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Neues Album von Adam Green
Comics, Filme, Düfte, Lieder

Multitalent Adam Green prägte mit den Moldy Peaches die New Yorker Anti-Folk-Szene, als Solist singt er explizite Chansons und lyrischen Indie-Rock, dreht schrille Kunstfilme, zeichnet Comics - und spricht im Dlf-Interview genauso wild assoziierend über Düfte, Pappmaché, Velázquez und Billy Joel.

Adam Green im Corsogespräch mit Bernd Lechler |
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Adam Green: "Diese barocken Songs und Arrangements - da fühle ich mich einfach wohl" (Pete Voelker)
Bernd Lechler: Der Refrain der Vorabsingle Ihres neuen Albums "Engine of Paradise" lautet: "I’m gonna freeze my love, because technology has changed me." Wie sollen wir das verstehen?
Adam Green: Schon meine letzten Alben hatten thematisch damit zu tun, dass die Menschheit von Technologie hypnotisiert ist. Ich glaube, seit dem Jahr, in dem das iPhone rauskam, sind die Menschen besessen von den Maschinen. Wie wenn man sich mit einem Parasiten infiziert! Wir sind wohl eine Spezies, die ihre Nachfolger selber schafft - in unserem Fall sind es die Maschinen, die wir bauen. Das war jedenfalls mein Blickwinkel für dieses Projekt.
Lechler: Aber es ist kein Konzeptalbum zu diesem Thema, oder?
Green: Naja, es gibt eine Verbindung. Ich habe ja auch diesen Comic hier gemacht, er heißt "War and Paradise", eine Graphic Novel. Sie erscheint am selben Tag wie das Album, das "Engine of Paradise" heißt. Sie gehören also zusammen. Im Buch geht es um einen Krieg der Menschen gegen eine Art hyperentwickelter Insekten mit künstlicher Intelligenz. Die erste Hälfte der Geschichte ist dieser Krieg, die zweite Hälfte spielt im Jenseits. Ich konnte mich dadurch mit Gedanken zu Krieg, zu Religion und zum Leben nach dem Tod beschäftigen. Man findet dazu in Buchhandlungen und im Internet jede Menge, ich habe das richtig recherchiert.
Album und Graphic Novel gehören zusammen
Mein Album entstand in derselben Zeit wie die Graphic Novel. Daher behandelt es dieselben Themen. Meine Art zu schreiben ist ja für gewöhnlich: Es kommt alles quasi in eine lange Schriftrolle, und ob eine Zeile dann für einen Song bestimmt ist, oder ob sie in einem Buch landet, das weiß ich zuerst noch gar nicht. Es kommt alles aus demselben Pool.
Lechler: Aber nochmal zur Technologie, die Sie vorhin einen "Parasiten" nannten: Wenn ich an das Video zu diesem Song "Freeze my Love" denke, mit seinen sehr naiven, farbenfrohen Pappmachékulissen - das ist sehr analog, wenn man so will, gerade nicht technisch.
Green: Ja, darum ging es mir ja vermutlich. Ich glaube, wenn man darunter leidet, dass die Technologie unser Leben bestimmt, dann lindert man das am besten durch echte Begegnungen, durch Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Körperliche Aktivität mit anderen zusammen. Dinge tun, die "echt" sind, zum Beispiel zusammen essen, Leute zu Hause besuchen, zusammen zeichnen, zusammen malen, zusammen singen …
Lechler: Machen Sie das? Zusammen malen?
Green: Ja! So ist dieser Comic entstanden. Ich saß mit zwei Freunden um einen Tisch, und wir haben gezeichnet. 150 Seiten, mit Bleistift. Dann haben wir alles eingescannt und einige andere Freunde mit dem Kolorieren beauftragt. Wir zeichneten drei Tage die Woche, sechs Monate lang. Und die ganze Zeit haben wir ausschließlich Billy Joel gehört.
Zeichnen zur Musik von Billy Joel
Lechler: Wieso gerade Billy Joel?
Green: Wir kamen irgendwie auf ihn zu sprechen. Dann haben wir seine Sachen auf Spotify nachgeschaut, haben diesen Song "Goodnight Saigon" gehört - und dann suchten wir weitere Deep Cuts, also weniger bekannte Songs von ihm. Dann hörten wir uns alle seine Livekonzerte an, dann jedes einzelne Album vom ersten bis zum letzten. Es kulminierte darin, dass wir ihn live sahen, als auch der Comic fast fertig war, im Madison Square Garden. Wir konnten die Texte Wort für Wort, es war irre. Da war ich dann schon ein Riesenfan.
Er wird ja oft nicht so ernst genommen, so nach dem Motto: "Er ist nicht die Beatles." Ich finde, seine Musik klingt, als hätte ein Major-League-Baseballspieler den Beatles-Katalog geschrieben. Verstehen Sie? In emotionaler Hinsicht ist er wie Babe Ruth, die Baseball-Legende. Er füllt auch Stadien. Musikalisch gesehen ist er ein Harry Nilsson, er ist so gut wie Velázquez als Maler war. Aber dann benutzt er diese Kunst, um etwas auszudrücken, was emotional ein bisschen schlicht ist. Er ist umwerfend gut, aber andere Teile seines Instrumentariums sind etwas … stumpf.
Lechler: Ihr neues Album geht musikalisch wieder zu diesen schön orchestrierten Scott-Walker- oder Serge-Gainsbourg-Geschichten zurück …
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Das neue Adam-Green-Album "Engine Of Paradise" (30th Century Records)
Green: Das stimmt. Manchmal ist einem danach, einfach das zu machen, was einem halt gefällt. Und ich mag eben Streicher und Crooning und Folkmusik … diese barocken Songs und Arrangements. Da fühle ich mich einfach wohl. Man sollte sich als Künstler ja in eine Erde pflanzen, in der man wachsen kann. Es ist ein Terrain, auf dem ich mich auskenne, ich weiß, wie man dieses Zeug zum Singen bringt.
Ein Studio mit dem Equipment von Serge Gainsbourg
Und ich hatte großartige Musiker, die besten, von denen ich je hätte träumen können. Loren Humphrey, der das Album produziert hat; James Richardson, der bei MGMT Gitarre spielt; Jesse Katanski, ein hervorragender Arrangeur, der in mazedonischer und türkischer Musik ausgebildet ist, so dass seine Arrangements so einen östlichen Einfluss haben. Das war toll.
Ich hatte das Gefühl, meine bisher eleganteste Platte zu machen - und Loren nahm alles auf Tonband auf, in seinem Studio, bei dem er sich am Studio der Sessions für "Melody Nelson" orientiert hat, dem Album von Serge Gainsbourg. Er sammelt Equipment und Geräte, die dabei zum Einsatz kamen. Sein Schlagzeug klingt genauso, und er hat gelernt, auch so laid back und groovy zu spielen. Jazz-beeinflusst. Und jetzt hat das ganze Album so etwas Barockes. Wie die musikalische Version eines Kirchenfensters oder so.
Lechler: Wie kommt es, dass Florence Welch mitsingt?
Green: Loren spielt Schlagzeug bei Florence. Ich kam buchstäblich eines Tages ins Studio, und Florence sitzt auf der Couch und sagt: "Hey. Kann ich hier was singen?" Und ich sagte: "Aber klar! Super!"
Gastsängerin Florence Welch
Lechler: Man käme nicht von selbst auf diese Kombination. Sie ist ja so eine exaltierte, überdrehte, sehr emotionale Sängerin, und Sie sind mehr so lakonisch, jedenfalls ganz anders ...
Green: Naja, ich kenne Florence halt schon lange. Zuletzt sah ich einen Auftritt von ihr in New York, und es war irre, sie ist wirklich eine umwerfende Performerin. Es war eines der besten Konzerte, die ich je gesehen habe. Außerdem sind wir beide in die sogenannte Fraghead-Szene geraten, das ist so eine Internet-Subkultur von Leuten, die Düfte analysieren, Parfums und sowas. Wir haben also eine Zeit lang beide Parfums gesammelt. Das ist ein wirklich interessantes Hobby. Gerüche rufen ja so starke Assoziationen hervor! Und manche Parfumeure machen Düfte, die sind fast wie Schneekugeln, die einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Zeit heraufbeschwören. Ich habe zum Beispiel einen Duft, der riechen soll wie die marokkanische Wüste bei Nacht. Und er kriegt das wirklich gut hin, er hat so eine trockene Wüstenhaftigkeit, sehr würzig. Ein anderer, den ich habe, soll riechen wie ein Garten voller Mangobäume am Nil. Und er riecht wirklich so. Ich mag diese Art Schneekugel-Düfte.
Das Ideal: Kunst, die alle Sinne stimuliert
Lechler: Es ist interessant, wie Sie von Musik über Filme und Malerei und Zeichnen bis hin zum Riechen offenbar Sinneserlebnissen jeder Art hinterher sind …
Green: In der Kunst will man ja traditionell die unterschiedlichsten Sinne stimulieren. Es gibt ein berühmtes Bild von Manet im Metropolitan Museum in meiner Stadt, von einer Dame, die einen Vogel hält und ein Stück Obst und eine Blume. Es sind jedenfalls verschiedene Elemente in dem Bild, einen für jeden der Sinne. Immer schon sollte es eine ästhetische Entsprechung für alles geben, was man fühlen kann. Und als Künstler strebt man nach dem alles umfassenden Kunstwerk. Ich will es idealerweise zeichnen, malen und bauen, selber darin sein, darin spielen, den Soundtrack dazu machen, es anziehen, spüren, riechen, alles! Es sagen! Es schreiben!
Darum ging es mir auch in meinem "Aladdin"-Film, der wahrscheinlich meine vollständigste künstlerische Arbeit ist. Den kann man sich übrigens ansehen, kostenlos, einfach "Adam Green’s Aladdin" bei YouTube eingeben. Jedenfalls ist das ein Film, in den man eintauchen kann. Wir haben da 30 Räume aus Pappmaché gebaut, in die man hineingehen kann. Es sieht aus, als würden die Figuren in einem Comic spielen, weil alles so handgemacht und bunt ist. Es ist die Geschichte von Aladdin, nur ist die Wunderlampe ein 3-D-Drucker.
"Ich will auch totale Kunst für die Seele machen"
Lechler: Und Aladin ist ein Rocksänger …
Green: Ja, den spiele ja ich.
Lechler: Und der Film zeigt auch wieder diese naive, bunte, kindliche Bilderwelt. Zu Ihrer speziellen Kunst gehört, glaube ich, dass Sie uns rätseln lassen, wie ernst das eigentlich alles gemeint ist. Wieviel Ironie steckt in dem, was Sie machen?
Green: Mich hat satirische Kunst immer angezogen. Ich kam dazu, indem ich Musik von Beck hörte oder Bücher von William S. Burroughs las. Sachen, die lustig und satirisch sind, gleichzeitig aber auch romantisch. Und explizit. Diese verschiedenen Abzweigungen haben mir gefallen, da steuere ich gern durch. Wenn ich also etwas Tragisches habe, dann federe ich es oft mit etwas Lustigem ab. Oder wenn etwas lustig ist, gebe ich ihm einen romantischen Aspekt. Wenn eine Arbeit gar keinen Humor hat, dann fehlt mir etwas. Das heißt, so wie ich ein totales Kunstwerk für die Sinne machen möchte, will ich auch totale Kunst für die Seele machen.
Ich will alle Teile, die mich als Person ausmachen, in einen Song bringen. Daher wird ein Teil des Songs immer Humor haben, ein anderer wird romantisch oder sexuell sein. Oder mitfühlend, oder was immer. Das gehört alles rein.
Das Corsogespräch mit Adam Green - hören Sie hier in englischer Originalversion
Lechler: Das heißt, durch Ihre Kunst lernen Sie etwas über sich selbst.
Green: Unbedingt. Es ist ein rein introspektiver Prozess, und ich bin mein eigenes Publikum dafür, es ist meine Art der Meditation.
Lechler: Und das große Ganze? Oder, sagen wir, wer gerade Präsident ist, wie sehr beeinflusst das Ihre Arbeit?
Green: Das beeinflusst alles! Ich meine, dieses ganze Präsidenten-Paradigma hat doch jeden psychisch geprägt. Wenn in Amerika jemand das Wort "er" benutzt, ohne speziellen Kontext, dann redet er von Donald Trump. Das zeigt, in welchem Ausmaß das präsidentielle Ego den Augenblick infiltriert hat. Wie könnte das meine kreative Arbeit nicht beeinflussen?
"In Sachen Internet bin ich definitiv einen Schritt zurückgegangen"
Lechler: Und können Sie genauer sagen, wie dieser Einfluss aussieht? Denn es taucht ja nicht als Thema in Ihren Songs auf.
Green: Ich weiche ihm aus, ganz ehrlich. So was wie Twitter hat ja am Anfang Spaß gemacht, aber inzwischen schau ich gar nicht mehr rein. Ich versuche mich auf Freunde und Familie zu konzentrieren; die Leute, die ich wirklich kenne; das Schreiben und Zeichnen. In Sachen Internet bin ich definitiv einen Schritt zurückgegangen.
Lechler: Damit, was?
Green: Damit ich Zeit habe. Jeder verfügt nur über eine bestimmte Menge Zeit, das kann man nicht nachregeln. Also setze ich Prioritäten. Ich mache meine Arbeit. Und unternehme etwas mit realen Menschen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.