"Blackstar". Kein ausbuchstabierter Albumtitel auf dem Cover, nur schwarz auf weiß dieser große Stern, aus dessen Splittern sich klein darunter in hieroglyphisch reduzierten Lettern der Name "Bowie" entziffern lässt - so rätselhaft und doch prägnant und nach einem ganz eigenen Universum klingt auch diese Musik. Exaltierte Strophen, die einen sofort am Kragen packen, Vintage-Rockriffs über hyperaktiv zickigen Rhythmen, dann wieder melodische Idyllen und viele, viele Saxofone, die in Echoschleifen ekstatisch um sich selber kreisen.
Jazz, ja! David Bowies neue Band ist das Quartett des New Yorker Saxofonisten Donny McCaslin - der Bebop kann, aber auch gern mal was Techno-Avantgardistisches covert: Das passt zum Experimentiergeist von "Blackstar". Bowies Comeback vor drei Jahren klang nach Rückblick, nach schön zu hörender Stagnation, sogar das Cover war ein Selbstzitat. Nun sucht er wieder, er hat Ideen, und er bekennt sich zu seinen Einflüssen - da gibt es neue (wie den Hiphop von Kendrick Lamar, der auch vom Jazz durchdrungen ist), und auch alte, wie die avantgardistische Schwere eines Scott Walker, den Bowie verehrt. Man höre nur den zehnminütigen Titeltrack mit seinen Orient-Akkorden und seiner okkulten Szenerie.
Wieder schmaler Grat zwischen Ohrwurm und Getöse
Leichte Kost ist das nicht. Aber auch nicht allzu anstrengend - David Bowie balanciert seit jeher mit meist großer Eleganz auf einem schmalen Grat zwischen Ohrwurm und Getöse, Pop und Kunst. Wobei: Vor genau 40 Jahren begann sein Album "Station To Station" auch mit einem titelgebenden, zehnminütigen Verwirrstück - damals folgte darauf der vergnüglich-lässige Funk von "Golden Years".
Solche Hits liefert er heute nicht mehr. Aber vielleicht hat sich der Chartspop auch zu weit von ihm entfernt, als dass da er noch mitmischen wollte. Oder könnte. Und wovon singt er nun? Sieht er sich in "Lazarus" selbst als wiederauferstandene Bibelgestalt? Oder geht es bei diesem Kurztrip ins Paradies gar nicht um den Himmel, sondern um Drogen?
Schwer zu sagen bei so viel Metaphorik. Der Song "'Tis A Pity She Was A Whore" zitiert ein Drama aus dem 17. Jahrhundert, in dem ein Inzest mit Messerstechen endet; das schon vor einem Jahr veröffentlichte "Sue (Or In A Season Of Crime)" beginnt mit dem Satz "Sue, ich hab den Job, wir kaufen das Haus!" und scheint dann auch mörderisch zu enden; einmal bedient sich Bowie einer Fantasiesprache aus Anthony Burgess' Roman "Uhrwerk Orange", und an anderer Stelle fragt er immer wieder: "Wo zum Teufel ist der Montag hin?"
Das Alter ist Thema
Was immer das auch heißt. Aber dieser Mann ließ schon vor Jahrzehnten seine Texte von einem Computerprogramm durcheinanderwerfen, weil er sie dann interessanter fand. Lineare Plots interessieren ihn auch im Alter nicht wirklich. Das Alter selbst sehr wohl: Der Tod kommt immer wieder vor in diesen sieben Songs. Keinen Moment tut David Bowie jünger oder viriler als er ist: Im Video zu "Lazarus" fährt die Kamera ganz nah an den bandagierten Bowie im Krankenbett heran, über seine altersfleckigen Hände, seinen faltigen Hals, das fein zerknitterte Gesicht. Es bannt einen noch genauso wie vor 30 oder 40 oder fast 50 Jahren.
"I Can't Give Everything Away" heißt der harmonisch-versöhnliche Schluss-Song: "Ich kann nicht alles hergeben." Oder eben: "Ich darf nicht alles verraten." Das vermeidet er in der Tat auch diesmal: David Bowie entwirft sich wieder neu; einmal mehr ist man fasziniert und kennt ihn am Ende doch wieder nicht. Und hofft auf seinen übernächsten Geburtstag, wenn vielleicht das nächste Album kommt. Denn, klar, seine Klassiker liegen Jahrzehnte zurück - aber auch so ein spätes Bowie-Album ist immer noch eine Erinnerung daran, was Popmusik alles sein kann: eingängig und irritierend, plakativ und rätselhaft, Kalkül und Abenteuer.