Belit Onay freut sich über seinen knappen Sieg in der Stichwahl – und der Grünen-Politiker fängt gleich an mit dem Brückenbauen:
"Ich glaube, es wird sehr entscheidend sein, in den nächsten Wochen, Tagen, Monaten, mit dem Verwaltungsteam einen Teamgeist, eine Aufbruchsstimmung hier im Rathaus auch aufzubauen, zu versprühen, damit wir alle an einem Strang ziehen. Diese Projekte, die ich auch vorgestellt habe, die setzt ein Oberbürgermeister nicht als One-Man-Show um."
Onays Amtsvorgänger Stefan Schostock (SPD) hatte sich im Zuge einer Rathausaffäre um illegale Gehaltszulagen von Spitzenbeamten in den vorzeitigen Ruhestand verabschiedet. Dem SPD-Kandidaten hatte der pauschale Filz-Verdacht offenkundig sehr geschadet, er war bereits in der Vorrunde vor zwei Wochen ausgeschieden.
Wahlempfehlung für Onay von den Sozialdemokraten
Die Sozialdemokraten hatten nach ihrer historischen Schlappe eine Wahlempfehlung für Onay und die Grünen ausgesprochen - zumal beide Parteien im Stadtrat seit Jahren in einer Koalition zusammen arbeiten.
"Ich möchte ein Oberbürgermeister für alle Menschen in dieser Stadt sein – egal wo ihre Großeltern oder ihre Eltern herkommen – entscheidend ist, wo wir hinwollen, auch gemeinsam diese Stadt", bekundet Onay. Mit seinem Mitbewerber Eckhard Scholz hatte er sich einen betont inhaltlich geführten Wahlkampf geliefert. Polemik gab es wenig, dafür viel gegenseitiges Schulterklopfen.
"Belit Onay, herzlichen Glückwunsch! Ich bin davon überzeugt, er wird ein sehr würdiger Oberbürgermeister hier in Hannover!", gibt sich Scholz mit fairer Geste geschlagen - der Ex-Vorstand der in Hannover ansässigen Nutzfahrzeugsparte von VW war als parteiloser Kandidat - unterstützt von der CDU - aufgetreten.
"Ich glaube, hier in Hannover hat es selten so einen intensiven Wahlkampf gegeben. Wir haben noch mal alles getan, es ging bis zur Erschöpfung."
In die Stichwahl ging es, weil beide Kandidaten in der ersten Runde vor zwei Wochen mit jeweils rund 32 Prozent Stimmanteil nahezu gleichauf lagen.
Jeder Dritte in Hannover zugewandert oder Kind von Zugewanderten
550.000 Bewohner hat die Landeshauptstadt, jeder dritte ist zugewandert oder ein Kind von Zugewanderten. Rechte Parolen finden im bürgerlich-entspannten Hannover bislang wenig Resonanz. Der 38-jährige Onay, selbst Vater eines kleinen Sohnes, zielt auf die politische Mitte – im Wahlkampf auf Wochenmärkten, beim Klinkenputzen oder beim interreligiösen Abendessen konnte er auch mit seiner Biographie punkten. Onays türkische Eltern stammen aus Istanbul - sein Vater hat es vom Gastarbeiter zum Gastronomen gebracht.
"Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie Anfang der 90er Jahre der Brandanschlag in Solingen…"
1993 verübten Jugendliche aus der Neonazi-Szene einen Brandanschlag auf das Haus einer türkischstämmigen Familie in Solingen– das Fanal, dem fünf Menschen zum Opfer fielen, habe ihn aufgerüttelt und politisiert, sagt Onay.
Als Gastarbeiterkind in Deutschland zur Welt gekommen
Onay hat als erster in seiner Familie studiert. Der Jurist wurde Mitglied bei den Grünen, profilierte sich als gut vernetzter Innenpolitiker im Landtag
"Ich bin als Gastarbeiterkind hier in Deutschland zur Welt gekommen, habe diesen Aufstieg durch Bildung geschafft und mein Antrieb ist, dieses Versprechen möglichst allen Kindern in dieser Stadt zuteilwerden zu lassen. Und ich kann aus meiner eigenen Lebenserfahrung sehr gut runterdeklinieren, woran Integration und Teilhabe scheitern können, aber wo es auch gelingen kann."
Große Spieler der deutschen Schlüsselbranche wie VW-Nutzfahrzeuge und Continental sind an der Leine ansässig und sichern Tausende gut bezahlter Arbeitsplätze - und doch trifft Onay mit seinem Werben für eine autofreie Innenstadt bis 2030 bei den staugeplagten Hannoveranern auf breitere Zustimmung.
"Na, ja so ein Diesel verursacht ja auch Kosten …" / "…wussten Sie, dass so ein Euro 6-Diesel die Luft in den Innenstädten sogar reinigt, mit den neuen Abgas-Standards?" / "Wir haben viel zu viele Autos leider in der Stadt – und es wäre, glaube ich, auch für Sie angenehmer, wenn man auf's Auto verzichten kann, einfach mit ÖPNV gut angebunden ist, überall hinkommt…"
ÖPNV und Individualverkehr besser verzahnen
ÖPNV und Individualverkehr will der Grüne besser verzahnen, ein subventioniertes 365-Euro-Ticket für alle einführen, den bislang so sehr von Automobilen verstopften öffentlichen Raum wieder für die kulturellen Bedürfnisse einer bunten Stadtgesellschaft öffnen.
"Ich finde es sehr bezeichnend, dass zum Beispiel die Europäische-Kulturhauptstadt-Bewerbung auch diesen Kontext mit in der Bewerbung aufgenommen hat, nämlich eine alternative Mobilität zu schaffen innerhalb des City-Rings – und das garnicht nur mit Klima- und Umweltaspekten, sondern als Raum für Kunst und Kultur. Wie entwickeln wir Stadtkultur, wenn wir diesen Raum neu haben? Und das ist ´ne Riesenchance, wenn wir es richtig angehen!"
Quer- und weiterdenken will Belit Onay auch, wenn es darum geht, im schnell wachsenden Hannover bezahlbaren Wohnraum nicht nur für Geringverdiener, sondern zum Beispiel auch für Familien mit Kindern zu schaffen. Für sieben Jahre ist der Grüne gewählt. Theoretisch Zeit genug, um in der vorherigen SPD-Hochburg ein paar neue Akzente zu setzen.