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Neuer Mut und alte Risikobereitschaft

Die Auswüchse im Finanzsystem hat die Welt in eine Wirtschaftskrise gestürzt. Da sich die Hoffnung auf einen schnellen Aufschwung auch nicht zu bewahrheiten scheint, stellt sich die Frage, nach den Lehren der Krise: Verändert der Abschwung unser Wirtschaftssystem?

Von Michael Braun und Brigitte Scholtes |
    "Sag' mir, wo meine Groschen sind. Wo sind sie geblieben? Sag' mir, wo meine Groschen sind ... ."

    Sie sind um die 50. Und wenn die Geschädigten der Lehman-Pleite ihre Mahnwachen halten, passen sie ihre alten Lieder an die neue Lage an. Es geht nicht mehr um Blumen und Mädchen und Soldaten, es geht um versenktes Vermögen. Die Menschen, die Zertifikate der Bank Lehman-Brothers gekauft haben, sind sauer. Sie fühlen sich getäuscht, betrogen. Dabei wollten sie doch nur fürs Alter sparen:

    "Ich wollte Festgeld. Ganz klar wollte ich Festgeld. Das kann ich auch bezeugen. Ich habe einen Zeugen, Gott sei Dank. - 'Wir haben da etwas ganz Besonderes für Sie. Das ist hundert Prozent Kapitalschutz. Da machen Sie nichts falsch. Nehmen Sie doch für Zehntausend!' - Wobei ich dazu sagen muss: Mein Risikoprofil weist mich als stockkonservativen Sparer aus. Ich bin kein Anleger, ich bin Sparer. Ich habe also eine Renditeerwartung von ein bis drei Prozent."

    Sind solche Menschen zu gut für die Welt der Banken? Wohl kaum. Eher ist die Finanzindustrie zu schlecht für diese Menschen. Der Jesuit Friedhelm Hengsbach, emeritierter Professor für christliche Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main, sieht in der Finanzkrise den Ausdruck eines moralischen Defizits:

    "Das würde ich darin sehen, dass also das Eigeninteresse so stark in den Vordergrund gerückt wurde, dass man für die Folgen seines eigenen Handelns und seiner Entscheidungen einsteht, dass das in den Hintergrund gedrückt wurde. Man war ausgerichtet auf kurzfristige Erfolge. Man hat weder über den Tellerrand des eigenen Betriebes, der eigenen Geschäfte hinausgeschaut, noch hat man auch über die unmittelbaren Zeiträume des Tages, oder der Woche, oder des Monats hinausgeschaut. Das würde ich als die eigentliche Perversion menschlichen Handelns ansehen."

    Ähnlich hat das auch Papst Benedikt XVI. in seiner gestern vorgestellten Enzyklika "Caritas in veritate", "Liebe in Wahrheit", formuliert. "Die gesamte Wirtschaft und das gesamte Finanzwesen" müssten ethisch sein, schreibt das Oberhaupt der katholischen Kirche, "und das nicht nur durch eine äußerliche Etikettierung, sondern aus Achtung vor den ihrer Natur selbst wesenseigenen Ansprüchen."

    Stattdessen hat die Finanzwirtschaft Risiken aufgetürmt, verpackt, verkauft - und dabei den eigentlichen Sinn des Wirtschaftens außer Acht gelassen: dass die Wirtschaft für den Menschen da sein, ihm dienen müsse. Das Treiben der Finanzingenieure hat sogar die Finanzwelt selbst geängstigt:

    "Es gibt genügend Experten unter Ihnen, die wissen, dass es im Laufe dieser Finanzmarktkrise durchaus Momente gegeben hat, wo einige sagten, man hätte in den Abgrund geguckt."

    So erinnerte Peer Steinbrück am 1. Juli vorigen Jahres, mitten auf dem Börsenparkett, die Verantwortlichen in den Banken an die Dimension der Finanzkrise - wohl auch in der Hoffnung, das Schlimmste sei vorbei - und die Banker würden ihre Lektion daraus lernen. Drei Monate später brach die Bank Lehman Brothers zusammen, was die Krise nochmals beschleunigte. Spätestens von da an war klar, dass die Krise nicht nur auf den Finanzsektor beschränkt bleibe, sondern auch auf die Realwirtschaft übergreifen würde.

    Denn das schwarze Loch, in das die Banken hineingeblickt hatten, hielt sie von nun an davon ab, anderen Banken und auch großen Kunden Kredit zu geben. Auf der anderen Seite scheuten sie sich aber nicht, Gelder billig von der Europäischen Zentralbank aufzunehmen und sie renditeträchtig zum Teil in zinstragenden Papieren anzulegen. Ende Juni hatte die EZB den Banken so fast eine halbe Billion Euro zugeteilt, auch in der Hoffnung, dass dieses Geld der Realwirtschaft zugute komme.

    Noch bevor die Banken dieses Geld zum Teil zum eigenen Vorteil nutzten, hatte der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Hans-Peter Keitel schon seinen Unmut geäußert: "Ich fürchte, dass auf den globalen Finanzmärkten das Kasino schon wieder eröffnet wird, dass kurzfristiges Denken und die Risikobereitschaft wieder zunehmen", sagte er in einem Interview des Handelsblatts.

    Andererseits sitzt der Schock über die Folgen der Finanzkrise tief - selbst bei den Banken. So übte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann auf der Hauptversammlung Ende Mai öffentlich Selbstkritik, die Banken hätten Fehler gemacht:

    "Alle - und ich schließe uns alle mit ein - waren gefangen in einem vom Zeitgeist geprägten, überzogenen Optimismus. Einem Optimismus, der selbst die erfahrensten Experten die Krisenanfälligkeit von Volkswirtschaften und Finanzsystemen vergessen ließ. Das ändert nichts daran, dass Banken weltweit eine große Mitverantwortung für die entstandene Krise haben."

    Das ändert aber auch nichts an dem Unmut über die Banken, die angeblich zu wenig Kredit bereitstellen. Und dieser Unmut der Wirtschaft wird genährt durch die Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage. Die unterschiedlichsten Branchen klagen - und zwar deutlich. Einer der am härtesten getroffenen Industriezweige ist der stark exportorientierte Maschinenbau, dessen Auftragseingänge in den letzten Monaten stark eingebrochen sind: Allein im Mai sind die Bestellungen um 48 Prozent zurückgegangen, und Manfred Wittenstein, Präsident des Branchenverbands VDMA warnt schon:

    "Gut die Hälfte der Unternehmen geht davon aus, dass sie Einschnitte bei der Stammbelegschaft machen müssen, denn die Personalkapazitäten werden möglicherweise langfristig derzeit nicht ausgelastet. Es geht in vielen Unternehmen eben um das nackte Überleben."

    Auch die Autoindustrie ist von der Krise hart getroffen, wie der Präsident des Verbands der Automobilwirtschaft, Matthias Wissmann, erst in der vergangenen Woche schilderte:

    "Wir haben im ersten halben Jahr einen Rückgang des Exports von Pkw um 35 Prozent, einen Rückgang der Produktion von 24 Prozent und waren natürlich in allen Unternehmen gezwungen, uns auf diesen Nachfrageeinbruch einzustellen, die Kapazitäten an die veränderten Marktbedingungen anzupassen."

    Mit der Wirtschaft geht es also bergab, Hoffnungen auf einen schnellen Aufschwung haben die meisten Unternehmen inzwischen begraben. Vielleicht ahnen sie, dass die aktuelle Krise mehr ist als eine Konjunkturkrise. Schon die Dimensionen der Krisenfolgen sind neu: Deutschland etwa hat im bisherigen Auf und Ab der Konjunktur nur einmal einen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung erlebt - um etwa 0,9 Prozent. Das war 1975. Nun sind es minus sechs, minus sieben Prozent.

    Für den Chefvolkswirt des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist deshalb diese Krise nicht mehr "im politischen Kosmetikstudio" zu bekämpfen. Dierk Hirschel hält die aktuelle Krise für mehr als bloß eine Finanzkrise:

    "Sie ist zweifelsohne eine Krise der kapitalistischen Wirtschaftsform, einer besonderen Art des Kapitalismus: des Finanzmarktkapitalismus. Das heißt, man hat, um die Aktionäre zu bedienen, Eigenkapitalrenditen, in der Spitze von 25, 26 Prozent eingefordert. Das organisieren Sie nicht aus herkömmlichen Produktivitätszuwächsen der Unternehmen. Das heißt Sie müssen in den Unternehmen die Belegschaften auspressen. Und das Ergebnis ist dann in der Konsequenz, dass Sie nachhaltige Probleme bekommen was den Konsum anbelangt, weil die unteren und mittleren Einkommensschichten an Realeinkommen verlieren, und im oberen Bereich der Einkommenspyramide haben Sie eine massive Konzentration von Reichtum. Und das führt dann oben dazu, dass die Einsätze im internationalen Kasino steigen, weil sie wissen nicht, wo sie die Kohle hinstecken sollen, also gehen Sie damit ins Kasino, und unten führt es dazu, dass nicht mehr konsumiert werden kann."

    Dennoch: Globalisierung und Kapitalismus abschaffen zu wollen, hält Hirschel für den falschen Weg.

    "Natürlich ist die Globalisierung nicht tot, wenn wir den Finanzmarktkapitalismus überwinden wollen. Was wir schaffen müssen ist, diesen Kapitalismus sozial und ökologisch zu regulieren. Das muss auf die Tagesordnung. Aber die internationale Arbeitsteilung ist natürlich auch ein Produktivitätstreiber. Sie schafft gesellschaftlichen Wohlstand. Die entscheidende Frage ist doch nur: Wie gelingt es dann, diese Wohlstandsgewinne auch entsprechend zu verteilen?"

    Meinhard Miegel geht weiter in seiner kritischen Analyse. Erst kürzlich hatte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung "Denkwerk Zukunft" ein Gespräch, das ihn in seiner Skepsis gegenüber der bislang gewachsenen Wirtschaftsverfassung bestärkte:

    "Ich habe gerade in diesen Tagen ein langes Gespräch mit einem Arzt gehabt, der mit Patienten zu tun hat, die unter Depressionen, Stress und ähnlichem leiden, und der sagte mir: Das ist ja schon unbegreiflich, wie wir in unserer gesellschaftlichen Ordnung die Menschen an den Rand des Wahnsinns treiben."

    Miegel glaubt, dass mit der aktuellen Finanzkrise eine lange Geschichte an ihr Ende gekommen sei:

    "Wir haben seit ungefähr 200 Jahren das große Ziel der permanenten materiellen Wohlstandsmehrung. Und das hat ja auch hervorragend funktioniert. Innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums hat sich die pro Kopf erwirtschaftete Gütermenge vervielfacht - in den zurückliegenden 50 Jahren ungefähr verfünffacht. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass wir allenthalben Erschöpfungszustände beobachten können. Ob wir uns jetzt die Rohstoffversorgung anschauen - wir werden, wenn diese Klippe umschifft werden sollte, eine gewaltige ökologische Debatte bekommen, die über das hinausgeht, was wir in der Vergangenheit gehabt haben. Und hinzu kommt ein dritter Faktor, und das ist so etwas wie eine Erschöpfung von Gesellschaft, Erschöpfung von Individuen, die weder bereit noch in der Lage sind diesen permanent expansiven Kurs weiter zu verfolgen."

    Diese Ansicht ist Wasser auf die Mühlen von Sven Giegold, dem Mitbegründer des alternativen Netzwerks Attac, der gerade erst für Bündnis 90/ Die Grünen ins neue Europäische Parlament gewählt worden ist:

    "Der Kapitalismus hat den großen Vorteil, dass er es schafft, dass erstmal über Märkte Menschen mit sehr verschiedenen Präferenzen, mit ganz verschiedenen Wünschen, wie sie leben und arbeiten wollen, miteinander Wirtschaft treiben können. Aber es führt eben nicht dazu, dass es Stabilität gibt: weder soziale Stabilität, noch dass ökologisch der Planet erhalten bleibt, dass sozusagen die Effizienzvorteile und Innovationsvorteile des Kapitalismus sind eben letztlich auch nichts wert, wenn die Lebensgrundlagen verloren gehen."

    Für Giegold ist der Kapitalismus eine Geißel, allerdings eine Geißel ohne Alternative. Man dürfe ihn freilich nicht sich selbst überlassen:

    "Natürlich macht es Sinn, Regeln dafür aufzustellen, wann der Staat sich in die Wirtschaft einmischen soll und wann nicht. Auf der anderen Seite ist es so, dass hier mit Ordnungspolitik noch argumentiert wird, wenn der Kapitalismus am Boden liegt. Und in dem Moment gelten diese Regeln in dieser Form nicht mehr. Die Argumente werden immer dann bemüht, wenn es den eigenen Interessen entspricht. Das heißt, grundsätzlich sind solche Regeln sinnvoll, aber es geht um pragmatische Wirtschaftspolitik mit einem sozialökologischen Wertekompass."

    Die Praktiker des Systems haben die Ursachen, die zur aktuellen Krise geführt haben, erkannt. Die Manager, die für das System stehen, wollen es aber nicht ändern. So warnt BASF-Chef Jürgen Hambrecht längst wieder vor Übertreibungen bei den aktuellen Diskussionen: Die Deutschen jammerten auf hohem Niveau, eine breite Mehrheit der Bevölkerung befürworte immer noch die soziale Marktwirtschaft:

    ""Was wir haben, ist nur eine Systemschwäche. Soziale Marktwirtschaft ist vor 60 Jahren implementiert worden. Da war Globalisierung ein Nebenthema. Heute haben wir ganz andere Rahmenbedingungen. Und selbstverständlich muss man die eine oder andere Geschichte dann nachjustieren, verändern. Aber deshalb die Systemfrage zu stellen, das, finde ich, ist schon bemerkenswert."

    Viele Manager rufen zwar nach dem Staat, solange die Krise andauert, aber mahnen auch, dieser dürfe nicht dauerhaft in das Wirtschaftssystem eingreifen. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sorgt sich um Einschränkungen des Marktes:

    "Die ordnende Hand des Staates darf aber nicht die Leistungsfähigkeit des Marktes insgesamt beeinträchtigen. Denn der Markt ist der Motor für Wachstum und für unser aller Wohlstand. Die Freiheit des Marktes und die Ordnung des Staates müssen daher in einer gesunden Balance zueinander stehen. Beide bedingen sich und sind das Fundament der Sozialen Marktwirtschaft. Und auf diesem Fundament soll es auch in Zukunft wachsen."

    Diese soziale Marktwirtschaft halten Kritiker indes nicht für sonderlich "sozial". So meint Sven Giegold:

    "Sie ging auf Kosten der Frauen. Sie ging auf Kosten der Menschen im Süden. Sie ging auf Kosten zukünftiger Generationen. Aber das Prinzip, dass man Märkte, mit starken sozialökologischen Regeln versieht erstens, und zweitens Räume definiert, die nicht nach kapitalistischen Prinzipien funktionieren sollen, also etwa einen öffentlichen Sektor oder einen gemeinwirtschaftlichen Sektor, diese Grundidee ist sehr unterstützenswert. Und das ist das, was wir mit dem grünen 'new deal' meinen, also neue internationalere sozialökologische Regeln einzuziehen, die den Kapitalismus unter Kontrolle bringen."

    Ein "Weiter so" dürfe es deshalb nicht geben, meint auch der Jesuit Friedhelm Hengsbach, der schon lange mahnt, das Wirtschaftssystem zu reformieren. Noch in den ersten Monaten dieses Jahres sei die Betroffenheit größer gewesen, und auch die Bereitschaft über Reformen nachzudenken:

    "Den Eindruck habe ich auch, dass zunächst mal diese Lernbereitschaft, auch das Eingestehen von Fehlern unter Schockwirkung entstanden ist, und dass einige den Eindruck haben, so ganz schlimm war's ja doch wieder nicht. Andererseits sieht man, dass die Auswirkungen für die Masse der Bevölkerung im Augenblick noch gar nicht so spürbar sind, aber noch auf sie zukommen werden. Und da gibt's ja auch warnende Stimmen genug, dass man die Situation nicht wieder schönredet, sondern dass man zu wirklich eingreifenden Maßnahmen auf nationaler Ebene, auf europäischer Ebene, und auch darüber hinaus kommt."

    Einige Marktteilnehmer aber haben ihre Lektion offenbar gelernt und sind selbst stark daran interessiert, dass der Staat stärker einschreitet, so wie dieser lieber anonym bleibende Börsenhändler:

    "Alles was vorher gesprochen wurde von stärkerer Regulierung, von Einschränkung, von Veränderung: alles bullshit. Nichts passiert. Es ist nur heiße Luft. Und sobald sich hier der Pulverdampf wieder ein bisschen gelegt hat, wird man wieder zu dem zurückkommen, was vorher war - bis zur nächsten Katastrophe. Und davor kann man nur warnen."

    Doch gerade aus den Handelsabteilungen hört man gelegentlich Berichte, nach denen zumindest die harten Zocker ihre Lektion nicht gelernt haben und schon wieder übermütig werden - auf der Suche nach dem nächsten schnellen Gewinn. Das Kasino ist geöffnet, um es mit den Worten des BDI-Chefs Keitel zu sagen. Es war sogar nie geschlossen, meint Sven Giegold. Damit potenzielle Zocker ihr Verhalten wirklich ändern, müssen seiner Meinung nach die Voraussetzungen verändert werden.

    "Das Entscheidende ist, dass man das Kasino schließen muss. Man muss einfach die Geschäfte teuer machen oder zum Teil auch ganz unterbinden, die systemgefährdend sind. Dazu würde zum Beispiel gehören, den ganzen Bereich der Derivate zu regulieren, also die hochspekulativen Geschäfte, die derzeit außerbörslich stattfinden. Genauso gehört dazu, dass man Banken strenge Eigenkapitalregeln auferlegt. Das ist ja gar nicht ernsthaft geschehen. Und insofern wundert es jetzt nicht, dass ähnliche Geschäfte einfach fortgesetzt werden."

    In der Wirtschaft, vor allem aber bei den Banken müsse sich nachhaltiges Denken durchsetzen, fordert Friedhelm Hengsbach. Doch er zeigt sich enttäuscht, dass die Regierungen der Industrieländer bisher nicht in der Lage waren, dieses Denken durch Gesetzgebung zu befördern:

    "Das ist zum Beispiel sicher durch verschärfte Eigenkapitalsvorschriften eine Möglichkeit, diese Steuerung und diese Zähmung des entfesselten Gewinnstrebens einzufangen. Man versucht jetzt, diese Regelungsform zu finden und auf nationaler und auch auf europäischer Ebene jetzt durchzusetzen. Aber ich habe den Eindruck, das läuft nicht schnell genug. Die Banken sind wahrscheinlich viel schneller in ihrem hergebrachten Geschäft, als dass diese jetzt neu zu formulierenden Regeln auch ihr Handeln ab heute schon bestimmen."

    Wirtschaftshistoriker kennen die Debatten, die sich in Krisen um die Krise eines Systems entspinnen. Doch sie mahnen im Lichte langer Zeitreihen, die Gegenwart nicht zu wichtig zu nehmen. Professor Werner Plumpe, Wirtschaftshistoriker an der Universität Frankfurt, appelliert dennoch, die Krise als Chance zu begreifen:

    "Nicht jede Krise führt gleich zu Ausnahmezuständen. Und das wäre sozusagen einer der zentralen Punkte: Man muss dazu in der Lage sein, in einer entwickelten demokratischen Gesellschaft Krisenprozesse zu bewältigen, sie in gewisser Weise auch als Chance und als Ausgangspunkt für Neues zu nehmen, ansonsten würden wir uns ja von der Krisendynamik des Kapitalismus, die er ja nun mal hat, in unserer gesellschaftlichen Verfasstheit abhängig machen. Krisen sind in gewisser Weise Ergebnisse von Strukturwandel, der stattgefunden hat, und auf diese Weise treten dann neue Phasen ein, und die sind in der Regel durch Krisen miteinander verbunden."

    Für Meinhard Miegel vom "Denkwerk Zukunft" ist klar, worauf es für die Wirtschaft in dieser neu anbrechenden Phase ankommen sollte:

    "Ich sage nicht: Schluss mit dem Wachstum, sondern ich sage: Das bisherige Wachstum, was wir gehabt haben, dieses Wachstum, das im wesentlichen gegründet war auf Ressourcenverbrauch, auf Umweltbelastung, auf Menschen- und Gesellschaftsbelastung, dieser Typ Wachstum hat sich erschöpft. Und jetzt werden gerade wir in den Ländern, die einen hohen materiellen Lebensstandard haben, nach Wachstumsformen suchen müssen, die diese Wirkungen nicht haben. Und das sind Wachstumsformen, die bestehen zum einen daraus, dass wir sehr viel intelligenter noch wirtschaften müssen als bisher. Und dann gibt es diese ganz anderen Formen der Entfaltung des Individuums: im Musischen, im Künstlerischen, in kreativer Muße, im Verband mit anderen Menschen, in Entwicklung von Gesellschaft."

    Und Attac-Denker Giegold hofft, eine neue Geisteshaltung im Kapitalismus werde von dieser Maxime bestimmt:

    "Handel ist nicht per Definition gut. Handel ist dann gut, wenn er fair ist. Und die Teile des Welthandels, die unökologisch und ungerecht sind, die zu beschränken ist nicht per se schlecht."

    Ein fairer Umgang miteinander - das wäre also die Basis für die Wirtschaft der Zukunft. Der Weg dahin ist steinig. Das zeigt die immer noch anhaltende Krise. Der Weg zurück aber würde nur in eine nächste, noch größere Krise führen: noch mehr Kreditblasen, noch mehr Staatshilfe, noch mehr Inflationsgefahr, noch mehr Umweltverbrauch. Die aktuelle Krise gibt Anlass, diese Art des Wirtschaftens zu korrigieren. Das ist ihre Chance.