"Meistens haben wir vorher kein Konzept, nur danach ein Konzept. Also wir machen einfach Stücke, die uns durch den Kopf gehen. Dann wenn wir uns das Ganze anhören, dann versuchen wir, so eine Art Leitmotiv zu finden. Und deshalb heißt jetzt dieses Album 'Les Hormones', weil es sehr viel mit Komplexen zu tun hat, sich schlecht in seiner Haut fühlen und solche Sachen. Ja."
"Ja, ich meine, wir Frauen, wir müssen immer super aussehen und so weiter, das ist ganz schöner Stress. Ich meine, den Jungs, von ihnen erwartet man nicht, dass sie so schön aussehen, oder? Niemand ist geschockt, wenn so ein alter Sack, der total scheiße aussieht, ausgeht mit einer superjungen Frau und so weiter. Aber wenn es eine alte Frau ist mit so einem jungen Typen, dann ist das sofort shocking. Deswegen habe ich mir, ah, ich möchte so gern schön sein für dich, zu schön für dich. Das ist die Ironie und das macht das Stück natürlich gleich lustiger."
Wahre Meisterin darin, ihr Anliegen geschickt zu verpacken
Die feministische Hymne, sie darf auf keinem Album von Stereo Total mehr fehlen. Françoise Cactus ist eine wahre Meisterin darin, ihre Anliegen so zu verpacken, dass sich damit niemand auf den Schlips getreten fühlt, im Gegenteil. Stereo Total, das heißt vor allem: Reduktion im Sound und Humor im Text, anarchistisch-charmanter Humor, und darin liegt die wahre Leistung und Größe von Brezel Göring und Françoise Cactus. Denn die Punks und Post-Punks, das Kreuzberger Biotop der 80er-Jahre, in denen die beiden künstlerisch aufgewachsen sind, die waren nun wirklich nicht für ihren Humor berühmt, man denke nur an die Einstürzenden Neubauten.
Zu diesem bleischweren deutschen Existenzialismus bildeten Stereo Total den genauen Gegenpol, bis heute. Federleicht kommt ihr Trash-Chanson daher, wie hier in "Doktor Kaktus", eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema Hormone und Körpergefühl.
"Also da spiele ich drei Rollen. Françoise Cactus, ich selber so, die hysterische Stimme in meinem Kopf, das ist die ganz hohe Stimme, das ist ein bisschen diese Angst und diese Paranoia, und dann Doktor Kaktus, die ist da, um sie zu beruhigen. Das ist sozusagen ein Text über Multiple Personality Complex auch."
"Bist du Hypochonder?"
"Ja. Manchmal habe ich da so kleine Pickel und da denke ich mir: Hah, non Krebs."
Hang zum Trashfilm
Françoise Cactus hat ihren Lebenspartner Brezel auch ihr Faible für eine andere Facette der 60s-Trashkultur übertragen, den zum Trashfilm. Diesen Hang haben sie auf "Les Hormones" noch verstärkt, geschuldet auch der Tatsache, dass sie immer öfter Lieder für Film-Soundtracks schreiben. Die Beschäftigung mit Filmmusik hat auch zu Rückkopplungen mit dem Stereo Total-Sound geführt, wie Brezel Göring feststellt.
"Eine Zeit lang habe ich versucht, zu forcieren, bei Stereo Total so viele irre Geräusche wie nur möglich in jedes Lied reinzupacken. Dann habe ich allerdings beim Film festgestellt, manchmal ist es gut, wenn da nicht so viele Geräusche drin sind. Die Wirkung negiert sich, wenn zu viel los ist. Umso schneller langweilt man sich. Und dann habe ich mir eher das abgeguckt: Wie ist die Stimmung? Und mehr nicht."
So ist "Les Hormones" über weite Strecken cineastisch geprägt. Und wenn Françoise Cactus auf bestem Surfsound anfängt, japanisch zu singen, dann fühlt man sich gänzlich in einem vergilbten Comic aus einer anderen Kultur, dessen Schriftzeichen man nicht versteht. Auf Japanisch zu singen, hat bei Stereo Total eine lange Tradition, denn sie wollten von Anfang gerne nach Japan eingeladen werden und wollten auf diese Weise nachhelfen. Eine japanische Freundin hilft seitdem bei der Übersetzung.
"Es gibt manchmal Probleme, weil die japanische Sprache ist super lang. Sie brauchen wahnsinnig viele Silben, um nichts zu sagen. Für zwei Silben im Deutschen, fünf im Japanischen. Das gibt manchmal Probleme, dann muss ich so anfangen zu singen, so lolololo, damit ich überhaupt alles reinkriege in eine Zeile, also das ist nicht so einfach mit den Sprachen."
Einfluss durch französischen Chanson der 70er-Jahre
Aber immer wieder kommen die beiden zurück auf den klassischen französischen Chanson der 70er-Jahre. Françoise Cactus ist im Burgund aufgewachsen, den Chanson gab es quasi mit der Muttermilch.
"Alle Kinder, also wir sind vier Kinder, haben super gern gesungen. Und alle singen super, außer meinem großen Bruder, der singt wirklich wie eine Casserolle. So sagt man in Frankreich, 'il chante comme une casserolle'. Also zum Beispiel, wenn wir im Auto waren, haben wir ständig gesungen. Und damals gab es wirklich gute Dinger im Radio, wie François Hardy, France Galle, Brigitte Bardot, als sie noch nicht bescheuert war, und ich mochte das sehr. Dann später, als ich Teenie geworden bin, dann habe plötzlich dieses ganze Zeug gehasst. Plötzlich stand ich nur noch auf Heavy Metal, richtig so knallharte Musik. Und als ich nach Berlin gezogen bin, dann ist es zurückgekommen. Dann wollte ich plötzlich all diese Platten wieder haben, die ich als Kind gehört habe. Und deswegen hat es auch einen großen Einfluss gehabt auf Stereo Total."
Stereo Total sind einfach nicht totzukriegen. "Les Hormones" ist ein gelungenes und verlässliches Album für die Fans geworden. Überraschen tun die beiden nur noch in Nuancen. Noch mehr Sixties-Feeling, noch mehr Chanson, und Françoise Cactus hat zum ersten Mal produziert, was man durchaus positiv bemerkt. Das Album klingt räumlich und nach Programmkino. Es gibt die verlässliche Hit-Single, und der Hörer wird wie immer zum Dauergrinsen eingeladen – in diesen unlustigen Zeiten nimmt man das doch gerne mit. Ernst geht immer, unpeinlich lustig können nur wenige. Die Hormone, sie tanzen.