Mit Burkhard Jung (SPD) steht zum ersten Mal ein Bürgermeister aus dem Osten Deutschlands dem Städtetag vor. Als größte Entwicklungthemen für die Städte nannte er im Dlf bezahlbaren Wohnraum und die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs. "Das wird uns in den nächsten Jahren beschäftigen müssen."
Geld für einen "Qualitätssprung" im ÖPNV
Eine Verkehrswende zu schaffen, die die Menschen "auch von Herzen mittragen können", funktioniere nicht über eine Verteufelung des Autos, sondern über einen "Qualitätssprung" beim öffentlichen Nahverkehr, sagt der Leipziger Oberbürgermeister.
Die Kommunen würden für die nächsten zehn Jahre "mindestens 20 Milliarden Euro" brauchen, um Anreize für die Menschen zu schaffen, "ihr Auto stehen zu lassen, es gegebenenfalls gar nicht mehr zu nutzen oder abzuschaffen".
Mit einem guten S-Bahnnetz ließen sich sogar Trends wie die grassierende Landflucht umkehren. Jung führte Beispiele aus dem Leipziger Umland an, wo Menschen seit einem Ausbau des S-Bahn-Verkehrs vermehrt mit der Bahn pendelten.
"Ich würde immer das Bündnis vor Ort bevorzugen"
Beim bezahlbaren Wohnen pocht Jung auf schnelleres, preiswertes, dennoch qualitätsvolles Bauen sowie in angespannten Märkten auf ein ganzes wohnungspolitisches Instrumentarium: eine Quote für soziales Wohnen ab 100 Neubauwohnungen etwa oder eine Mitpreisbremse, wie Leipzig sie mithilfe des Landes Sachsen zu realisieren versuche.
Von einem gänzlichen Einfrieren der Mietpreise hält Jung nichts. "Man muss es wirklich zu Ende denken", sagt er. Im besten Falle brauche es "vernünftige, kluge Bündnisse vor Ort (...) im Miteinander von Investment und Stadtverwaltung, Wirtschaft und öffentlicher Hand".
Um auf Bundesebene gehört zu werden, müssten Kommunen vor allem gemeinsam mit einer Stimme und einer klaren Botschaft auftreten.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Die Eigenwerbung klingt so: "Wir vertreten 3400 Städte und Gemeinden und damit rund 52 Millionen Bürgerinnen und Bürger gegenüber Bund und Ländern", sagt der Deutsche Städtetag. Bisher an der Spitze vertreten durch den Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe (CDU). Der ist ab sofort Vizepräsident. Der neue Präsident stammt aus Siegen und ist Oberbürgermeister der Stadt Leipzig. Mit Burkhard Jung (SPD) leitet erstmals ein Stadtoberhaupt einer ostdeutschen Kommune den Deutschen Städtetag.
Städte und Gemeinden bilden den Lebensraum der meisten Menschen hierzulande – ein Grund für uns, den neuen Präsidenten zum Interview zu bitten. Vor dieser Sendung habe ich Burkhard Jung gefragt, welches sein wichtigstes Ziel im neuen Amt ist.
Burkhard Jung: Das wichtigste Ziel für jeden Städtetagspräsidenten ist es, möglichst viele mitzunehmen, für alle zu sprechen und zu Konsens- und Kompromisslösungen zu kommen, die dennoch Schlagkraft haben. Und wenn Sie es jetzt konkret an Themen festmachen wollen: Ich habe heute immer wieder zwei große Themen genannt. Das erste ist bezahlbarer Wohnraum in den großen Metropolen und das zweite Thema ist die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs. Ich glaube, das sind die beiden zentralen Themen, und die umfassen auch das Thema städtische Verantwortung, Klimaschutz, Emissionsfreiheit, Verkehrsentwicklung, insgesamt Mobilität. Kurzum: Die beiden Themen – ich glaube, das wird uns die nächsten Jahre beschäftigen müssen!
"Das Thema Wohnen ist voller Sprengkraft"
Heinemann: Welche Sprengkraft steckt in dem Thema Wohnen?
Jung: Ja, das Thema Wohnen ist natürlich voller Sprengkraft. Wir brauchen auf der einen Seite schnelleres, preiswertes, dennoch qualitätsvolles Bauen, Bauen, Bauen. Auf der anderen Seite sind einige Margen so in den Himmel geschossen, dass die Mieten kaum noch zu zahlen sind. Wie hat es der Bundespräsident gesagt: Ein Busfahrer, eine Pflegerin müssen doch bitte in der Stadt wohnen können und nicht morgendliche Anfahrtszeiten von einer Stunde in Kauf nehmen. Und dies mit unserer Bürokratie, dies mit unseren energetischen Vorschriften, dies in Verbindung zu bringen mit unseren Sozialraumbindungen, das ist schon ein hoch komplexes interessantes Ziel.
Heinemann: Und das Beispiel Busfahrer zeigt ja das Dilemma. – Investoren wollen mit Wohnungen Geld verdienen. Die Menschen, zum Beispiel der Busfahrer oder die Busfahrerin, die benötigen bezahlbaren Wohnraum. Wie bringt man beides unter einen Hut?
Jung: Wohnen ist nicht einfach nur ein vergleichbarer Markt, sondern Wohnen ist Heimat, ist Grundrecht, existenzielles Bedürfnis des Menschen, und deshalb braucht es im besten Falle vernünftige, kluge Bündnisse vor Ort zwischen Investoren, der öffentlichen Hand, der Wirtschaft, den Kammern, um dort miteinander Lösungen zu finden. Ich glaube nicht, dass es so weitergehen kann mit unanständigen Margen - das muss man auch erzählen und dazu auch stehen -, das beste und das höchstmögliche rauszupressen aus einer Wohnung, sondern es muss auch darum gehen, in sozialer Verantwortung miteinander Lösungen zu finden.
Heinemann: Wie lösen Sie das Problem bei Ihnen in Leipzig?
Jung: Wir kommen zunehmend in die Situation, dass wir einen angespannten Wohnungsmarkt haben – mittlerweile unter zwei Prozent Leerstand. Das heißt, auch da geht es nach oben, und in der Tat versuchen wir, mit einem Instrumentenkasten dem gegenzusteuern, um keine Münchener Verhältnisse, um es mal zuzuspitzen, zu bekommen. Eine Möglichkeit ist natürlich das wohnungspolitische Bündnis, wo wir miteinander uns Ziele vereinbaren. Das zweite Thema ist Sozialraumbindung. Wir machen es mit 30 Prozent ab 100 Wohnungen fest. Das dritte Thema ist, miteinander in städtebaulichen Entwicklungen die Ziele zu vereinbaren, auch die Finanzierung des Investors an der sozialen Infrastruktur, Schule und Kita mitzuorganisieren. Das vierte Thema ist eine Mietpreisbremse, die wir in Leipzig versuchen einzuziehen. Dafür brauchen wir die Hilfe des Landes. Es gibt einen ganzen Instrumentenkasten, und ich glaube, wir müssen auf Bundesebene noch weiterkommen im Hinblick auf Baulandausweisung, Unterstützung, gegebenenfalls auch über Baugebote sprechen, wie Kollege Palmer es in Tübingen angesprochen hat.
Jung: Kurzum: Wir sind noch längst nicht am Ende, sondern am Anfang einer Diskussion, die ich aber für dringlich halte, weil es nicht so weitergehen kann.
"Ich persönlich favorisiere sehr die Wohngeld-Unterstützung"
Heinemann: Können Sie das mit den 30 Prozent und den 100 Wohnungen gerade noch erklären?
Jung: Wir versuchen, ab 100 Neubauwohnungen 30 Prozent dieser Wohnungen auszuweisen mit einer Sozialraumbindung, indem wir die einzelne Wohnung bezuschussen. Ich mache es mal ganz konkret für die Hörerinnen und Hörer. Neu kostet die Errichtung dieser Wohnungen zirka zehn bis elf Euro pro Quadratmeter (viel günstiger kann man wirklich kaum bauen), und dann gibt es einen Investitionszuschuss für eine Sozialraumbindung, so dass im Einzelfall die Wohnung dann bei 6,50 liegen könnte, wenn sie neu vermietet wird an den, der den Wohnberechtigungsschein dafür hat.
Das ist immer noch nicht günstig für den, der 1400, 1500 Netto hat, aber es ist ein Versuch in die richtige Richtung.
Das zweite Thema, das will ich auch noch auflisten: Ich persönlich favorisiere sehr die Wohngeld-Unterstützung, die Subjektförderung des einzelnen Menschen, weil man dann ganz gezielt dem, der es nötig hat, die Unterstützung geben kann und er dann auch den notwendigen und ihm angemessenen Wohnraum bekommen kann.
Heinemann: Wobei ja Kritiker genau da sagen, das preisen Vermieterinnen und Vermieter schon wieder ein.
Jung: Ja, aber im anderen Falle wohnen gegebenenfalls im Ergebnis dann nicht mehr diejenigen dort, die es eigentlich nötig hätten. Es gibt immer Licht und Schatten bei beiden Lösungen. Aber ich glaube, wahrscheinlich liegt die Kunst genau in der Mitte von beidem.
Heinemann: Sollten, wie in Berlin jetzt geplant, Mieten für frei finanzierte Wohnungen langfristig eingefroren werden?
Jung: Ich persönlich würde es nicht machen. Ich würde immer bevorzugen das Bündnis vor Ort. Ich habe aber Verständnis dafür, wenn man in Berlin überhaupt eine solche Diskussion führt. Mir liegt es auch fern, den Kollegen dort Ratschläge zu geben.
"40 Euro pro Quadratmeter - da hört einfach der Spaß auf"
Heinemann: Zumal der Regierende Bürgermeister ein Parteifreund ist.
Jung: Richtig! Aber ich kann sehr wohl verstehen, dass man teilweise in einer unsäglichen Situation ist, und dann natürlich auch über extreme Lösungen nachdenkt, über Moratorien oder Mietpreisdeckel und nicht nur Bremse. – Schauen Sie, ich habe gestern ein Beispiel gehört aus Stuttgart oder München, wo möblierte Mietwohnungen zu einem Preis von über 40 Euro pro Quadratmeter angeboten werden, und da hört einfach der Spaß auf.
Heinemann: Nur wenn die Mieten eingefroren sind, wer investiert dann noch?
Jung: Das ist genau das Thema. Man muss es wirklich zu Ende denken: Was bedeutet es für die Entwicklung meiner Stadt? Deshalb klare Antwort von mir: Ich persönlich – und so ist auch die große Mehrheit im Städtetag der Meinung -, wir meinen, über Kooperation, über Bündnisse vor Ort, im Miteinander von Investment und Stadtverwaltung, Wirtschaft und öffentlicher Hand gibt es wahrscheinlich klügere, elegantere Lösungen und man stoppt nicht die Investitionen.
"Dass Menschen motiviert sind, ihr Auto stehen zu lassen"
Heinemann: Herr Jung, welche Zukunft hat der Autoverkehr bei Ihnen in Leipzig?
Jung: Ja, das ist das zweite große Thema: Wie kriegen wir die Verkehrswende so hin, dass Menschen sie auch von Herzen mittragen können. – Ich glaube, das Entscheidende wird sein: Wie gelingt es uns, den öffentlichen Nahverkehr zu entwickeln.
Wir haben es mal hochgerechnet. Wir brauchen in den Kommunen für die nächsten zehn Jahre mindestens 20 Milliarden Euro, um in der Tat hier einen Qualitätssprung zu machen: Straßenbahnen, Busse in einer Qualität anzubieten, dass Menschen auch motiviert sind, ihr Auto stehen zu lassen, es gegebenenfalls gar nicht mehr zu nutzen oder abzuschaffen, wenn ich ein gutes, qualitätsvolles Angebot vor Ort habe, mit dem ich mich bewegen kann. Wir haben so gute Beispiele, wo die S-Bahn gebaut wurde und dann auch im Umland sich die Entwicklung umkehrt, Menschen wieder auf dem Land wohnen und dann mit der Bahn pendeln. Das sind so gute Beispiele, die kann ich auch aus Mitteldeutschland anführen.
"Wir dürfen nicht den Autoverkehr verteufeln"
Heinemann: Welche Städte zum Beispiel?
Jung: Wir haben zum Beispiel bei uns in Leipzig Delitzsch, Eilenburg, Torgau mit einer Aufwärtsentwicklung zu beobachten, seit wir dort das S-Bahn-Netz entwickelt haben und wir direkte Anschlüsse an die Großstadt haben. Die Pendler kommen nicht mehr mit dem Auto, sondern fahren mit der S-Bahn rein. Es gibt dort Wachstum in den ländlichen Regionen in einer ansonsten sehr schrumpfenden Situation. Das ist ein gutes Beispiel dafür und ich denke, das ist die Zukunft. Wir dürfen nicht den Autoverkehr verteufeln, sondern wir müssen Anreize schaffen mit der Bahn, mit der Straßenbahn, auch mit dem Fahrrad, natürlich, und auch die Fußwegsicherheit zu verbessern. Denn auf Dauer gibt es einfach Räume in unseren Städten, die von Autos zugestellt sind, teilweise bis zu 18 Prozent des öffentlichen Raums ist voller Autos und liegt brach. Ich glaube, dass das nicht die Zukunftsentwicklung ist, die wir brauchen.
"Viel Luft nach oben bei der Entwicklung des Nahverkehrs"
Heinemann: Sie haben eben gesagt, Sie wollten keine Münchener Wohnverhältnisse. Welche Städte könnten denn bei der Verkehrswende weiter sein?
Jung: Na ja, eine ganze Reihe von Städten ist nicht so weit. Wenn ich mir anschaue: Auch bei uns ist noch viel Luft nach oben bei der Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs, trotz eines dichten Straßenbahnnetzes. Im Ruhrgebiet hat man in der Tat sehr schöne Ansätze der Verbindung in der Metropolregion, und dennoch ersticken unsere Städte am Autoverkehr. Schauen Sie sich Köln an, schauen Sie sich Stuttgart an. Ich habe mit Fritz Kuhn gesprochen, wie er sich vorstellt, wie er den Umstieg schafft von einer Stadt, die ganz stark von der Autoindustrie natürlich auch lebt und dennoch dringlich andere Lösungen braucht, um nicht dort zu erstinken.
Heinemann: Wie wollen Sie Städten und Gemeinden gegenüber Bund und Ländern Gehör verschaffen?
Jung: Das wichtigste ist, dass wir möglichst mit einer Stimme reden. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Wir hatten eine sehr intensive Diskussion vor zwei Tagen zum Thema CO2-Bepreisung, und es hat mich geradezu gefreut, wie einmütig das Echo ausgefallen ist von CDU-Oberbürgermeistern, CSU-Oberbürgermeistern, genauso wie von Bündnis 90/Die Grünen oder SPD oder Linken, und wir einmütig einheitlich eine CO2-Bepreisung gefordert haben. Also mit einer klaren Stimme, mit einer klaren Botschaft gemeinsam auftreten und das auf der Bundesebene formulieren, und dann müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht 3700 Städte gehört werden.
Heinemann:
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.