In Seattle hat man ihn in eine Klinik gesteckt, am Bett fixiert und mit Spritzen ruhig gestellt. Da erreicht ihn der Brief einer Bekannten seiner Schwester Cee. Er solle schnell in den Süden kommen, nach Hause, Cee sei todkrank. Es gelingt, ihm zu fliehen, und bald steht er ohne Schuhe vor einer Kirche. Man hilft ihm weiter. Schickt ihn zur nächsten Stadt, zur nächsten Kirche.
"Diese ganze Reise von Seattle nach Georgia war für einen schwarzen Mann 1952, 53 auch eine Schlacht. Gefährlich, angsteinflößend. Man brauchte gute Freunde. Frank hat einen zweiten Kampf ausgefochten. Seine Reise war ein Symbol für mich, dafür wie gefährlich die Männerwelt war, vor allem für einen Schwarzen."
An amerikanischen Universitäten werden Toni Morrisons Bücher derzeit häufiger in Seminaren der Rechtsfakultät und bei den Geschichtswissenschaftlern gelesen und besprochen als bei den Literaturwissenschaftlern. Man diskutiert über den Rassismus in den USA.
Frank wollte nie wieder zurückkehren nach Georgia, in die kleine Stadt Lotus, wollte den Eltern der beiden Freunde nicht in die Augen schauen, die im Krieg gefallen waren. Für Frank ist Lotus, der schrecklichste Ort auf Erden, schrecklicher als jedes Schlachtfeld. Die herrische Großmutter passte auf die Kinder auf, während die Eltern 16 Stunden am Tag auf den Baumwollfeldern schufteten.
"Die Eltern waren so erledigt, wenn sie von der Arbeit nach Hause kamen, dass jede Geste der Zuneigung, die sie den Kindern zeigten, wie eine Rasierklinge war - scharf, kurz und dünn."
Kleine Schwester Cee
Die Großmutter quälte Franks kleine Schwester Cee. Er beschützte sie, so gut er konnte. Jetzt ist ihm nichts zu schwierig, um zu ihr zu kommen. Und er will noch etwas anderes finden beim Wiedersehen mit seiner Schwester: sein eigenes, besseres Ich, den Jungen, der er einmal gewesen war:
"Sie war der erste Mensch, für den ich je Verantwortung übernommen habe. Tief in ihr schlummerte das Bild, dass ich insgeheim von mir selbst hatte - ein starkes, gutes Ich."
Reise in die Stadt seiner Kindheit
Auf seiner Reise in die Stadt seiner Kindheit begegnet er Mitreisenden, die zusammen geschlagen worden sind, nur weil sie sich einen Kaffee in einem von Weißen besuchten Café kaufen wollten, gerät selbst in eine Schlägerei. Das Amerika der 50er-Jahre, das Toni Morrison zeichnet, ist ein anders als das, an das sich so viele Amerikaner gern erinnern:
"Menschen erinnern sich an ein goldenes Nachkriegszeitalter, an viel Geld, daran, dass jeder eine Arbeit hatte, die Fernsehshows fröhlich waren. Wir haben vergessen, wie das wirklich war in den 50er-Jahren: Wir haben McCarthy vergessen, den antikommunistischen Horror. Wir haben vergessen, dass es einen Krieg gegeben hat, den wir noch nicht einmal Krieg genannt haben, wir nannten es 'koreanische Polizeiaktion'. Und es war eine gewalttätige Zeit für Afroamerikaner."
Frank erinnert sich, wie er einmal ganz still mit seiner Schwester im Gras kauerte und beobachtete, wie ein toter Mann verscharrt wurde. Im Ort hatte man Kämpfe mit Schwarzen veranstaltet, mit Menschen statt mit Hunden oder Hähnen. Der Kampf war erst zu Ende, wenn einer leblos im Rund lag. Der Sieger durfte gehen. In eine ungewisse Zukunft. Einmal hatten sich Vater und Sohn gegenübergestanden. Der Vater flehte den Sohn an, ihn zu töten, nur so könne er überleben. Der Sohn gehorchte. Diese Szene ist bei Weitem nicht sie entsetzlichste in "Heimkehr". Aber sie verdeutlicht die Frage, die Morrsison unausgesprochen immer wieder stellt: Wie wächst ein Mensch heran, der soviel Gewalt erlebt hat?
Frank ist kein guter Mensch wie die Sklaven in "twelve years a slave" und es kommt auch kein engelsgleicher blonder Bratt Pitt, um ihn zu retten. Frank hat sexuelle Perversionen in Korea ausgelebt, sich die Not eines hungernden Kindes zunutze gemacht und zur Waffe gegriffen, um die Erinnerung daran ein für alle Mal auszulöschen. Aus Ekel vor sich selbst. Aber nicht sich hat er erschossen, sondern sein Opfer.
Beschreibung von Härte und Brutalität
In keinem ihrer Romane hat Toni Morrison sich gescheut, Härte und Brutalität zu beschreiben. Und immer bleibt sie dabei differenziert. Dass es Toni Morrison in "Heimkehr" gelingt, Frank als geschundene Kreatur statt als durchgeknallten GI darzustellen, als einen hochkomplexen Menschen, von dem man liest, ohne ihm die Pest an den Hals zu wünschen, dass sie dabei niemals sentimental wird, ist eine Meisterleistung.
"Erzähl von Erschöpfung, erzähl von Hunger. Ich habe Abfälle gegessen im Gefängnis, in Korea im Krankenhaus und auch aus mancher Mülltonne. Aber nichts kommt den letzten Resten aus der Armenküche gleich. Schreib darüber, trau Dich! Ich weiß noch, wie ich vor der Kirche des Erlösers in der Schlange stand für einen Blechteller mit vertrocknetem, steinhartem Käse, schon übersäht von grünen Schimmelflecken, der altbackene Keks darunter durchsäuert wie von Essig."
Allwissende Erzählerin und innere Monologe
Toni Morrison wechselt die Perspektiven. Neben dem Text der allwissenden Erzählerin gibt es innere Monologe der Hauptperson Frank. Zuweilen modifiziert er, was er noch im Kapitel zuvor gesagt hat, zuweilen berichtigt er die Erzählerin, fordert sich selbst auf, endlich das zu sagen, was er doch schon so lange hat sagen wollen. Weil Toni Morrison zudem nicht chronologisch erzählt, sondern zwischen Kindheit und Krieg, Ankunft und Reise hin und her wechselt, erzielt sie eine große Spannung. Und die Widersprüchlichkeit Franks, seine Zerrissenheit werden überdeutlich.
Wenn Toni Morrison Frank erzählen lässt, schreibt sie umgangssprachliches, aber natürlich grammatikalisch richtiges Englisch. Der Übersetzer nimmt es leider nicht so genau, vor allem nicht mit den Präpositionen. Da steht, siehe oben, Frank für einen Blechteller mit Käse an, der von grünen Schimmelflecken übersäht ist. Da befreit das Baumwollpflücken den Geist zu Racheträumen.
Toni Morrison hat ein sehr schmales Buch geschrieben, gerade einmal 150 Seiten lang, eher eine Novelle als, wie vom Verlag angekündigt, ein Roman. Leicht ist ihr das nicht gefallen:
"Es ist schwieriger, weniger zu schreiben, um mehr daraus zu machen."
Manchmal tut Toni Morrison doch etwas des Guten zu viel. Dann nämlich, wenn sie das Handeln ihrer Personen kommentiert. Dann glaubt man, einen Subtext zu lesen oder eine Fußnote. Wenn Cee selbständig und erwachsen wird, heißt es, dass sie ihren Bruder nicht mehr so brauche wie vorher. Wenn Franks Freundin Lilly, feststellt, dass sie sehr gut auf eigenen Füssen stehen kann, schreibt Toni Morrison, dass es das sei, was ihre Eltern ihr beigebracht hätten. Und dass Frank in Korea gemetzelt hat, hat ihn verändert. Ein überflüssiger Satz. Von Frank, der sich verändert, handelt die gesamte "Heimkehr". Toni Morrison schreibt so genau, detailliert, kühl - dass sie diese Anmerkungen nicht nötig gehabt hätte. Das ist aber auch der einzige kleine Wermutstropfen.
Unerwartet versöhnlich
"Home" endet, wie es nach der düsteren Reise kaum zu vermuten war: unerwartet versöhnlich. Zurück in Lotus näht die gesundete Cee einen Kilt: Lila Karmesin, Gelb und Marineblau. Und Frank, der bislang an einer unerklärlichen Augenkrankheit litt, alles nur schwarz weiß gesehen hat, erkennt die Farben.
"Ich habe keine Farben verwendet in meinem Roman. Alles ist entweder schwarz oder weiß. Bis Frank nach Hause kommt. Und die Baumwollfelder blühen pink, und die Bäume sind tiefgrün. So fühlt der Leser den Trost und die Behaglichkeit dessen, was 'zu Hause' ist."
Die fette Sonne ist kirschrot. Es ist heiß in Georgia, nicht kalt und rau und unwirtlich wie in Korea, wie in Seattle. Franks Reise ist auch eine Reise zur Sonne gewesen. "Heimkehr" endet hoffnungsvoll. Ein bisschen zu süßlich. So, als werde für Frank alles besser, sobald er nach Hause kommt. Als genüge es, den Blick über die pinkfarbenen Baumwollfeld schweifen zu lassen und alle Ängste, alle Schrecken, alle Traumata seien vergessen. So einfach ist es nicht.
Toni Morrison: "Heimkehr".
Aus dem Englischen von Thomas Piltz, Rowohlt, 156 Seiten, 18.95 Euro.
Aus dem Englischen von Thomas Piltz, Rowohlt, 156 Seiten, 18.95 Euro.