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Neues Album von Beth Hart
Starke Stimme, erdiger Sound

Alkohol, Drogen, Gefängnis und Karriereknick: Anfang der Nullerjahre stand es nicht gut um Beth Hart. In den vergangenen Jahren hat sie sich dann mühsam in die Liga der großen Rockmusikerinnen zurückgekämpft. Das Musikmachen gebe ihr ein Gefühl der Geborgenheit, ein Ventil für den Umgang mit ihren Depressionen.

Von Marcel Anders |
    Die Musikerin Beth Hart
    Die Musikerin Beth Hart. In ihren Songs singt sie über persönliche Erfahrungen, Hoffnungen und nette Fantasien. (Mona Nordoy)
    "Letzte Nacht war der Geburtstag meines Dads, und er liebt Trump. Wofür ich ihm den Hals umdrehen könnte. Ich war echt sauer auf ihn. Denn Trump ist offensichtlich krank. Ein Psychopath. Aber selbst wenn er es schafft, Präsident zu werden, ist dieses Land immer noch stark genug, um ihn zu überleben."
    Das klingt kämpferisch. Doch davon ist Beth Hart an diesem sonnigen Oktobermorgen in Los Angeles weit entfernt. Die 44-Jährige ist schlecht gelaunt und sichtlich frustriert vom Familienkonflikt. Weshalb sie den Termin erst verschieben möchte. Anderthalb Stunden später entscheidet sie sich doch noch einmal um und bittet in ein Haus im spanischen Kolonialstil, das sie mit Ehemann Scotty und zwei Hunden im Osten der Metropole bewohnt. Und wo sie zunächst einmal über ihr Krankheitsbild aufklärt: Sie sei manisch depressiv, habe starke Stimmungsschwankungen und komme gerade vom Arzt.
    "Ich habe einen Psychiater, der schwer zu beeindrucken ist. Er hat versucht, mich an Keats und Thoreau heranzuführen. Und hat dafür gesorgt, dass ich Walden lese. Er hat die Latte richtig hoch gelegt. Als ich ihn das erste Mal getroffen habe, meinte er: Als Künstlerin bist du ein Witz - du bist nicht gebildet genug und bla bla bla. Er tritt mir ständig in den Hintern."
    Vom komplexen Innenleben angetrieben
    Doch ihre Schwächen und ihr komplexes Innenleben, so Beth Hart, seien auch der Motor für ihre Musik. Für ihre Leidenschaft, ihre dramatischen Rocksongs und ihre intensiven Balladen. Nicht, dass sie Beziehungsprobleme hätte, aber doch ganz allgemein ein gestörtes Verhältnis zu Männern. Einfach, weil sie jahrelang die falsche Typen gedatet habe und all ihre Freundinnen Single oder frisch geschieden seien. Das müsse sie irgendwie verarbeiten - und das tut sie auch.
    "Irgendein intensives negatives Gefühl führt mich immer zum Klavier. Manchmal sind es auch Freude oder Glück, die mich antreiben. Aber die machen höchstens 10 Prozent aus. Der Rest ist eine Art Kampf. Ich setze mich ans Klavier, um Hilfe zu suchen. Wie bei einer Kuscheldecke, die mir ein besseres Gefühl gibt. So handhabe ich das schon immer."
    Wobei "Fire On The Floor" aber auch eine ganz andere Seite an der kleinen Dame mit den großflächigen Tätowierungen zeigt: Sie schreibt nicht nur über sich und ihren Bekanntenkreis, sondern hält es mit ihrem Idol Tom Waits und schlüpft in Charaktere und Rollen. Ein Trick, um musikalisch nicht ganz so berechenbar zu sein, sondern den Hörer auf positive Weise zu überraschen. Einfach, indem sie auch mal nette Fantasien und wilde Geschichten wie aus einem Film präsentiert - und von Gangsterbossen, Liebeleien am Strand und geheimen Jazz-Clubs singt.
    Hart setzt auf Spontaneität und Vielfalt
    "Normalerweise bin ich keine Künstlerin, die Fantasie-Songs schreibt. Bei mir sind es zu 99,99 Prozent persönliche Gefühle, Erfahrungen, Hoffnungen und Ängste. Aber Stücke wie "Jazz Man" sind anders. Da träume ich, wie ich durch den Wald stolpere, um etwas zu finden, das cool und echt ist. Denn die Welt um mich herum besteht aus lauter Plastik. Deshalb suche ich mein Glück in den Wäldern und stoße auf einen alten Jazz-Club, in dem die Leute die Zeit ihres Lebens haben. Und zwar mit frühem Jazz, als er noch Punkrock war und nur Insider davon "
    Kleine musikalische Fluchten. Umgesetzt mit einem stimmigen Mix aus Jazz, Blues, Funk und Rock. Einer erstklassigen Band um Michael Landau und Ivan Neville. Und eingespielt in gerade mal drei Tagen. Damit geht Beth Hart demnächst wieder auf Tournee. Und setzt auf Spontaneität und Vielfalt.
    "Meine Band kennt mindestens 75 Songs. Also das meiste von dem, was ich je aufgenommen habe. Und wenn wir unterwegs sind, verändern wir das Programm jeden Abend. An einem Montag spielen wir vielleicht drei oder vier Stücke von "Screaming For My Supper" und am folgenden Dienstag sind es drei oder vier andere davon. So halten wir es mit jedem Album. Und auf diese Weise wird es nie langweilig. Zudem tun wir alles, um nicht zu eingespielt zu sein. Denn wenn eine Band zu perfekt ist, hat das etwas davon, als würde man Farbe beim Trocknen zuschauen."