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Neuer Pflege-TÜV
"Warum man die Note abgeschafft hat, habe ich nicht verstanden"

Dass beim neuen Pflege-TÜV nun auch die Bewohner beteiligt werden, sei gut, sagte Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz im Dlf. Ob er aber eine Verbesserung bringe, müsse man bis Juli 2020 abwarten, wenn die ersten Ergebnisse vorliegen.

Eugen Brysch im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Jörg Münchenberg: Rund 700.000 Menschen leben derzeit in Deutschland in Pflegeheimen – Tendenz steigend. Ob aber die Bewohner in einem solchen Pflegeheim gut oder schlecht betreut werden, das ist von außen nur schwer zu beurteilen. Und da hat auch der bisherige Pflege-TÜV wenig gebracht. Stattdessen gab es nur Bestnoten für alle. Das soll sich jetzt mit dem neuen Pflege-TÜV ändern. Am Telefon ist nun der Chef der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Herr Brysch, einen schönen guten Morgen!
Eugen Brysch: Einen schönen guten Morgen, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Brysch, Qualität soll jetzt nicht mehr über eine platte Schulnote abgebildet werden, die ja ohnehin auch noch geschönt war. Jetzt soll es mehr Informationen und Kontrollen geben. Ist das der wesentliche Fortschritt beim neuen Pflege-TÜV?
Brysch: Gut ist, dass wir jetzt auch die Bewohner mit beteiligen, dass wir anschauen, was kommt an, welche Defizite gibt es, was ist weiterzuentwickeln. Aber, Herr Münchenberg, wir haben die Noten abgeschafft. Das stimmt! Aber sie durch Punkte, wenn Sie so wollen, Kreise und Quadrate zu ersetzen, das ist doch für den Nutzer ein Schritt zurück.
Münchenberg: Nun sagen aber die Befürworter des neuen Systems, dass jetzt auch der Patient endlich im Mittelpunkt stehen soll. Das ist doch schon ein ganz neuer Ansatz im Vergleich zur alten Regelung.
Brysch: Ja. Früher haben wir alleine in die Dokumentation geschaut. Jetzt wird stichpunktartig bei neuen Bewohnern nachgefragt, wie geht es Dir, was entwickelt sich. Wir sagen nur, wir brauchen es ja auch näher beim Nutzer, und ob die neue Darstellungsform das tatsächlich bringt, daran darf man einen Zweifel haben.
Und vergessen wir nicht: Es gibt immer noch keine KO-Kriterien. Denn wenn ich mich dafür interessiere, wie sieht es denn mit Schmerztherapie, mit Wundversorgung, mit Umgang von Fixierung aus, da gibt es keine Kopfnoten, die uns eine schnelle Orientierung hätten bringen können.
Münchenberg: Auf der anderen Seite wird man künftig im Internet einsehen können, wie das Pflegeheim aufgestellt ist, etwa wenn es darum geht, ob die Menschen mobil sind, was ein Pflegeheim zum Beispiel tut, um Stürze und Druckgeschwüre zu vermeiden. Das sind doch für die Angehörigen, die nach einem Pflegeheim suchen, wichtige zentrale Informationen.
Brysch: Ja. Aber, Herr Münchenberg, das hatten wir schon beim Pflegelotsen gehabt. Wenn Sie sich den heute angucken: Informationen im Internet waren immer da. Ob sie die Realität abgebildet haben, war ja das Problem. Deswegen habe ich das auch nie verstanden, dass wir gesagt haben, wir schaffen jetzt nicht nur die Kopfnote, auch die Unternoten ab, denn wir beide kennen doch eins aus der Schule: Wenn da, auf Deutsch gesagt, von 25 Schülerinnen und Schülern auch 25 eine Eins hatten, dann kam doch keiner auf die Idee, die Note abzuschaffen, sondern wir hätten gesagt, wie kommt eigentlich das sehr gut zustande bei so vielen Schülern.
"Warum man dafür die Note abgeschafft hat, habe ich nicht verstanden"
Münchenberg: Bisher war doch ein zentrales Problem beim alten Pflege-TÜV, dass gerade diese Noten überhaupt nicht aussagekräftig waren. Was nützt die Note, wenn sie nicht die faktische Leistung wiederspiegelt?
Brysch: Richtig! Also muss ich das Prüfsystem letztendlich hinterfragen, wie in der Schule auch. Dann muss ich fragen, wie kam die Arbeit zustande. Daran hat man jetzt gearbeitet. Das ist gut. Warum man aber dafür die Note abgeschafft hat, habe ich bis heute nicht verstanden. Das heißt, ich glaube, wir brauchen ein Bild in die Praxis. Wir müssen aber sie auch abbilden, wobei wir uns auch da alle darüber einig sind: Wir werden sie nie treffen, wie sie ist. Deswegen: Der Übergang, beispielsweise die Heimaufsicht mit ins Boot zu nehmen, hat ja nicht geklappt. Vergessen wir nicht: Die Nutzer waren ja gar nicht beteiligt bei der Ermittlung, wie es denn in Zukunft weitergehen soll mit dem Pflege-TÜV.
Münchenberg: Herr Brysch, Sie sagen, es gibt jetzt keine Note mehr. Sie sagen aber gleichzeitig, das ist eigentlich eine zentrale Information. Warum hat man dann diese Note abgeschafft? Was glauben Sie?
Brysch: Das ist relativ einfach. Dieser TÜV wird nicht gemacht von den Nutzern, wird auch nicht gemacht von den Pflegebedürftigen; er wird gemacht in Zusammenarbeit zwischen Krankenkassen und den Leistungsanbietern, also den Pflegeheimen jetzt in der ersten Stufe. Das heißt, Sie müssen dort alle mit an Bord nehmen. Und bis jetzt haben es ja die Pflegeheime zehn Jahre lang geschafft, eine wirklich aussagefähige Bewertung zu verhindern. Jetzt sind wir ein bisschen näher an der Realität. Das ist gut, wir sind auf einem guten Weg. Aber wir werden dann 2020 sehen, was kommt wirklich beim Nutzer an, weil erst dann können wir beide darüber diskutieren, schauen sie sich die neuen Bewertungen an, ist die Vergleichbarkeit gegeben. Wie gesagt, dann wird es spannend. Und wenn Sie so wollen, wir stehen am Anfang eines Schuljahres. Wir werden dann gucken, wenn die Zeugnisse ausgegeben werden im Juli 2020, was haben wir davon.
Münchenberg: Es gibt jetzt jede Menge neue Daten, zum Beispiel eine interne Erhebung der Heime. Dann gibt es eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst und dann auch noch allgemeine Informationen etwa zur Ausstattung der Zimmer in einem Pflegeheim. Wie bürokratisch wird dieses neue System werden?
Brysch: Dokumentation war immer sehr bürokratisch. Daran wird sich auch nichts ändern. Wir müssen mal das Positive anschauen. Jetzt auch Bewohner mit ins Boot zu nehmen, ist wichtig, mal stichpunktartig zu gucken, was kommt an. Aber bitte, schauen wir uns die Realität an. Ein Drittel der Heimbewohner stirbt nach drei Monaten nach der Aufnahme, zwei Drittel nach einem Jahr. Sie sehen, auch das gehört mit zur Realität. Es ist alles in Bewegung und damit wird noch nicht eine einzige Pflegekraft mehr angeschafft. Das ist ja alles eine Wirklichkeit. Und wenn Sie selbst heute ein Pflegeheim suchen, dann sage ich Ihnen, wie die Realität aussieht. Dann sind Sie erst mal froh, dass Sie eines haben, und dann gucken Sie, wie teuer es ist, und dann schauen Sie, was steht denn dann in dem Pflege-TÜV, der heute nichts sagt, aber der hoffentlich im nächsten Jahr mehr bringt.
Eine Bewohnerin sitzt am 05.06.2014 in Neu-Isenburg (Hessen) im Altenpflegeheim "Am Erlenbruch" im Rollstuhl in ihrem Zimmer.
Kommentar zur Reform des Pflege-TÜV: Theoretisch eine gute Idee
Der Neustart beim Pflege-TÜV ist zwar eine gute Nachricht. Doch es wird wohl in der Realität nicht häufig vorkommen, dass jemand mehrere Einrichtungen miteinander vergleichen muss, kommentiert Nikolaus Nützel. Denn Pflegeplätze sind weiter Mangelware.
Münchenberg: Herr Brysch, was würden Sie denn sagen, wie steht es um die Qualität im Augenblick, um die deutschen Pflegeheime?
Brysch: Ich glaube, wir sind jetzt auf dem Weg der Diskussion. Aber machen wir es doch nicht so theoretisch. Sagen wir doch den Menschen, geht doch mal selber in die Heime hinein. Wenn ihr euch dafür interessiert, was los ist und was für Mama, Papa, Oma oder Opa tun wollt, dann guckt doch mal rein, riecht doch mal rein. Das machst Du doch bei einer Suche einer Pension auch, indem Du da mal vorher schaust, wenn ich da länger bleibe, wie soll es denn da aussehen, ist es das, was mir gefällt. Ich spreche auch mal vielleicht mit nicht nur Mitarbeitern, ich spreche auch mit Angehörigen. Also ich sage, bitte auf sich selbst verlassen und nicht nur zu glauben, da habe ich jetzt was Neues, da gucke ich jetzt rein und das war’s. Machen wir doch auch nicht. Anfühlen, Anriechen. Das tun wir doch bei allen Produkten auch und genauso sollten wir es auch dann tun, wenn wir uns selbst dafür interessieren, wie sieht es denn beim Heim um die Ecke aus.
Münchenberg: Nun ist letztlich das Ziel dieses neuen Pflege-TÜVs, die Qualität der Pflege insgesamt zu verbessern. Könnte das in letzter Konsequenz auch den Beruf des Pflegers, der Pflegerin attraktiver machen?
Brysch: Wir müssen uns füreinander interessieren. Wir reden zu sehr übereinander als miteinander. Ich sehe ja immer das gleiche. Wenn man fragt, was machst Du eigentlich, dann heißt es, oh, Pfleger, das ist ein wichtiger Beruf. Aber wenn ich dann in die Details gehen will, dann versaue mir heute Abend nicht die Party, und genau das ist der Punkt. Das gehört zur Realität mit dazu. Es gibt Licht und Schatten und wir müssen diejenigen motivieren, die wirklich diesen Beruf angenommen haben und sagen, ich mache das gerne, ich bin engagiert. Aber leider verlieren wir zu sehr die Guten, und das ist unser Problem. Wir müssen die Strahlkraft erhöhen. Das heißt, Interesse der Gesellschaft, bessere Jobs, nicht zu viel Druck. Deswegen brauchen wir beispielsweise auch jetzt endlich die Pflegeschlüssel in unseren Heimen, wo eine solche Konkurrenz auf Kosten der Mitarbeiter nicht stattfinden darf.
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