Archiv

Neuer ZDF-Kulturraum
Kunsthalle im Netz

Der frühere Sender ZDFkultur startet ein umfangreiches digitales Kulturangebot. Von Kunst und Design über Literatur bis hin zu Gaming ist der Kulturbegriff sehr weit gefasst – und manch innovatives Projekt dabei. Insgesamt handelt es sich aber eher um eine erweiterte Mediathek 2.0.

Von Julian Ignatowitsch |
Mehrere Schauspieler stehen hinter einer Glasscheibe, die die Bühne vom Zuschauerraum trennt
Szene aus "Eine griechische Trilogie" von Simon Stone zu finden bei ZDFkultur.de (Berliner Ensemble / Thomas Aurin)
Während das Berliner Ensemble gerade Sommerpause macht, kann man sich den Theater-Hit der vergangenen Spielzeit - zumindest Ausschnitte davon - im Netz anschauen. Die "griechische Trilogie" von Simon Stone über Geschlechterklischees, das Patriarchat und aufbegehrende Frauen.
ZDFkultur.de, der neue digitale Kulturraum des ZDF, zeigt 23 Szenen des Stücks und lässt den Zuschauer über deren Reihenfolge entscheiden, ihn also ein bisschen Regisseur spielen. Ganz unterhaltsam, für Theaterfans allemal interessant, mit einem Hauch von Interaktivität.
Diese sogenannte "Tragödienmaschine" ist nur eins von zahlreichen Projekten, das ZDFkultur eigens für seinen Kulturraum im Netz gestartet hat. ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler:
"Kultur ist Kern unseres Auftrages im öffentlich-rechtlichen, und dazu gehört eine zeitgemäße, digitale Vermittlung. Von daher schaffen wir ein Opernhaus, eine Kunsthalle, ein Museum - und dort können alle Leute hingehen und von überall und jederzeit Kultur genießen."
Dokumentation, Shows und eigene Web-Formate
Die Inhalte sind unterschiedlich. Mal handelt es sich um Dokumentation oder Sendungen, die schon im linearen Fernsehen gelaufen sind. Mal, um Shows oder Clips, die zwar "Web-Formate" genannt werden, aber genauso im linearen Fernsehen laufen könnten - soweit ist der Kulturraum dann eigentlich einfach eine Mediathek - und dann gibt es aber tatsächlich Inhalte, wie die Tragödienmaschine, die eigens mit einer Web-Idee entwickelt und umgesetzt werden. Das ist neu. Gerade beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk!
Im Bereich Kunst gibt es zum Beispiel die "Digitale Kunsthalle", wahrscheinlich das aufregendste, ambitioniertes Projekt: ein virtuelles Museum, kuratiert vom ZDF, in dem man verschiedene Ausstellungen besuchen kann, die so ähnlich in Deutschland stattfinden oder stattgefunden haben.
Im Foyer kann man sich einen Überblick verschaffen. Aktuell werden drei Ausstellungen gezeigt: eine zu Lucas Cranach d.Ä., eine zur Lust der Täuschung, zu OpArt, und eine zur Künstlerin Louisa Clement. Und dann kann man in 360-Grad-Ansicht virtuell durch die Museumsräume spazieren, sich den Bildern, Videos und Skulpturen nähern und Informationen dazu lesen.
Klar, Google Arts & Culture bietet so etwas schon seit mehreren Jahren an und macht dabei sogar die echten Orte, wie die Uffizien in Florenz oder das Taj Mahal in Indien, erlebbar. Auch optisch ersetzt die "Digitale Kunsthalle" natürlich nicht den Museumsbesuch.
Interaktive Tools
Aber sie gibt immerhin einen ersten Einblick und eine erste Einordnung zu großen Werken und großen Künstlern. Genauso wie das interaktive Tool "Geheimnis der Bilder": Dort werden wichtige Gemälde aus deutschen Museumssammlungen erfahrbar, über Klickpunkte bis ins Detail: Was vergibt sich unter dem Nebelmeer von Caspar David Friedrich? Was hinter dem verdrehten rechten Fuß von Tischbeins Goethe auf Italienreise?
Um das zu ermöglichen, kooperiert ZDFkultur mit 35 deutschen Kulturinstitutionen, Festivals, Theater oder bedeutenden Museen. Die Zahl soll weiter steigen. Wo das letztlich hingeht, noch ungewiss…
Auch im Bereich Musik gibt es ein exklusives Format: In der Reihe "Nearer" performen Künstler einen Song mit Augenkontakt zum Zuschauer in intimer Atmosphäre, also direkt in die Kamera, wie zum Beispiel Kat Frankie "Bad Behavior".
Zwischen Spielerei und echtem Hingucker
Alles in allem: Ein Angebot, das sowohl die Kulturinteressierten als auch -neulinge ansprechen will - zum Beispiel gibt es auch eine Reihe, in der Komponist Moritz Eggert die großen Weltopern in 60 Sekunden erklärt. Der Spagat gelingt größtenteils.
Allerdings bietet der Kulturraum vor allem: viel, viel Videomaterial, was an manchen Stellen auch unübersichtlich wird. Folge des breiten Kulturbegriffs: Manche Kurzclips hängen in der Luft, andere Langdokus oder ganze Theaterstücke werden nur wenige zu Ende schauen.
Eine klarere Schwerpunktsetzung könnte hier helfen. Auch eine App fehlt bislang, so läuft alles über den Browser! Dort liefert ZDFkultur aber ein reichhaltiges Kulturangebot im Format einer erweiterten Mediathek 2.0., mit keinen bahnbrechend neuen, aber zumindest ansprechend ambitionierten Ideen, einigen Spielerein und ein paar echten Hinguckern.