Antje Deistler: Wenn es jemals einen Verlag gab, der sich mit einem Paukenschlag gründete, dann ist es wohl der Kampa Verlag. Denn wie in den vergangenen Tagen bekannt wurde, erscheint das Werk von Georges Simenon nicht mehr, wie 40 Jahre lang, bei Diogenes in Zürich, sondern im neuen Verlag von Daniel Kampa. Kampa war selbst 20 Jahre lang bei Diogenes, zuerst als Volontär, zuletzt, von 2005 bis 2013, als Mitglied der Geschäftsleitung. Danach ging er als Verleger zu Hoffmann und Campe nach Hamburg. Diesen Posten verließ er im vergangenen Juni, um als Eigentümer und Geschäftsführer den Kampa Verlag zu starten. Firmensitz: Zürich.
Für großen Diogenes ist der Verlust von Simenon schmerzhaft, aber der kleine Kampa Verlag hat einen echten Coup gelandet. Ich habe Daniel Kampa heute Vormittag am Telefon erreicht und ihm zunächst einmal gratuliert.
Daniel Kampa: Guten Tag, vielen Dank!
Deistler: Lassen Sie uns rekapitulieren, ich möchte mir das gerne genau vorstellen können. Also, die englische Agentur Peters Fraser and Dunlop, die zusammen mit Simenons Sohn John Simenon die Weltrechte hält, hat den Vertrag mit Diogenes nicht verlängert – das muss schon vor einer ganzen Weile passiert sein –, der Vertrag lief dann 2016 endgültig aus. Sie kennen John Simenon gut, Sie haben schon bei Diogenes mit ihm gearbeitet. Haben Sie ihm damals als zukünftiger Eigentümer des Kampa-Verlags ein Angebot unterbreitet, oder haben Sie Ihren Verlag vielleicht überhaupt erst gegründet, um den Simenon selbst verlegen zu können?
Kampa: Nein, das stimmt natürlich nicht, weil man gründet keinen Verlag, nur um Simenon zu machen. Ich möchte einen literarischen Verlag machen, ich möchte auch neue Autoren natürlich veröffentlichen, und wir starten ja im Herbst 2018. Da gibt es zum Beispiel auch Romane eines amerikanischen, eines englischen, eines deutschen und auch einer polnischen Autorin. Man möchte ja neue Autoren auch entdecken, und Simenon ist natürlich dabei ein sehr schöner Zusatz, weil ich auch Kriminalromane veröffentlichen möchte. Also der Verlag wird auch einen starken Krimiteil haben, aber jetzt nur einen Verlag machen, um Simenon zu machen, das wäre dann schon ein bisschen übertrieben.
"Diogenes hat einen wunderbaren Job gemacht"
Deistler: Was genau haben Sie vor mit dem Werk von Georges Simenon?
Kampa: Diogenes hat einen wunderbaren Job gemacht, ich war ja auch teilweise daran beteiligt. Es ist ein gewaltiges Werk von über 200 Romanen. Es gibt 75 Maigret-Romane, mehr als 100 sogenannte Non-Maigrets, seine psychologischen Romane, die ja eigentlich viel wichtiger sind und die wirklich Weltliteratur sind, das heißt, da gibt es viel zu tun. Man kann aber auch mehr machen, weil durchaus viele Bücher lange nicht lieferbar sind. Es gibt auch Neuentdeckungen zu machen, es gibt frühe Kriminalgeschichten, die noch nie auf Deutsch erschienen sind, die zum Beispiel sehr wichtig sind, weil Simenon immer erzählt hat, dass ihm diese Figur des Maigret eigentlich im Hafen von Delfzijl sozusagen irgendwie vor die Augen getreten ist, und das stimmt einfach nicht. Das ist nur eine Legende, die Simenon sehr gerne erzählt hat, aber man merkt bei den frühen Kriminalerzählungen, die er noch unter Pseudonym geschrieben hat, dass er sich an diese Figur herangetastet hat, dass es also Figuren gab, die schon sehr ähnlich an Maigret waren – ein Inspektor, der zum Beispiel G7 genannt wird.
Und das ist natürlich spannend, wenn man diese ganz frühen Kriminalerzählungen, die auch sehr schön sind oder auch durchaus ein literarisches Kolorit schon haben, wenn man die zum Beispiel auf Deutsch zum ersten Mal macht. Die autobiografischen Schriften von Simenon sind seit über zehn Jahren oder 15 Jahren nicht lieferbar. Es gibt auch eine autobiografische Erzählung, eine Auseinandersetzung von Simenon mit seiner Mutter, "Brief an meine Mutter", da fehlt auch seit 15 Jahren eine Einzelausgabe, wird von vielen Kritikern mit Kafkas "Brief an den Vater" verglichen. Die Reportagen Simenons sind nicht lieferbar, die literaturkritischen Schriften von ihm. Es gibt Aufzeichnungen, die er in den letzten Lebensjahren gemacht hat. Simenon hat sehr viel fotografiert. Er reiste um die ganze Welt, hat Fotos gemacht, in Frankreich gab es viele Ausstellungen, und es wäre doch durchaus auch schön, mal einen Fotoband mit diesen Dokumenten zu machen. Also Sie sehen, man kann da noch sehr viel machen – Simenon ist sehr bekannt, aber es gibt viele Aspekte seines Werks, die man durchaus noch entdecken kann.
"Natürlich muss ein Verlag sich wirtschaftlich tragen"
Deistler: Sie haben dafür bekannte Übersetzer gewonnen, Mirko Bonné beispielsweise, und es ist eine Menge, was Sie da vorhaben – das wird Geld kosten. Von Ruhm und Ehre mal abgesehen, lohnt sich das, auch finanziell?
Kampa: Ich hoffe! Aber natürlich, die erste Entscheidung ist wirklich eine Entscheidung jetzt nicht des Buchhalters, den ich noch gar nicht habe übrigens, und auch nicht des Controllers, und ich werde auch nie einen Controller haben im Verlag, darum macht man sich ja auch selbstständig, um mal den Controller loszuwerden. Natürlich muss ein Verlag sich wirtschaftlich tragen, aber hier ist es wirklich eine Herzensangelegenheit. Ich liebe Simenon über alles, und ich werde alles für Simenon tun. Und natürlich hoffe ich auch, dass ich damit ein bisschen Geld verdienen kann oder jeweils kein Geld verlieren muss.
Deistler: Wie aktuell sind die Bücher, sind die Themen denn noch? Sie möchten ja ein jüngeres Publikum für Simenon begeistern – warum sollen, sagen wir mal, unter 50-Jährige ihn heute noch lesen?
Kampa: Jeder kann Simenon lesen. Die Maigret-Kriminalromane sind ja sehr bekannt, werden auch wieder neu verfilmt. Das sind wunderbare Krimis, die in der Qualität wirklich unerreicht sind. Viele imitieren eigentlich Simenon, aber kommen da nicht ran – ob diese Romane in Venedig, in der Bretagne oder wo auch immer spielen. Er hat große Fans, also die Maigret-Romane sind wunderbar. Aber mir geht es vor allem um die Non-Maigrets, um die psychologischen Romane. Das ist wirklich Weltliteratur. Es gibt so Romane von Simenon wie "Die Glocken von Bicêtre" oder "Der Schnee war schmutzig" – wenn das heute als Manuskript ohne Namen in einen Verlag reinkommen würde, da würden wirklich ganz viele Verleger in die Luft springen und sagen, meine Güte, wir haben hier ein Meisterwerk bekommen, das müssen wir sofort verlegen, und würden auch sofort ein Leseexemplar machen und es rausbringen, und es hätte auch Erfolg. Man sieht den Romanen von Simenon, seinen besten und seinen guten Romanen – natürlich hat er auch einige geschrieben, die vielleicht weniger gut sind –, man sieht diesen Romanen nicht an, wann sie geschrieben wurden, sie sind wirklich zeitlos. Und warum sind sie zeitlos? Weil Simenon einfach über die Menschen schreibt und über die Probleme des Menschen, und die sind natürlich zeitlos.
"Der erste Verleger von Simenon in Deutschland war eben nicht Diogenes"
Deistler: Daniel Kampa, als Sie 2013[*] von Diogenes zu Hoffmann und Campe gingen, sagten Sie in einem Interview, dass Sie den Diogenes-Verleger Daniel Keel sehr verehrt haben und jeden Tag an ihn denken. Was glauben Sie, was würde er zu dem Wechsel von Simenon von Diogenes zum Kampa-Verlag sagen?
Kampa: Sicherlich wäre er nicht erfreut, aber ich hätte es natürlich auch nicht gemacht zu seinen Lebzeiten. Man darf nicht vergessen, dass Daniel Keel Simenon dem Kiepenheuer & Witsch Verlag sozusagen abgeluchst hat. Der erste Verleger von Simenon in Deutschland war eben nicht Diogenes, sondern Kiepenheuer & Witsch, über 20 Jahre lang, und die haben 80 Bücher gemacht, und irgendwann hat Simenon dann den Verlag gewechselt. Ein Verlag kann einen Autor nicht wegnehmen, es ist schon der Autor, der entscheidet, wo seine Bücher erscheinen. In dem Fall ist es nicht der Autor, sondern der Sohn, das heißt die Erben, und im Endeffekt geht es da um Vertrauen. Es geht um Editionspläne, es geht um die Zukunft und welche Ideen man hat, um so ein Werk, das natürlich am Leben erhalten werden muss … was man damit vorhat und wie man das macht.
Deistler: Vielen herzlichen Dank, Daniel Kampa, für dieses Gespräch!
Kampa: Ich danke Ihnen, Frau Deistler!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
[*] Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle wurde ein Versprecher bei der Jahreszahl korrigiert.