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Neuer Roman von Dave Eggers
Wie ein nährstoffoptimierter Müsliriegel

Dave Eggers lässt den Protagonisten seines neuen Romans "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?" als Generalankläger auftreten, der die Gesellschaft vor sein privates Schiedsgericht zitiert. Das Buch besteht ausschließlich aus Dialogen - die sokratisch angelegt sein mögen, über rhetorisches Schattenboxen aber nicht hinauskommen.

Von Sacha Verna |
    Eine US-Flagge weht am 21.08.2013 auf dem Gelände des geschlossenen Gefangenenlagers "Camp X-Ray" auf Guantánamo Bay auf Kuba.
    Eggers geht es in "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?" um alles, was faul ist im Staate Amerika und darüber hinaus. (dpa/Johannes Schmitt-Tegge)
    Dave Eggers ist der Gutmensch unter den amerikanischen Autoren. 2000 erschien sein autobiografisches Erfolgsdebüt "Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität". Seither macht sich der 45-Jährige Buch für Buch für Schwache stark. In "Weit gegangen: Das Leben des Valentino Achak Deng" lieh er einem sudanesischen Flüchtling seine Stimme. In der Reportage "Zeitoun" beschrieb er, wie eine syrische Einwandererfamilie in New Orleans erst dem Hurrikan Katrina und dann dem amerikanischen Anti-Terrorismusapparat zum Opfer fällt.
    Nun hat Dave Eggers in kurzer Folge drei Romane veröffentlicht, in denen er sich mit den Übeln der binären Gegenwart und mit jenen seiner Heimat im Besonderen befasst. In "Ein Hologramm für den König" inszenierte er den Finanzkrach als Allegorie in der Wüste. Im Bestseller "The Circle" prophezeite er den Totalitarismus einer Google-, Apple- und Facebook-induzierten Transparenz. Im Vergleich dazu ist Eggers neuer Roman beruhigend analog. Oder genauer: dialog. Denn "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?" besteht ausschließlich aus Dialogen.
    Der epische Titel stammt direkt aus der Bibel. Mit Fragen wie diesen schlug sich einst ein gewisser Sacharja im Alten Testament herum. Sie bewegen in abgewandelter Form auch den Protagonisten, der eine Handvoll Leute kidnappt, von denen er sich Antworten erhofft. Thomas entführt unter anderen einen Astronauten, einen Kongressabgeordneten und seine Mutter auf einen verlassenen Militärstützpunkt in Kalifornien.
    Thomas erinnert an Holden Caulfield
    Warum verpulvern die Vereinigten Staaten Milliarden in sinnlosen Kriegen, anstatt mit dem Geld die NASA weiter zu finanzieren und eine Kolonie auf dem Mars zu gründen? Wieso durfte ein Haufen schwerbewaffneter Polizisten ungestraft Thomas' psychotischen Freund mit Kugeln durchsieben? Und weshalb hat die alleinerziehende, drogenabhängige Mama nicht genügend auf den kleinen Thomas aufgepasst? Thomas sucht weniger nach Erklärungen als nach Schuldigen. Seine eigene Orientierungslosigkeit und Verzweiflung hält er für gleichbedeutend mit der Misere der Welt. Dave Eggers benutzt Thomas seinerseits als Generalankläger, der die Gesellschaft an sich vor sein privates Schiedsgericht zitiert. Eggers geht es um alles, was faul ist im Staate Amerika und darüber hinaus.
    Thomas erinnert in seiner vergraulten Naivität an Holden Caulfield. Im Gegensatz zum Teenager in J.D. Salingers Kultroman "Der Fänger im Roggen" hat er allerdings die 30 längst überschritten. Dave Eggers verzichtet auf Komplexität. Vereinfachung gehört zur Natur des Lehrstücks. Die Gespräche mögen sokratisch angelegt sein, kommen über rhetorisches Schattenboxen aber nicht hinaus. Dabei zeichnet Eggers Thomas keineswegs als Lichtgestalt. Der Mann entpuppt sich als größenwahnsinniger Weichling, der nur zu gerne an die eigenen Lebenslügen glaubt. Doch bleibt seine moralische Motivation unangefochten. Sein Tun ist von so universaler Symbolik, dass selbst Fjodor Dostojewskis Großinquisitor unter dem Gewicht zusammenbrechen würde.
    Die besten Absichten sind in der Literatur oft die schlechtesten. "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?" ist pädagogisch vielleicht wertvoll. Doch im immensen Schlaraffenland der Fiktion wirkt dieser Roman wie ein nährstoffoptimierter Müsliriegel.
    Dave Eggers: Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig? Roman. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2015. 224 Seiten. 18,99 Euro.