Christiane Kaess: Seine Anhänger feiern ihn als Retter des Landes, aber seine Gegner sehen in ihm eine Gefahr für die Demokratie. Jair Bolsonaro ist zum neuen Präsidenten Brasiliens gewählt worden. Weil der Kandidat so umstritten ist, galt die Wahl als Schicksalswahl im größten Land Lateinamerikas. Bolsonaro gilt als extrem rechts und er fiel immer wieder durch extremistische Positionen und beleidigende Kommentare gegenüber Frauen und Minderheiten auf. – Darüber kann ich jetzt sprechen mit Peter Weiß von der CDU. Er ist Vorsitzender der deutsch-brasilianischen Parlamentariergruppe. Guten Morgen, Herr Weiß.
Peter Weiß: Guten Morgen.
Kaess: Das ist ein außergewöhnlicher Wahlsieg und viele machen sich jetzt Sorgen um die Entwicklung in Brasilien. Sie auch?
Weiß: Ja, man muss sich in der Tat Sorgen machen, wobei dieser Wahlsieg von Bolsonaro eigentlich vorauszusehen war. Seit Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes war er derjenige, der in den Umfragen geführt hat, und von daher ist der vergangene Sonntag keine Überraschung.
Kaess: Worüber machen Sie sich genau Sorgen?
Weiß: Jemand, der bisher als Exot galt im politischen System Brasiliens, ist nun plötzlich Präsident. Das ist natürlich zuerst einmal die Antwort der Wählerinnen und Wähler auf die katastrophalen Korruptionsskandale in diesem Land und auf die zunehmende Gewalt. Aber die Frage ist, ob die Antwort, die Bolsonaro geben will, die richtige ist, nämlich zum Beispiel Waffen auszugeben, um Gewalt zu bekämpfen. Da befürchtet man eher mehr Gewalt. Oder, was uns Europäer natürlich schreckt, dass er eventuell aus dem Klimaabkommen von Paris aussteigen will und die Amazonas-Regenwälder, die ja der CO2-Speicher dieser Welt sind, für landwirtschaftliche und andere Nutzung stärker abholzen lassen will, als das bislang der Fall war. Und natürlich befürchtet man auch, dass die sozialen Konflikte eher zunehmen als abgeschwächt werden. Von daher viele Fragezeichen, was die künftige Entwicklung Brasiliens anbelangt.
"Es kommt auf das Zusammenspiel zwischen Kongress und Präsident an"
Kaess: Er hat jetzt in der vergangenen Nacht nach seinem Wahlsieg etwas moderatere Töne angeschlagen. Macht Ihnen das Hoffnung?
Weiß: Ja, grundsätzlich schon, weil natürlich es etwas anderes ist, Wahlkampf zu führen oder nachher regieren zu müssen. Übrigens ein Präsident braucht auch in Brasilien zur Durchsetzung seiner Politik Mehrheiten im Parlament, im Kongress, und die hat Bolsonaro nicht. Er muss Mehrheiten suchen. Das wird ihm vielleicht auch gelingen. Aber dazu wird er sicherlich Kompromisse eingehen müssen, und daher ist die Frage, wie tatsächlich in Brasilien regiert wird, heute noch unentschieden. Da wird es sehr auch auf das Zusammenspiel zwischen Kongress und Präsident ankommen.
Kaess: Jetzt sprechen Sie die Institutionen an. Da fragen sich in der Tat viele, ist da jetzt die Demokratie in Gefahr, oder sind diese demokratischen Institutionen so gefestigt, dass sie dem standhalten. Was trauen Sie diesen Institutionen zu?
Weiß: Diese Frage muss man sich in der Tat sehr sorgenvoll stellen. Wir haben in Lateinamerika und gerade auch in Brasilien nach dem Ende der Militärdiktaturen eine Phase der Demokratisierung erlebt, die erfreulich war und ist, und diese demokratischen Institutionen haben sich gerade in Brasilien sehr, sehr stark selbst beschädigt. Korruption, die gegenseitigen Amtsenthebungsverfahren, die stattgefunden haben. Das Ergebnis ist Bolsonaro, ein Mann, der die alte Militärdiktatur verherrlicht. Wir stehen schon an einem Scheideweg, an dem sich entscheiden wird, ob die Demokratie auch in Brasilien eine Zukunft hat. Ich glaube, dass sie eine Zukunft hat, aber es stehen jetzt schwierige Monate, glaube ich, vor uns und man muss sehen, wie weit Bolsonaro gehen wird, ob er eventuell auch Institutionen zerstören will. Ich behaupte einmal, es gibt ja nicht nur in Brasilien den Präsidenten alleine. Es gibt die Gouverneure, es gibt die Bürgermeister, es gibt die gewählten Gemeinderäte und Parlamentarier. So einfach wird es nicht sein, die Demokratie in Brasilien kaputt zu machen.
"Europäer haben Chance verspielt, Einfluss zu nehmen"
Kaess: Ich spitze die Frage mal ein bisschen zu, denn Bolsonaro kommt ja aus dem Militär und es heißt auch, er habe dort viele Anhänger. Ist denn ein Rückfall in die Militärdiktatur denkbar?
Weiß: Jemand aus seinem Umfeld hat mal das Wort Putsch in den Mund genommen. Ich glaube nicht daran. Die Erfahrung der Militärdiktaturen in Brasilien und in anderen lateinamerikanischen Ländern ist ja keine positive, sondern letztlich eine Blamage für die Militärs, und ich kann mir nicht vorstellen, dass verantwortungsbewusste Militärs dorthin zurückkehren wollen. Allerdings wird unter Bolsonaro das Militär an Einfluss gewinnen. Er will auch etliche Ministerposten angeblich mit aktiven Militärs besetzen.
Kaess: Sagen Sie uns ganz kurz noch zum Schluss. Welcher Einfluss ist eigentlich von außen möglich, zum Beispiel durch die EU oder eventuell Deutschland?
Weiß: Was die Europäische Union anbelangt, finde ich es einen großen Fehler, dass wir es nicht geschafft haben, das EU-Mercosur-Abkommen, das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay rechtzeitig abzuschließen, weil dann würden wir jetzt von einer gefestigteren Basis der Zusammenarbeit ausgehen können. Es wird auch interessant sein, wie sich Bolsonaro letztlich zu diesem Abkommen positioniert, aber wir Europäer haben, glaube ich, eine Chance verspielt, uns enger mit Brasilien zu verbünden und damit auch Einfluss zu nehmen, und es wird jetzt sehr darauf ankommen, in welche Richtung Bolsonaro geht. Er ist natürlich ein Vertreter der Agrarlobby in Brasilien. Das macht es nicht einfacher, mit den Europäern Abkommen zu schließen.
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