnungsnot nicht nur zu lindern, sondern bezahlbaren Wohnungsbau mit visionärer Architektur, und zwar für die Ärmsten, zu bauen und dabei eine moderne, sprichwörtlich neue Stadt zu schaffen. Allen voran ist da Ludwig Landmann zu nennen, Frankfurts Oberbürgermeister zwischen 1924 und 1933. Landmann war es auch, der den Frankfurter Architekt Ernst May 1925 zum Leiter des städtischen Hochbauamts macht.
Das städtische Hochbauamt war das zentrale Werkzeug für das Bauprogramm. May hatte vor allem junge Architekten aus dem In- und Ausland dort angestellt und extrem effizient organisiert. Alle Fäden liefen hier zusammen - und was hier entstand, zeichnete sich durch den Mut aus, Neues auszuprobieren: neue Techniken, wie der industrielle Plattenbau, neue Materialien, wie der damals noch relativ neue Stahlbeton, aber vor allem auch neue Ideen, wie ein modernes Leben in einer modernen Großstadt aussehen könnte. Dafür war die Abteilung T - für Typisierung - wichtig. Dort tüftelte man an Grundrissen für die Kleinstwohnung, damit sie trotzdem Komfort boten. Entwickelt wurden auch standardisierte Einrichtungen und Ausstattungen wie die Frankfurter Küche - entworfen von der einzigen Architektin neben 80 Architekten, der Wienerin Margarete Schütte-Lihotzky - und vertraute darauf, dass die Frankfurter Normen für alle Bewohner nicht nur gut sind, sondern sie zu besseren, sprich neuen Menschen machen würden.
Arbeiten im Kollektiv - anders als am Bauhaus
Die Effizienz des Hochbauamts dürfte aber auch ein Grund dafür sein, dass das Neue Frankfurt nie so berühmt wurde wie das zeitgleich agierende Bauhaus. Denn anders als am Bauhaus, wo das Starsystem von Anfang an ausgeprägt war, arbeitete man in Frankfurt eher wie in einem Kollektiv. Es gab also nie den einen Namen, der sich später lukrativ vermarkten ließ, obwohl durchaus bekannte Architekten am Neuen Frankfurt mitarbeiteten, etwa der Frankfurter Ferdinand Kramer, die Wiener Margarete Schütte-Lihotzky oder der Niederländer Mart Stam. Und obwohl es Ernst May durchaus mit dem genialen PR-Genie Walter Gropius aufnehmen konnte - er entwickelte mit der Zeitschrift "Neues Frankfurt" das perfekt durchgestylte Propagandainstrument des Hochbauamts und brachte den CIAM, den Internationalen Architekturkongress dazu, dass er 1929 in Frankfurt zum Thema "Wohnen für das Existenzminimum" tagte.
Die Stadt weiterdenken
Lernen vom Neuen Frankfurt: Auch wenn es große Unterschiede zu damals gibt, ist die drängende Frage dieselbe: Wie schaffen wir bezahlbaren, aber eben auch guten Wohnraum in unseren Städten? Vom Neuen Frankfurt lässt sich da einiges lernen, etwa dass es den unbedingten politischen Willen braucht, wenn man wirklich etwas bewegen will. Dass es den Mut braucht, neue Ideen auszuprobieren. Dass man nicht nur neue Siedlungen bauen darf, sondern zugleich auch die Stadt weiterdenken muss, gerade auch mit einem vernünftigen Grünraumkonzept. Und vor allem: Dass es die Stadt selbst in die Hand nehmen muss und nicht darauf vertrauen darf, dass der private Markt das Wohnungsmarktproblem lösen wird.