Nach wie vor spekulieren Journalisten in der Türkei, wer wohl Nachfolger von Ahmet Davutoglu wird, also neuer Chef der Regierungspartei AKP und damit auch neuer Ministerpräsident der Türkei.
Wird die Wahl auf Justizminister Bekir Bozdag fallen? Oder auf Verkehrsminister Binali Yildirim? Oder vielleicht auf Energieminister Berat Albayrak, den Schwiegersohn Erdogans?
Doch jeder in der AKP zuckt die Schultern. Es gibt keinen offenen Wahlkampf zwischen den Kandidaten. Der AKP-Abgeordnete Aydin Ünal gibt mit seiner Antwort einen klaren Einblick, wer in der AKP das Sagen hat:
"Die Entscheidung über die Kandidaten auf Parteitagen trifft Erdogan immer erst am letzten Tag. Das war schon immer so. Es macht also wenig Sinn, jetzt über Nachfolger Davutoglus zu spekulieren."
"Die Entscheidung über die Kandidaten auf Parteitagen trifft Erdogan immer erst am letzten Tag. Das war schon immer so. Es macht also wenig Sinn, jetzt über Nachfolger Davutoglus zu spekulieren."
HDP: "Die Verfassung ist außer Kraft gesetzt"
Staatspräsident Erdogan also wird über den neuen Partei- und Regierungschef entscheiden - und niemand anderes.
Aydin Ünal sagt das ganz offen und keiner in der Regierungspartei AKP regt sich darüber auf. Welchen Kandidaten auch immer Erdogan benennen wird, der Sonderparteitag der AKP am 22. Mai wird diesen Vorschlag aufgreifen und den Kandidaten wählen:
"Die Verfassung ist damit außer Kraft gesetzt", kritisiert Selahattin Demirtas von der prokurdischen Partei HDP, "denn laut Verfassung darf ein Staatspräsident nicht Mitglied einer Partei sein, er muss neutral bleiben."
AKP wird alle Entscheidungen Erdogans absegnen
Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP wirft Erdogan gar vor, er habe aus seinem Präsidenten-Palast heraus einen Putsch gegen Ministerpräsident Davutoglu verübt:
"Jeder, der unsere Republik und unsere Demokratie verteidigen will, muss Widerstand leisten gegen diesen Putsch."
Doch mehr als Schimpfen kann die Opposition nicht. Sie ist machtlos.
Letztlich wird die AKP alle Entscheidungen absegnen, die Erdogan in seinen Empfehlungen vorgibt: Die AKP wird ihren neuen Parteichef wählen, genau wie es im Parteistatut steht.
Danach wird die AKP mit ihrer absoluten Mehrheit im Parlament den Parteichef auch zum neuen Regierungschef wählen - genau, wie es in der Verfassung steht. Das Verfassungsgericht sieht jedenfalls keinen Anlass, einzugreifen.
Das Ziel Präsidialsystem vor Augen
Präsident Erdogan würde gern noch offener seine Macht ausüben. Er fühlt sich dazu ermächtigt. Schließlich ist er der erste Präsident in der Geschichte der Türkei, den nicht das Parlament, sondern das Volk direkt gewählt hat. Erdogan sieht sich als starken Präsidenten für eine starke Türkei - da lobt er sich gern mal selbst:
"Unser Volk weiß, dass es Dank dem Staatspräsidenten, den es direkt und mit eigener Stimme gewählt hat, in der Führung des Landes keine Lücken und Pannen mehr geben wird, auch wenn Regierungen wechseln. Das ist schließlich auch der Grund dafür, weshalb ich das Präsidialsystem vorgeschlagen habe."
Das Präsidialsystem, also eine neue Verfassung für die Türkei, in der der Staatspräsident die zentrale Rolle spielt und die Regierung anleitet: Das ist das Ziel Erdogans und seiner AKP.
Erdogan: "Es gibt kein Zurück mehr"
Zwar hat die AKP im Parlament nicht die nötige Mehrheit, um eine neue Verfassung durchzusetzen. Aber dennoch wird Präsident Erdogan schon sehr bald noch klarer die türkische Politik bestimmen. Der AKP-Abgeordnete Aydin Ünal spricht wieder sehr klar und offen:
"Nach dem Sonder-Parteitag wird in der Türkei eine neue Phase beginnen. Rein praktisch gesehen wird das Präsidialsystem in genau dieser neuen Phase beginnen."
Denn nach diesem Sonderparteitag wird ein neuer Partei- und Regierungschef im Amt sein, der voll und ganz im Sinne von Präsident Erdogan handeln soll.
An diese Realität solle man die Verfassung endlich anpassen, fordert die AKP seit Langem. Sie hofft, wenigstens ein paar Oppositions-Abgeordnete überzeugen zu können, damit die Präsidialverfassung bald kommt.
"Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es kein Zurück mehr gibt”, betonte Erdogan am vergangenen Sonntag und fügte mahnend die Worte hinzu: Das müsse nun doch jeder akzeptieren.