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Neues Album von Ryan Adams
"Trump ist wie eine Infektion"

Liebeskummer kann einem mehr noch als alles andere das Herz brechen, meint Ryan Adams. Auf seinem neuen Album "Prisoners" geht es darum, wie es ist, ein Gefangener zu sein: Ein Gefangener der Liebe, des Verlangens. Musikalisch hat sich der US-Amerikaner unter anderem von Prince und AC/DC inspirieren lassen.

Ryan Adams im Corso-Gespräch mit Marcel Anders |
    Der US-amerikanische Sänger Ryan Adams performt auf dem Hardly Strictly Bluegrass Festival im Golden Gate Park, San Francisco.
    Der US-amerikanische Sänger Ryan Adams performt auf dem Hardly Strictly Bluegrass Festival im Golden Gate Park, San Francisco. (imago / ZUMA Press)
    Marcel Anders: Herr Adams, was ist das für ein Gefühl, in einem Berliner Hotelzimmer zu sitzen und stundenlang über ihre Gefühlswelt und ihr Privatleben zu reden – denn darum geht es ja auf dem Album?
    Ryan Adams: Haben Sie je zerbrochenes Glas gegessen – und mussten dann auf Toilette?
    Anders: So schlimm?
    Adams: Es hat was davon.
    Anders: Womit Sie aber rechnen müssen, wenn Sie Ihr Privatleben derart in den Fokus rücken. Was hat Sie überhaupt dazu veranlasst? Geht es um Selbsttherapie? Um ein emotionales Ventil?
    Adams: Ich nehme einfach an meinen eigenen Erfahrungen teil. Das ist es, was ich am besten tue. Und es beruht auf dem, was ich lese, und auf der Kunst, die ich liebe - von Henry Miller über Kerouac, Agnus Martin bis hin zu Robert Rauschenberg. Da ist so viel Menschlichkeit im Spiel, dass ich denke, sie sind sich keiner Konstrukte bewusst. Und das gilt auch für die Platten, die ich mag, für die Gitarristen, die Philosophen, die Wissenschaftler und all die anderen Leute, die ich bewundere. Sie haben keine Botschaft, die erst groß entschlüsselt werden muss.
    Gegen Selbstzensur
    Anders: Demnach präsentieren Sie die Dinge so, wie sie sind – in der Manier eines altmodischen Geschichtenerzählers?
    Adams: Mir war von Anfang an klar, dass sich die Leute auf mich stürzen werden. Nicht zuletzt wegen all der Erfahrungen, die ich durchlaufen habe und bei denen ich immer sehr offen war. Sei es, als ich mit Alkoholproblemen gekämpft oder mich in aller Öffentlichkeit wie ein verrücktes Kind benommen habe. Nur: Die Idee, sich selbst zu zensieren, erscheint mir sehr dumm.
    Ich meine, Elvis hat das nicht getan. Dylan auch nicht, Neil Young nicht, Henry Miller nicht. Genauso wenig wie Kerouac oder Ginsberg. Keiner von den Leuten, die ich bewundere, wäre je auf die Idee gekommen. Womit ich nicht sage, dass ich wie sie bin oder je mit ihnen gleichziehen werde, aber ich kann es zumindest versuchen. Und die beste Art, das zu tun, ist sich da keine große Mühe zu geben und nicht sein zu wollen, wer man nicht ist. Der einzige Filter, den ich verwende, ist der romantische Filter meiner Kunst. Von daher glätte ich da nichts. Und ich habe auch keinen Song, in dem es heißt: "I'm getting divorced, what the fuck. I'm about to loose millions of dollars. I'm getting divorced."
    Vielleicht sollte ich ihn schreiben, denn er wäre bestimmt populär. Aber: Es geht nicht darum, wie ich die Realität einschätze, in der ich mich befinde, sondern ich sehe vielmehr diese andere, romantische Sache. "Prisoner" handelt von der Tatsache, dass am Ende der Negativ-Erfahrungen ein wunderbares Erlebnis steht, dessen Licht alles andere überstrahlt. Das ist das Ende der Reise, die der Protagonist oder der Held auf dem Album erlebt.
    Trauer und Aufbruchsstimmung als Inspiration
    Anders: Was ist mit der Musik? Die meisten Songs scheinen von Springsteen und den Smiths geprägt zu sein. Würden Sie da zustimmen?
    Adams: Das sind sogar ganz große, wichtige Einflüsse. Als ich geschieden wurde, habe ich oft "Darkness At The Edge Of Town" gehört. Genau wie Sachen von Don Henley oder Bruce Hornsby And The Range, die sich durch schlechte Laune und Trauer auszeichnen – aber auch durch eine Aufbruchstimmung.
    Denn in Songs wie "Stolen Car" von Springsteen passiert etwas, da ist eine Bewegung vorhanden. Und darin waren auch die Smiths sehr gut. Sie waren nie schnell, haben sich meist im Dreiviertel-Takt bewegt, aber sie hatten ein Momentum, und sie haben ein sehr nostalgisches Gefühl vermittelt.
    Anders: Was sich ja auch in ihren Plattencovern geäußert hat – mit diesen alten Schwarzweiß-Fotos.
    Adams: Absolut. Sie haben eine alltägliche Melancholie eingefangen. Und ich mag die Art, wie sie das ganz normale Leben beleuchtet und gezeigt haben, dass es viel bedeutender ist, als die Leute meinen. Jeder schreibt über große Ereignisse und große Sachen. Nur wenige dagegen über das Alltägliche, das uns mindestens genauso viel lehrt. Von daher halte ich The Smiths für die perfekte Band.
    Und: Johnny Marr war 18, als sie anfingen. Und 23 als sie sich getrennt haben. Führt euch das vor Augen: 18 bis 23! Was für eine unglaubliche Leistung! Gerade für ein paar Teenager. Sie haben Musik gemacht, die alles verändert hat. Und sie zeigen uns bis heute, was gute Alben ausmacht. Es ist der Wahnsinn.
    "Deine Kunst wird nicht weggeworfen"
    Anders: Das Cover von "Prisoner" ziert dagegen eines Ihrer Bilder – angeblich das Letzte, das Sie aus der gemeinsamen Wohnung gerettet haben. Also etwas schwer Symbolisches?
    Adams: Es hängt jetzt bei Johnny Depp zu Hause. Er hat vier Bilder von mir – aber dieses und ein weiteres sollten schon weggeworfen werden. Die beiden anderen hatte ich ihm geschenkt, weil er Kunst sammelt und liebt. Und dieses spezielle hing im Wohnzimmer meines alten Hauses – zusammen mit einem weiteren im Flur.
    Es war der letzte Tag, an dem Sachen abtransportiert werden mussten, und meine Ex rief an und meinte: "Hey, ich weiß nicht, was ich damit machen soll, denn ich will sie nicht. Soll ich sie auf den Müll werfen?" – Darauf ich: "Auf keinen Fall!" Und sie: "Du hast eine Stunde, bis die neuen Besitzer kommen." Also fragte ich mich, wen ich anrufen könnte, denn ich war im Studio beschäftigt. Und das war Johnny.
    Ich sprach ihm auf die Mailbox, dass ich nicht wüsste, was ich tun soll, und ob er sie auch auf den Müll werfen würde." Er rief sofort zurück und meinte: "Deine Kunst wird nicht weggeworfen." Und er hat es geschafft, einen Transporter zu organisieren, der 30 Minuten vor Ablauf der Frist da war und die Gemälde abgeholt hat. Worüber ich wahnsinnig glücklich bin. Denn er ist eine besondere Person. Er meinte erst vor ein paar Tagen: "Wenn ich morgens aufwache, ist das erste, was ich sehe, deine verdammten Bilder." Und das liebe ich. Es gibt mir ein tolles Gefühl. Nach dem Motto: Was fast im Müll gelandet wäre, ist jetzt das Cover meines Albums und im Besitz meines besten Freunds. Das ist mehr als OK für mich. Es ist der beste Ort, an dem es hätte landen können.
    Anders: Malen Sie oft?
    Adams: Nein, aber ich kann kaum erwarten, wieder anzufangen. Allerdings brauche ich ein Zimmer dafür. Etwa in meinem nächsten Zuhause. Momentan habe ich ein nettes Apartment. Aber irgendwann soll es ein richtiges Haus sein, wo ich auch ein Kunst-Zimmer haben werde. Ein Zimmer wirklich nur für Kunst, und nichts anderes. Sprich: Es wird chaotisch und Tiere sollten dort keinen Zutritt haben, sonst kann man sich nicht konzentrieren. Momentan habe ich noch keinen Platz dafür, und verbringe die Zeit, die ich sonst malen würde, mit Flippern und Zeichnen.
    "Trump und seine Leute sind schlecht für alle"
    Anders: Werden Sie sich langfristig in New York niederlassen?
    Adams: Momentan bin ich in Los Angeles, habe mich aber noch nicht entschieden. Wer weiß, ob ich überhaupt in den USA bleibe.
    Anders: Wie stehen Sie zu dem, was da gerade passiert – zu den Massenprotesten gegen Trump? Sind Ihre Mitbürger aufgewacht?
    Adams: Das sind sie wirklich. Aber ich schätze erst durch das, was gerade passiert. Nicht, dass sie vorher gepennt hätten, aber es hat etwas davon, als würde dein Keller nach einem Unwetter unter Wasser stehen und dir wird klar, dass du da jede Menge Kram hast, der dir wichtig ist. Dann regnet es immer weiter, wodurch das Fundament deines gesamten Hauses gefährdet ist. Und Trump ist die rassistische Version davon.
    Von daher denke ich, die Leute versuchen jetzt zu retten, was noch zu retten ist – ehe alles neu aufgebaut werden muss. Was normal ist, wenn du es mit einer politischen Tragödie zu tun hast, die nicht nur dich betrifft. Es betrifft die Unantastbarkeit von allem, was dir lieb und teuer ist und an dem du dich festhältst und orientierst.
    Anders: Dann ist Trump eine Tragödie?
    Adams: Er ist ein Clown, der mit einem völlig verrückten Zirkus daherkommt. Oder besser formuliert: Er ist wie eine Infektion. Vielleicht auch wie ein Biss oder ein Schnitt. Und seine Leute haben nur auf diesen Moment gewartet. Sie sind schlecht. Schlecht für andere, schlecht für sich selbst. Und hoffentlich ist das, was da gerade passiert, die Verteidigung, die die Infektion zurückschlägt.
    Anders: Haben Sie einen Plan B? Könnten Sie sich vorstellen, die USA zu verlassen? Und wenn ja, wohin?
    Adams: Ich weiß es nicht. Aber ich denke, wenn es zu einem Bürgerkrieg oder einem anderen brutalen, verrückten, angsteinflößenden Ereignis kommen sollte, ist es wichtig, dass sich jeder zu verteidigen sucht. Es ist zwar ein merkwürdiger Gedanke, aber ich wäre lieber ein Flüchtling als dass ich in einem faschistischen Amerika leben würde. Und ich denke jeder, der ein Herz hat, würde dasselbe wollen. Aber: Ich glaube auch an das Gute im Menschen und ich hoffe, dass noch viele Leute, die bislang geschwiegen haben, aktiv werden und sich wehren und die anderen stoppen. Zumindest ist es das, was in "Star Wars" passiert. Insofern warte ich auf "Star Wars".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.