Archiv

Neuer Rushdie-Roman
"Vorstellungskraft ist das Entscheidende im Menschen"

Nicht oft hat man das Glück auf einen der bedeutendsten Vertreter zeitgenössischer Literatur zu treffen. Denis Scheck hatte es. Er traf den britisch-indischen Autoren Salman Rushdie und konnte mit ihm über seinen neuen Roman, grundlegende Wesenszüge des Menschen und Twitter sprechen - und das Ganze beim Tischtennis.

Salman Rushdie im Gespräch mit Denis Scheck |
    Salman Rushdie und Denis Scheck spielen während eines Interviews Tischtennis.
    Ein seltener Anblick: Salman Rushdie (l.) und Denis Scheck spielen sich beim Interview über Rushdies neuen Roman im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig die Bälle zu. (Thomas Morgott-Carqueville)
    Eine dunkelgrüne Platte mit einem Netz in der Mitte. Gegenüber stehen sich zwei Herren mit neongelben Schlägern und spielen sich die Bälle zu. Nicht gerade der stereotypische Schauplatz für ein literarisches Gespräch. Wir haben das Experiment dennoch gewagt. Salman Rushdie im Gespräch mit Denis Scheck:

    Denis Scheck: "Daneben - typisch Kritiker."
    Salman Rushdie: "Nicht schlecht: Sie werden aggressiv!"
    Scheck: "Wie Kritiker eben so spielen. Wieder daneben. Ist das Spiel zwischen Autor und Leser mit einer Tischtennispartie vergleichbar?"
    Rushdie: "Nein. Der Ball kommt nie zurück."
    Scheck: "Auch jetzt nicht durch das Internet?"
    Rushdie: "Ein wenig. Aber man spielt nicht, um zu gewinnen."
    Scheck: "Auf Twitter haben Sie eine Million Follower."
    Rushdie: "Stimmt."
    Scheck: "Was tweeten Sie?"
    Rushdie: "Nicht viel. Ich mache das nur gelegentlich für Leser."
    Scheck: "Über politische, ästhetische Fragen?"
    "Twitter nur zum Zeitvertreib"
    Rushdie: "Einfach über Bücher. Was einem so einfällt. Und nur hin und wieder."
    Scheck: "Ist das Schreiben in diesen neuen Medien mit Literatur vergleichbar?"
    Rushdie: "Nein!"
    Scheck: "Worin liegt der Unterschied?"
    Rushdie: "Es ist oberflächlich. Total oberflächlich. Wenn man es als etwas Leichtes und Lustiges nimmt, dann ist es ok, aber man darf es niemals ernst nehmen."
    Scheck: "Also ein Medium für Tortenrezepte?"
    Rushdie: "Genau. Und Katzenfotos."
    Scheck: "Wenn man einen Taschenrechner zu Hilfe nimmt, addieren sich die 'Zwei Jahre, acht Monate und 28 Nächte' Ihres Buchtitels zu Tausendundeiner Nacht ..."
    Rushdie: "Jedenfalls ohne Schaltjahr ..."
    "Neuer Roman behandelt uralten menschlichen Konflikt"
    Scheck: "Was stand am Anfang des Romans?"
    Rushdie: "Ich hatte mehrere Jahre an meiner Autobiographie gearbeitet und große Mühe darauf verwandt, peinlich genau die Wahrheit zu schreiben. Als ich mit dem Buch zu Ende war, hatte ich die Wahrheit einfach satt."
    Scheck: "Mir als Leser lassen Sie die Wirklichkeit, wie sie in Zeitungen dargestellt wird, als eine Art Märchen erscheinen, in dem der Islamische Staat oder Afghanistan plötzlich in magischem Licht erscheinen, als seien in einige dieser Menschen Ifrits, also böse Geister gefahren."
    Rushdie: "Genau das unterscheidet die Darstellung in einem Roman von der Darstellung dieser Sachverhalte, wie sie eben ein Journalist liefern würde. Ich möchte ja nicht mit Journalisten in Konkurrenz treten, ich möchte eine andere Art des Geschichtenerzählens finden, die andere Gefühle und Gedanken in Menschen auslöst. In meiner Sicht geht es in diesem Roman weniger um aktuelle Konflikte wie den um ISIS, sondern um einen uralten Konflikt im Menschen selbst zwischen Vernunft und Irrationalität. Wir alle sind alle teils vernünftig, teils unvernünftig."
    Scheck: "Eine Ihrer Hauptfiguren, ein Gärtner namens Mr. Geronimo, sagt denn auch am Ende des Romans, dass der Krieg der Welten, der Krieg der Menschen gegen die Dschinns, im Grunde ein Krieg sei, der in jedem menschlichen Herz tobe."
    Denis Scheck (l.) im Gespräch mit Salman Rushdie
    Denis Scheck (l.) im Gespräch mit Salman Rushdie (Thomas Morgott-Carqueville)
    Rushdie: "Es ist ein Krieg in unserem Inneren, denn ich finde, dass keiner unter uns ganz vernünftig oder ganz unvernünftig ist. Noch der irrationalste Mensch auf der Welt wird immer auch ganz plausible Verhaltenszüge zeigen, zum Beispiel seine Familie lieben. Und auch die vernünftigsten Menschen können sich mitunter sehr unvernünftig aufführen - aus Zorn, Eifersucht, Neid, all die Dinge, von denen Menschen heimgesucht werden.
    Manchmal wird dieser Krieg in der Außenwelt ausgetragen, dann kann man wirklich sehen, wie Armeen aufeinander zumarschieren. Dieser Krieg tobt aber auch jeden Tag in unserer Innenwelt, und so gesehen lässt sich ein Dschinn auch als etwas aus unserem Inneren und nicht nur als ein Außenphänomen verstehen."
    Scheck: "Warum interessieren sich die Bewohner des Märchenreichs Peristan überhaupt für uns Menschen?"
    Rushdie: "Weil wir reizvoller sind. Die Dschinns sind überirdisch, sie leben ewig und haben Sex ohne Unterlass, aber sonst haben sie nicht viel. Es gibt keine Kunst in Peristan, keine Bücher. Dass diese überirdischen Wesen uns Menschen faszinierend finden, liegt für mich schlicht daran, dass wir interessanter sind. Beim Schreiben des Buchs erinnerte ich mich ein bisschen an Wim Wenders Film 'Der Himmel über Berlin', in dem die Engel die Menschen beneiden. Bei mir ist es ganz ähnlich."
    Scheck: "Mir hat sehr gut gefallen, dass Sie sich insofern an die Konventionen des Dschinn-Märchens halten, als Flaschen in ihrem Roman eine große Rolle spielen, in denen man die Dschinns einsperrt. Wenn ich Ihnen nun eine blaue Flasche in die Hand drückte mit einem 'Nicht öffnen'-Schildchen am Hals, Sie aber wüssten, dass im Inneren ein mächtiger Dschinn auf seine Befreiung harrt, was würden Sie sich von ihm wünschen?"
    Rushdie: "Ich würde die Flasche nicht öffnen."
    Scheck: "Weil sie wie die Büchse der Pandora wirkt?"
    Rushdie: "Ja. Das Entscheidende bei den Dschinns ist, dass man sie letztlich nicht beherrschen kann. Man glaubt vielleicht, dass man es kann, aber in Wahrheit ist es unmöglich. Deshalb sollte man sie lieber in der Flasche lassen."
    "Märchen beinhalten Wahrheit über Menschen"
    Scheck: "Können Sie Ihre Kunst beherrschen?"
    Rushdie: "Nein. Deshalb behaupte ich ja, dass diese Märchen Wahrheiten über die menschliche Natur enthalten und nicht über Fabelwesen. Die Literatur als Kunstform setzt sich immer mit dem Wesen des Menschen auseinander - egal, welcher Kulissen sie sich bedient."
    Scheck: "Auch wenn sie von grünen Männchen vom Mars erzählt."
    Rushdie: "Das spielt keine Rolle. Romane über die Zukunft handeln immer von unserer Gegenwart. Romane über Märchenländer sind immer Romane über die Welt nebenan. Viele Wege führen nach Rom, und so ist auch dies nur ein Zugang zu den Wahrheiten, die man über das Wesen des Menschen zu Papier bringen kann."
    Scheck: "Sie haben ja auch eine persönliche Verbindung zu Ihrem Roman: Ihr Vater hat ihren Familiennamen geändert und nannte sich zu Ehren von Ibn Ruschd, den wir als Averroës kennen, Rushdie. Warum hat er das getan?"
    Rushdie: "Weil er ihn als Philosoph bewunderte. Als mir das klar wurde, begann ich Ibn Ruschd zu lesen und stellte fest, dass auch ich ihn bewunderte. Mein Vater hat da eine Wahl getroffen, die weise war und mir auch in anderer Hinsicht viel bedeutet. Mir gefällt die Vorstellung, dass ein Gelehrter des 12. Jahrhunderts für Toleranz, Vernunft und Wissenschaft kämpft. Zu den großen Unterschieden zwischen ihm und mir und meinem Vater zählt aber, dass Ibn Rushd nie aufhörte, ein religiöser Mensch zu sein, er hat sich immer als einen Gläubigen verstanden."
    Scheck: "Wenn man nicht auf dem Scheiterhaufen enden wollte, gab es zu seiner Zeit dazu keine Alternative ..."
    Rushdie: "Ja. Aber nicht nur deshalb. Er hielt sich wirklich für einen Gläubigen. Und das unterscheidet ihn von meinem Vater und von mir. Aber es würde mir auch nicht gefallen, wenn er nur ein Avatar meiner selbst wäre. Es machte mehr Spaß, über ihn zu schreiben, sobald ich Figur und Autor trennen konnte."
    "Kamelen ist Inzest auch egal"
    Scheck: "Zu den faszinierendsten Figuren in Ihrem Roman zählt für mich Dunia, eine Dschinn-Prinzessin, die all ihre Macht, ihre Paläste und Reichtümer aufgibt, um mit Ibn Rushd ihre zahlreichen Kinder in die Welt zu setzen. Und wir lernen, dass zu ihren Nachkommen auch Salman Rushdie zählt ..."
    Rushdie: "Vielleicht. Vielleicht Sie ja auch ... Lassen Sie mich mal ihre Ohrläppchen sehen ... Mein Roman handelt von der Liebe, wir haben es nicht vollkommen in der Hand, wen wir lieben oder warum wir jemand lieben. Wir wissen immer erst hinterher, dass es Liebe ist, und dann realisieren wir, welch ungeheure Macht die Liebe über uns hat. Dunia ist ja die eigentliche Hauptfigur in meinem Roman. Was mir an ihrer Beziehung zu dem Gärtner Mr. Geronimo gefiel, der ja eigentlich ihr Urururenkel ist ..."
    Scheck: "Die Dschinns machen sich nichts aus Inzest ..."
    Rushdie: "Da sind die wie Kamele, denen ist Inzest auch egal. Beide haben etwas gemeinsam: sie haben eine große Liebe verloren. Und als sie für kurze Zeit zusammenkommen, erkennen sie im anderen diese verlorene Liebe. Ich habe mich gefragt, ob das nicht auf viele Menschen zutrifft. Jeder, der älter als 16 ist, hat meistens jemand verloren, den er geliebt hat. Liebe verwandelt sich dann in etwas, das man in seinem Leben zu ersetzen versucht, man will diese Lücke stopfen. Und wenn man jemand findet, der sich als Lückenstopfer anbietet, dann kann das sehr attraktiv wirken. So entwickelte sich eine Liebesgeschichte, von der ich fand, dass Sie Wahrheiten über uns Menschen ausdrückt, nicht über Wunderwesen."
    Mehrere muslimische Demonstranten halten Plakate hoch, auf denen das Buch "Satanische Verse" verurteilt wird.
    Salman Rushdie

    Der britisch-indischer Schriftsteller, Jahrgang 1947, zählt zu den bedeutendsten Vertretern der modernen Literatur. In seinen Erzählungen nutzt Rushdie oft märchenhafte Elemente. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm mit dem Buch "Mitternachtskinder".

    Rushdies Werk "Die satanischen Verse" aus dem Jahr 1988 löste in der muslimischen Welt Kritik aus. Weil in dem Buch der Prophet Mohammed dargestellt werde, rief der iranische Staatschef Khomeini dazu auf, Rushdie zu töten. Der Autor lebte jahrelang unter Polizeischutz an wechselnden geheimen Orten.

    Das Todesurteil wurde bis heute nicht aufgehoben, dennoch zeigt sich Rushdie inzwischen wieder in der Öffentlichkeit. In diesem Jahr war Rushdie Gast zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse, wo er seinen neuen Roman "Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte" vorstellte.
    Scheck: "Beim Lesen von 'Zwei Jahre, acht Monate und 28 Nächte' hatte ich unentwegt das Gefühl, dass Salman Rushdie eine Menge Spaß beim Schreiben gehabt haben muss. Es treten alle Arten von Superhelden darin auf, wie wir sie aus Comics, aus dem Kino und aus der Literatur kennen, Menschen, aus die Blitze aus den Fingerspitzen aussenden können, Menschen, die schweben, Drachentöter ..."
    .Rushdie: "Genau darin besteht das Vergnügen Spaß. Das Wertvollste, was ich aus diesen Zaubermärchen aus dem Osten gelernt habe, ist, dass Literatur und Wahrheit zweierlei Dinge sind. Es geht um Fantasieprodukte. Madame Bovary ist nicht weniger erfunden als ein Fliegender Teppich.
    Hat man einmal erkannt, dass die Literatur ihrem Wesen nach im Erfundenen liegt, dann liegt darin eine große Befreiung. Und auch ein großes Vergnügen. Ich war immer der Ansicht, dass Geschichte und Märchen zwei Arten sind, die Geschichte der Menschheit zu erzählen."
    Scheck: "Welchen Beitrag leistet dabei das Märchen?"
    "Vorstellungskraft das Entscheidende im Menschen"
    Rushdie: "Träume. Die Geschichte beschäftigt sich nicht mit dem, worauf wir ein Drittel unseres Lebens verwenden, nämlich zu schlafen und zu träumen. Wir sind Wesen mit Phantasie. Ehe man ein Rad baut, muss man sich ein Rad vorstellen. Ehe man einen Hyperlink programmiert, muss man sich einen Hyperlink vorstellen.
    Unsere Vorstellungskraft ist das Entscheidende im Menschen. Die Geschichte beschäftigt sich wenig mit der Phantasie. Die Literatur rückt die Phantasie aber ins Zentrum der menschlichen Geschichte. Literatur spricht von der gelebten Erfahrung, weniger von dem Zusammenprall der großen Mächte in der Welt, sie spricht davon, wie es sich anfühlt, als Mensch in dieser Welt zu leben. Und Literatur stellt uralte Fragen.
    Können wir durch unsere Handlungen unsere Zeit beeinflussen, oder macht unsere Zeit mit und aus uns, was sie will? Das Verhältnis zwischen dem Individuum und der Gesellschaft ist ja auch eine der zentralen Fragen der Geschichte. Im Roman muss das Individuum im Zentrum stehen. Ohne einen Menschen im Zentrum ist jeder Roman langweilig. "
    Scheck: "In Ihrer Autobiografie 'Joseph Anton' beschreiben Sie, dass Ihr Werdegang als Autor im Grunde in der Entdeckung ihrer eigenen Persönlichkeit bestand."
    Rushdie: "Wenn man sich in seinem eigenen Ich nicht recht gut auskennt, was auch bedeutet, sich selbst mit gesundem Misstrauen zu begegnen, dann ist es sehr schwer zu wissen, was für eine Art Schriftsteller man ist."
    Scheck: "Sie haben mal gesagt, jeder Roman sei eine Reise zu einem Ort in Ihrem Inneren. Wo lag dieser Ort bei 'Zwei Jahre, acht Monate und 28 Nächte'?"
    Rushdie: "Mit diesem Buch hat sich für mich ein Kreis geschlossen. Ich kehre darin zu der Sprache zurück, mit der ich begann ..."
    Scheck: "In Bombay?"
    Rushdie: "Ja. Und finde nun heraus, was mir diese Sprache heute bedeutet. Ich wollte nichts Folkloristisches schreiben, nichts über das Bagdad aus Tausendundeine Nacht, den Kalifen Harun al Raschid. Das hat mich nicht interessiert. Mir ging es darum, mit dieser Stilmaske über unser Hier und Heute zu schreiben. Ich halte mein Buch für einen sehr zeitgenössischen Roman."
    "Einstellung zur Meinungsfreiheit scheint sich verändert zu haben"
    Scheck: "Sie haben neulich in einem Kommentar erklärt, Sie hätten Zweifel, ob jene Autoren, die in New York nicht bereit waren, an einer Ehrung der Redaktion von 'Charlie Hebdo' durch den PEN teilzunehmen, Sie zur Zeit der Fatwa verteidigt hätten."
    Rushdie: "Stimmt. Da bin ich mir in der Tat nicht sicher. Ich bin mit vielen dieser Autoren befreundet, deshalb bestürzt mich das so. Tatsache ist aber, dass diese Karikaturisten aus denselben Gründen angegriffen wurden wie ich. Damals schien jeder zu verstehen, dass Meinungsfreiheit ein höheres Gut ist als das, was man meinem Werk vorwarf. Heute leben wir in Zeiten, in denen viele solche Fanatiker lieber beschwichtigen statt ihnen mutig entgegenzutreten."
    Scheck: "Islamophobie lautet der Lieblingsvorwurf heute."
    Rushdie: "Ich hasse dieses Wort. Ich finde, Ideen darf man ablehnen, aber intolerant gegen Menschen darf man nicht sein. Wer gegen Moslems intolerant ist, dem muss man entgegentreten. Eine Idee hingegen abzulehnen, ist ein Grundrecht.
    Wenn Sie behaupten, die Erde sei eine Scheibe, dann haben Sie das Recht dazu, aber ich habe das Recht, Ihnen zu erwidern, dass Sie ein Narr sind. Denn die Welt ist ja in Wahrheit keine Scheibe. Wenn Sie Meinungen vertreten, die mir gegen den Strich gehen, oder ich Meinungen vertrete, die Ihnen gegen den Strich gehen, dann müssen wir uns das sagen können.
    Es darf da keinen Schutzzaun geben. Es darf keine islamische Ausnahme geben. Es besteht keinerlei Anlass, warum diese islamischen Ideen nicht genau so kritisiert werden dürfen wie jede andere Idee auf der Welt auch. Es besteht aber ein großer Unterschied zwischen der Kritik von Ideen und dem Angriff auf Menschen. Und hieraus resultiert die Verwirrung bei diesem Streit um die sogenannte Islamophobie."
    "Wir sitzen hier, weil es die Aufklärung gab"
    Scheck: "Hält Salman Rushdie heute noch am Projekt der Aufklärung fest - obwohl Sie die Erfahrung machen mussten, nicht die Solidarität aufgeklärter Schriftsteller im 21. Jahrhundert zu erhalten?"
    Rushdie: "Ja. Dass wir hier hier sitzen können, in New York, und dass diese Stadt so ist, wie sie ist, dafür ist ja die Aufklärung verantwortlich. Die französische Aufklärung entwickelte jene Idee von Freiheit und Meinungsfreiheit, auf denen die westliche Demokratie gründet ..."
    Scheck: "Ein bisschen trugen da auch die Deutschen dazu bei ..."
    Rushdie: "Ich räume gern den Anteil der Deutschen daran ein ..."
    Scheck: "Sehr freundlich."
    Rushdie: "Ich erwähne die Franzosen, weil es die Franzosen waren, die Thomas Payne beeinflussten. Und Thomas Payne hat diese Ideen aus Frankreich nach Amerika gebracht, wo sie die Leitideen der amerikanischen Revolution und Verfassung und so weiter wurden. Wir schulden diesen Franzosen und auch einigen Deutschen also sehr viel."
    Scheck: "Und warum gerieten diese Werte und Ideen im 21. Jahrhundert in Vergessenheit zugunsten eines kulturellen Relativismus, wie er sich in diesem Begriff 'Islamophobie' widerspiegelt?"
    Rushdie: "Mir tut das in der Seele weh. Ich bin ein Kind der 60er Jahre. Als ich ein junger Mann war, war die Religion als politischer, gesellschaftlicher Faktor im Grunde verschwunden. Die Vorstellung, dass die Religion wieder ins Zentrum des Geschehens treten und den Lauf der Welt bestimmen könnte, schien noch vor 50 Jahren schlicht absurd. Und ich kann nur hoffen, dass sie 50 Jahre in der Zukunft wieder absurd sein wird."