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Neuer Vermittlervorschlag in Belgien

Bislang ist es in Belgien nicht zu einer Regierungsbildung gekommen, weil sich die Parteien nicht auf einen Umbau des Staates einigen konnten. Jetzt liegt ein Vorschlag des Vermittlers Johan Vande Lanotte vor. Bis heute Nachmittag müssen die sieben flämischen und französischsprachigen Parteien reagieren.

Von Doris Simon |
    Wochenlang hat Johan Vande Lanotte still und fern der Kameras seinen Kompromissvorschlag ausgearbeitet. Der Vermittler des Königs wollte nicht scheitern wie seine Vorgänger und hat mit jeder der sieben beteiligten Parteien von den flämischen Separatisten bis zu den französischsprachigen Grünen jedes Detail seines Vorschlags abgesprochen. Überraschungen dürfte es für die Empfänger also nicht mehr gegeben haben, trotzdem erhielten sie ihr Vorschlagsexemplar per Hand auf Papier in einem Umschlag ausgehändigt, so diskret wie der Verhandlungsstil des Königlichen Vermittlers.

    Nun liegt es an den Parteien: Flämische Separatisten, Sozialisten, Christdemokraten und Grüne sowie französischsprachige Mitte, Grüne und Sozialisten müssen nun entscheiden, ob sie sich auf der Grundlage des Vorschlags wieder gemeinsam an einen Tisch setzen wollen. Um die Regierungsbildung geht es erst dann, wenn sich die sieben Parteien auf den institutionellen Umbau des belgischen Staates geeinigt haben.

    In seiner Weihnachtsansprache hatte König Albert die Politiker auf beiden Seiten der Sprachgrenze zu mehr Kompromissbereitschaft gedrängt:

    "Es scheint mir, als sei die Kunst, Kompromisse zu schließen, in unserem Land in den letzten Jahren ein wenig in Vergessenheit geraten. Wir müssen Lösungen finden, in denen es nur Sieger gibt. Bei der Suche nach einem redlichen Abkommen muss selbstverständlich jede Seite Zugeständnisse machen."

    Es ist unwahrscheinlich, dass eine der sieben Parteien den Vorschlag des königlichen Vermittlers sofort abschießt, wie in der Vergangenheit. Selbst die flämischen Separatisten von Wahlsieger Bart de Wever, die den König und seine Ansprachen für so verzichtbar halten wie den belgischen Staat, fürchten den Schwarzen Peter, wenn sie jetzt Nein sagen: Schließlich finden sich viele ihrer Forderungen im Papier des Königlichen Vermittlers wieder. Zum Beispiel, dass ein Teil der Steuern, die bisher beim belgischen Staat verbleiben, an die Regionen geht.
    Nach dem Papier von Vermittler Lanotte sollen Flandern, die Wallonie und Brüssel künftig 26 Prozent aller Personensteuern bekommen. Die Arbeitsmarktpolitik soll ebenso wie die Gesundheitspolitik nicht mehr Sache des belgischen Staates, sondern der Regionen sein. Diese bekommen auch Justizminister mit eigenen Befugnissen. Seit gestern berichten auch die Medien über die Vorschläge.

    Doch ganz im Geiste des klassischen belgischen Kompromisses hat Vermittler Johan Vande Lanotte auch alte Forderungen der französischsprachigen Parteien Belgiens berücksichtigt: So soll die Hauptstadtregion Brüssel endlich eine bessere Finanzierung aus der Staatskasse erhalten: mit 372 Millionen Euro jährlich sieht der Vorschlag zwar weniger vor als die geforderten 500 Millionen, aber deutlich mehr, als etwa die flämischen Separatisten von Wahlsieger Bart de Wever der von ihnen wenig geschätzten Hauptstadtregion zukommen lassen wollen.

    Schlucken dürften die französischsprachigen Parteien dagegen an anderer Stelle: Der letzte zweisprachige Wahlkreis in Belgien, Brüssel-Halle-Vilvoorde, wird so geteilt, wie es die Flamen seit vielen Jahrzehnten fordern. Die französischsprachigen Belgier in den flämischen Gemeinden rund um Brüssel erhalten dabei keine Sonderrechte, nur die französischsprachigen Bewohner von sechs flämischen Umlandgemeinden mit besonderem Minderheitenschutz sollen wählen dürfen, ob sie sich im benachbarten Brüssel oder in Flämisch-Brabant in die Wählerliste eintragen lassen. Als Trostpflaster für die Französischsprachigen soll ein besonders verhasster Erlass der flämischen Regierung gemildert werden: Wer als französischsprachiger Bürger künftig dort Wahlunterlagen in seiner Muttersprache wünscht, soll dieses nicht mehr jedes Mal schriftlich beantragen müssen, ein Brief alle drei Jahre an die Gemeinde soll künftig ausreichen.
    Bis heute Nachmittag heißt es nun auch für den Königlichen Vermittler Johan Vande Lanotte warten. Der erfahrene flämische Sozialist erwartet sicher keine bedingungslose Zustimmung für seinen Vorschlag, das sei politische Science Fiction, befand die Zeitung "De Morgen".

    Wahrscheinlicher ist es, dass sich die Parteien zu Verhandlungen bereit erklären, noch wahrscheinlicher scheint es, dass sie dort die Gegensätze wieder aufeinanderprallen. Separatistenchef de Wever orakelte bereits am Wochenende, der Vermittlungsvorschlag drohe deutlich unter den Mindestvorgaben seiner Partei zu liegen.