Fabian Elsäßer: Er hat schon mit Mitte 20 deutsche Reimkunst im Ausland präsentiert im Auftrag des Goethe-Instituts und er war ziemlich bald auch ein "Chart-Thema", wie das im Musikbranchen-Jargon so schön heißt. Der Erfurter Thomas Hübner alias Clueso hat sich mit so einer Art deutschsprachigem 'Blue Eyed Soul Hip-Hop Reggae Crossover' oder wie immer man da auch nennen möchte, einen festen Platz in der Musikszene erobert und den verteidigt er auch schon seit gut zehn Jahren. Das 2014 erschienene Studioalbum "Stadtrandlichter" kam sogar auf Platz eins der Verkaufslisten. Clueso hat auch früh andere gefördert, indem er in Erfurt das Kulturzentrum Zughafen etablierte - ein Netzwerk für Kulturschaffende.
2015 war dann ein Jahr der Veränderungen für ihn: Er hat den Zughafen aufgegeben, sich von seiner Begleitband und seinem Management getrennt und insofern ist der Titel seines neuen Albums "Neuanfang" wohl programmatisch. Clueso, willkommen zum Corso-Gespräch.
Clueso: Hallo.
Elsäßer: "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne" heißt es bei Hesse. Welcher Zauber ist das gerade bei Ihnen?
Clueso: Das Entdecken. Das Entdecken geht wieder los und auch die Unsicherheit. Und auch das Glück, das Anfängerglück, das man ja eigentlich gerne konservieren möchte, das ist auch wieder ein bisschen dabei.
Elsäßer: Das macht das aus?
Clueso: Man geht ein bisschen anders an Sachen ran. Ich hab mich ja - wie gerade eben in dem Intro beschrieben - von vielen Leuten getrennt. Ich finde, wenn man alleine fährt, drückt man ab und zu mal aufs Gas, fährt auch ein bisschen unvorsichtiger. Ich hab vielleicht auch realistischere Gleichungen. Es ist niemand schuld. Wenn ich prokrastiniere und Sachen mache, dann weiß ich, ich bin schuld, ich kann sie niemandem in die Schuhe schieben. Musikalisch gesehen bekomme ich schwitzige Hände wenn ich an die Tour denke. Ich hab ne neue Band, denke mit der neuen Band natürlich auch gleichzeitig an die alte Band. Ja, es fühlt sich waglich an, aber es fühlt sich gut an.
Ohne Plan fahren
Elsäßer: "Ich will nach all diesen Jahren immer ohne Plan fahren" heißt es ja dann auch in dem Lied "Achterbahn". Waren Sie denn bisher auch so ein Planer? Denn die Bühnenpersönlichkeit Clueso hat auf mich immer spontan und regelrecht unbekümmert gewirkt.
Clueso: Ja, das hat sich bis heute nicht geändert, deswegen singe ich auch "Ich fahr nach all den Jahren immer noch ohne Plan".
Elsäßer: Ach "immer noch", Verzeihung.
Clueso: Genau.
Elsäßer: Dann hab ich wieder nicht richtig hingehört.
Clueso: Das macht gar nichts. Und das ist etwas, so ein kleiner Punk-Song würde ich mal sagen, gegen Sachen die so ein bisschen erwartet werden mit Mitte 30 und ich antworte da eigentlich nur so ein bisschen frech. So "Eltern wollen Enkel haben, die sie auf ihren Schenkeln tragen", "Du musst mal ne Weltreise machen, du musst mal ein paar Hits schreiben", alles was man so hört. Die Grundaussage in dem Song oder auf dem Album ist auch ein bisschen, ich mach die Sachen für mich in erster Linie und dann kommt der ganze andere Kram.
Elsäßer: Aber haben Sie sich vorher denn eingeengt oder unter Druck gesetzt gefühlt?
Clueso: Unter Druck schon. Berühmt sein ist ne tolle Sache und auch der Personenkult, der um einen herum dann so entsteht, das ist auch ein Schlüssel für viele Türen. Aber es frisst auch viel Energie, die man einplanen muss und unter Druck gefühlt hab ich mich höchstens, na klar, wenn ich ein Album rausbringe, dann stell ich das in Deutschland vor. Das ist wie, wenn man vor der Klasse spricht, nur eben vorm ganzen Land muss ich mich dann schon irgendwann entscheiden, ob ich das, was ich mache auch verteidigen kann, ob ich den Zugang zu mir hatte und ob der Zugang gut war.
In Erfurt zuhause
Elsäßer: Wie hat sich dieser Personenkult geäußert? Also können Sie noch durch Erfurt gehen, ohne dass man Sie ständig anspricht?
Clueso: Es gibt ein paar Fans, die hauen einem auf die Schulter, bis sie bricht, wie Udo das so schön beschreibt. Das sind auch teilweise Udo Fans und die sehr stolz sind natürlich, dass das Cello in Erfurt steht. Und es gibt viele Leute, die sich natürlich damit identifizieren, weil ich aus Erfurt komme und auch die Fahne hochhalte und sage, hey, da wohn ich ja immer noch. Aber ich wohn da schon so lange, ich kenne wirklich ganz viele Leute in meinem Alter, die Cafés haben wo ich hingehen kann und hängen kann. Ich fühl mich da eigentlich sehr zuhause.
Elsäßer: Sie sagten gerade, Sie haben es für sich gemacht, auch dieses Album. Ich hatte den Eindruck, es ist eher ein Ich-Album als das Vorgängeralbum, wo sie ja auch gerne mal Geschichten über andere erzählt haben und Schicksale sehr kompakt auf den Punkt gebracht haben, zum Beispiel die Flucht aus einem zerrütteten Elternhaus in "Ich pack meine Sachen". Also kann man das so sagen, es ist eher ein Ich-Album?
Clueso: Es ist ein Ich-Album weil Ich-Album ist ein schönes Wort.
Elsäßer: Gerade erfunden.
Clueso: Gerade erfunden, gerade entstanden, sehr gut, merk ich mir. Es ist ein privates Album, jetzt schon, weil es ein sehr wichtiges Album in meiner Karriere ist, in dem ich in der Musik, in der ich voll und ganz Zuhause bin, Sachen verarbeite, während sie passieren. Das mach ich natürlich immer, ein Album ist immer ein Zeitdokument. Aber hier war es so, dass nichts mitgeschwungen ist. Bei dem ersten Album, was man macht, da schwingt so ein bisschen mit, dass man vielleicht mal gehört werden will. Wenn man ne Band hat, will man die zum leuchten bringen und den Bandsound präsentieren. Wenn man viele Sachen kann, will man die auch zeigen, das schwingt alles mit. Und hier ist es so, ich wollte wirklich nur die Geschichte erzählen, unabhängig davon, was damit passiert.
Emotionale Töne
Elsäßer: Wobei, andererseits singen Sie über einen Affen, der ins All geschossen wird, "Gordo", nach einer wahren Begebenheit, es gab 1958 wirklich diese NASA Mission. Wie kamen Sie drauf?
Clueso: Ein bisschen David Bowie inspiriert ist der Song natürlich, der Mann im Weltraum ist weg. Ich bin darauf gekommen, weil fand das irgendwie, ich hab mich wahnsinnig für Weltraum interessiert. Mit meinem Bruder schon, mein Bruder und ich, wir haben zu DDR-Zeiten "Weltall, Erd und Mensch", so ein Lexikon aufgeklappt und mit kleinen Figuren davor gespielt, das war ja alles eher von der russischen Seite, die haben ja den Hund Laika hochgeschickt und Juri Gagarin. Und ich hab alles gelesen über das Mercury Project. Und da gibt es wirklich den Gordo und den Ham und Miss Baker, die hochgeschickt wurden ins Weltall. Gordo hat es nicht geschafft, der kleine Totenkopfaffe, also Totenkopfäffchen, der ist ertrunken. In meiner Geschichte ist es ein Schimpanse, weil das Geräusch von einem Schimpansen ein bisschen einfacher nachzumachen ist, ich hab den Schimpansen da im Hintergrund nachgemacht.
Und ich projiziere viel die Berühmtheit, viel was der Mensch so macht im Glauben an irgendetwas, dass er sich hinstellt, im Glauben an das und das, wäre das gerechtfertigt. Also ich hab selten so viele Antworten gekriegt auf nen Song, wo Leute geschrieben haben und gesagt haben, boah mir kommen da echt die Tränen, dieser kleine arme Affe.
Elsäßer: Das Lied ist mir zu traurig, um es mehrmals zu hören, hat zum Beispiel ein Nutzer auf einem Videoportal dazu geschrieben. Das ist ja wahrscheinlich nicht das, was man sich als Künstler wünscht.
Clueso: Ja doch, ich finde es gut. Für mich ist die große Frage, wann funktioniert Emotion? Und wenn sie so funktioniert, dann hab ich was erreicht, dann können die Leute entscheiden, wo sie die Emotionen bei sich hintun, auf welche Seite und was das auslösen wird im Leben. Das finde ich gut. Also sobald ein Song was auslöst, ist es gut.
Elsäßer: Ist da vielleicht auch eine Aufforderung zu Demut ein Thema?
Clueso: Ich bin sehr demütig demgegenüber, was ich mache, dass ich Musik mache, aber es bringt natürlich auch Sachen mit sich manchmal. Da fühlt man sich fremd bestimmend.
Mit sozialem Engagement aus der Komfortzone
Elsäßer: Wie sieht es mit ihrer Komfortzone aus? Also verlassen Sie die gerne freiwillig oder müssen Sie sich einen Schubs geben oder einen von außen kriegen?
Clueso: Ich glaube, da geht's mir wie jedem anderen auch. Ich muss mir einen Schubs geben, aber ich bin nicht ängstlich, wenn die Neugier da ist. Und ich bin sehr neugierig. Vielleicht bin ich auch neugieriger, als das ich mutig bin. Aber ich habe dann den nötigen Glauben, dass es schon irgendwie gut wird.
Elsäßer: Stichwort Komfortzone: Sie haben sie neulich verlassen und waren in Äthiopien mit Vertretern der Nichtregierungsorganisation "Viva con agua" - die setzt sich für eine bessere Trinkwasserversorgung in Entwicklungsländern ein. Was haben Sie da gemacht? Waren Sie da so eine Art Markenbotschafter für Viva con agua?
Clueso: Das kann man so sagen. In erster Linie bin ich natürlich hingefahren, um mir anzuschauen, was wir da neun Jahre lang unterstützt haben. Bin auch hingefahren, um die Stimme zu stärken für Viva con agua, ganz klar, ich setz mich seit Jahren für den Verein ein. Jetzt sehe ich, was da passiert und vielleicht kann ich auch andere Ansagen machen auf der Bühne, wenn ich live vor Ort war. Und ich wollte eine Reise machen, auf die ich Lust hatte und ich hatte sehr große Lust, ne Projektreise zu machen mit Viva con agua. Das war unfassbar emotional, interessant und in Äthiopien ist eine Tür aufgegangen, die sich nicht schließen lässt, sage ich immer. Ich möchte da unbedingt wieder hin ganz schnell.
Elsäßer: Was waren die eindrücklichsten Erlebnisse?
Clueso: Das schöne und das traurige war sehr eindrücklich. Wir waren in einem Krankenhaus. Die Welthungerhilfe hat zusammen mit Viva con agua eine Methan-Station gebaut, dass in einem Krankenhaus überhaupt Gas da ist, damit sie Essen machen können, da sie immer nur für wenig Zeit Strom haben. Das war sehr bewegend weil das ist keine Versorgung, die wir kennen sondern die Leute lagen teilweise auf dem Boden und haben eben, wie gesagt, nicht den ganzen Tag Strom und die Sachen, die wir zur Verfügung haben. Wenn jemand ins Krankenhaus bei uns, dann sagen die Leute oft, boah ich will nicht ins Krankenhaus. Ich mein, die Leute dort wären froh, in ein Krankenhaus zu kommen, dass so ist wie unsere.
Was ich auch bewegend fand, ist, wir haben in Sodo, einem Ort außerhalb von Addis Abeba, haben wir mit Leuten, mit Dorfbewohnern in einem großen Gemeinschaftshaus geschlafen, uns morgens mit einem Liter Wasser, mit einer Wasserflasche geduscht alle - und es geht absolut - und haben über Wasser geredet, mit den Leuten. Was Wasser bedeutet, wie Wasser die Qualität, die Lebensqualität verändert in so einem Dorf und was es für Probleme mit sich bringt, dass zum Beispiel viele Leute gar nicht so viel Bescheid wissen über Hygiene. Da gibt es eine neue Aktion von Viva con agua, "Wash ambassadors", sie versuchen Schülern beizubringen, wie man sich die Hände wäscht und wie wichtig das ist, in Form von Songs und die Songs kommen dann nach Hause und werden der Familie vorgesungen, vorgetanzt und dann wird die Information weitergegeben, damit das Wasser, was durch den Brunnen kommt, nicht konterminiert ist, bevor es zuhause ankommt.
Elsäßer: Also eine faszinierende Idee, was man mit Musik auch sachdienlich machen kann, ne.
Clueso: Das ist genau das, woran ich glaube. Musik kann viel bewegen, Musik kann Informationen weitergeben und Kunst an sich trägt zur Orientierung bei.
Elsäßer: Ein Künstler wagt den Neuanfang. Das gleichnamige Album von Clueso ist vorigen Freitag erschienen. Herzlichen Dank für dieses Corso-Gespräch.
Clueso: Sehr gern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.