Musik: "Somebody Loving You"
Brian D´Addario ist zum Antrittsbesuch bei den Eltern seiner neuen Freundin in Los Angeles. Ein langhaariger, spindeldürrer 21-Jähriger, der an den jungen Ron Wood erinnert und Eindruck schinden will, indem er morgens um acht Uhr erste Interviews für Übersee gibt. Der Anlass: Das Album "Songs For The General Public", das im Gegensatz zu seinen Vorgängern, nicht nur im Keller der D´Addarios auf Long Island entstanden ist, sondern, ein echter Ritterschlag auch in den Electric Lady Studios von Weiland Hendrix. Dessen Geist habe prompt Besitz von Brian ergriffen: "Ich bin jetzt er, denn Jimi hat all seine Energie auf mich übertragen. Jetzt besteht meine Mission darin, der beste Musiker und beste Songwriter zu sein, der ich nur sein kann. Das ist mein Ziel."
Musik: "Heel On Wheels"
"Der warme Klang der damaligen Studios"
Das Stück "Hell On Wheels" aus einem Album, das auf wildem Multitracking mit alten Bandmaschinen basiert und ganz ohne Computer auskommt. Die Brüder Brian und Michael sind Retro-Fetischisten, die alles Moderne ablehnen, ausschließlich Vintage-Instrumente und Analog-Technik verwenden und eine Obsession für die 1970er haben. Das Jahrzehnt, so Brian habe die beste Musik und die besten Künstler hervorgebracht. "Wir haben kein Interesse daran, unsere Platten wie die heutigen Rock-Alben klingen zu lassen. Zumal ich gar nicht weiß, ob es überhaupt noch welche gibt. Was ich an den 70ern am meisten schätze, ist der warme Klang der damaligen Studios. Aber auch die Synthesizer und andere Instrumente, die ja nie verschwunden sind. Wie der Moog-Bass oder der Schlagzeug-Sound. In den frühen 2000ern haben Rufus Wainwright, Fiona Apple oder Elliot Smith dieses hochmelodische Songwriting neu aufgegriffen. Es ist also nichts wirklich Neues."
Musik: "Ashamed"
Die D´Addarios sind keine Innovatoren. Ihnen geht es darum, den Sound ihrer Kindheit, der auf der Plattensammlung ihres Vaters basiert, in die Gegenwart zu retten. Die zwölf Songs von "Songs For The General Public" bilden den Facettenreichtum der 1970er ab. Vom Hippie-Rock über Psychedelia bis zu theatralische Rock-Dramen. Ein klanglicher Ritt zwischen Queen, Meat Loaf, Crosby Stills & Nash, aber auch den New York Dolls und Mott The Hoople. Dass manche Kritiker die Lemon Twigs als Glam-Rock einstufen, empfindet Brian als unangemessen. "Ich habe nie verstanden, was Glam-Rock sein soll. Vom Sound her erinnert mich das eher an den Rock der späten 60er. Von Künstlern, die halt Make-up getragen haben. Wahrscheinlich wird dieses Album wieder als Glam bezeichnet, weil wir auf dem Cover stark geschminkt sind. Ansonsten weiß ich wirklich nicht, warum wir in dieser Schublade landen. Zumal ich während der Aufnahmen vor allem Cat Stevens gehört habe. Doch dieser Einfluss scheint niemandem aufzufallen. Aus irgendeinem Grund denken die Leute bei ihm weniger an kompliziert arrangierte Sachen wie "Catch Bull At Four" als an "Father And Son", seine folkige Seite. Von daher ist die Suche nach Einflüssen reine Glückssache."
Musik: "No One Holds You Closer (Than The One You Haven´t Met)"
Das mit der Bondage-Sache
Glamrock ist das eher nicht. Aber das Spiel mit den Referenzen macht die Brüder zum aufregenden Live-Act und einer der angesagtesten Indie-Rock-Truppen der Gegenwart. Das kommt nicht von ungefähr, denn der 21-jährige Brian und der 22-jährige Michael wissen, was sie tun: Ihr Vater Ronnie ist selbst Musiker und hat sie seit frühester Kindheit auf Erfolg in der Unterhaltungsbrache gedrillt. Mit Engagements am New Yorker Broadway, wo die D´Addarios Kinderstars in Musicals wie "Les Miserables" waren. Dann folgten TV-Serien wie "Law & Order" und erste Highschool-Bands. Als Lemon Twigs garnieren sie ihre Songs mit überdrehten Texten über toxische Beziehungen, Sexentzug wegen müffelnder Socken und chronischen Geldmangel. "Die meisten Texte sind autobiographisch, wenn auch ein bisschen übertrieben. Oder sie beziehen entgegengesetzte Position zu dem, woran wir wirklich glauben. Es geht nur darum, einen Song noch aufregender zu gestalten. Also den ursprünglichen Gedanken, der sehr konventionell gewesen sein kann, so zu verdrehen, dass er interessant wird. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie mein Bruder auf das Stück "Leather Together" gekommen ist. Ich würde sagen, er hat die Bondage-Sache einfach irgendwo aufgeschnappt. So etwas hört man ja öfter."
Musik: "Leather Together"
Kleines Meisterwerk
Freche Songs, gewagte Themen und ein wilder Look, der an Rockidole wie Iggy Pop und Ron Wood erinnert: mit gefärbten Haaren, Make Up und Spargel-Tarzan-Oberkörpern. The Lemon Twigs sind ein Gesamtkunstwerk von zwei Brüdern, die großes Talent als Musiker, Entertainer und Produzenten besitzen, und mit dem schelmisch betitelten "Songs For The General Public" ein kleines Meisterwerk vorlegen. Ein Album, das so authentisch anmutet, als würde es sich um ein Original aus den frühen 70ern handeln. Und sobald Brian wieder zu Hause in New York ist, will er das nächste Werk angehen, in den letzten Wochen hat er über 60 Stücke geschrieben. "Da sind zehn Songs für ein Projekt namens "Brian´s In Love", dann zehn, die ein gutes Solo-Album für meinen Bruder abgeben würden, aber auch jede Menge Kram, den wir gemeinsam verwenden könnten. Insofern sind wie in der glücklichen Lage, dass wir weit im Voraus wissen, was wir als nächstes machen werden und wie es klingt." Wir sind gespannt, womit uns die Grünschnäbel aus Long Island, vor den Toren von Manhattan, als nächstes überraschen.