Bernd Lechler: Seit zwanzig Jahren sind The National aus New York die beliebteste Indierock-Band für den melancholischen Mann. Gestern ist ihr neues, nunmehr achtes Album "I Am Easy To Find" erschienen, eine Kooperation mit dem Regisseur Mike Mills, der dazu auch einen gleichnamigen Kurzfilm gedreht. Fangen wir mit der Musik an, haben The National ihren Hörerinnen und Hörern – abgesehen von dem Video - sich irgendetwas Überraschendes einfallen lassen?
Jens Balzer:Ja, es gibt das eine oder andere, was man eventuell als Überraschung bezeichnen könnte. Aber die Fans können unbesorgt sein, nichts davon stört das gewohnte Klangbild, das wir von The National kennen.
Das ist ja erstmal, um vielleicht so anzufangen, das eigentlich Erstaunliche an dieser Band, dass sie seit inzwischen zwanzig Jahren ein und denselben Sound bietet, ein und dieselbe Gefühlslage, ein und dieselbe Tonalität. Und sind so - in dieser für heutige Verhältnisse ja doch sehr langen Zeit - zu einer Art Ruhepol in der sich stetig wandelnden Welt der Popmusik, und auch des Indierock geworden ist. Was ist der Grund?
Wiedererkenungswert Barolo-Bariton
Das ist dieser getragene, leicht melancholische Sound, sehr gut gewirkt, dramaturgisch einfallsreich, aber stets schlüssig aufgebaute Songs. Im Vordergrund, stand bisher immer die warme Baritonstimme des Sängers Matt Berninger, der - wie regelmäßige Konzertbesucher wissen, auf der Bühne auch immer mit einem Glas Rotwein in der Hand steht. Er hat so einen Barolo-Bariton, hat ein Kritiker einmal ganz treffend gesagt und damit singt er dann Lieder über die eigene Unbehaustheit in der Welt. Über scheiternde Beziehungen, unklare Gefühle gegenüber geliebten Menschen ebenso, wie gegenüber sich selbst.
Das wirkt beim ersten Hören immer äußerst behaglich. Vielleicht ist es auch diese Behaglichkeit, die die Fans an The National so schätzen. Aber darunter gibt es auch immer etwas, das wühlt, das die Szene und die Stimmung verunklart. Und das finde ich auf dem neuen Album noch deutlicher ausgearbeitet als auf den vorangegangenen.
Es gibt unter den schwebenden Gitarren und sphärischen Sounds noch mehr latent aggressive Drums und sonderbare elektronische Störgeräusche, die die Stimme auch schon mal in den Hintergrund drängen.
Die Störgeräusche stammen übrigens zu wesentlichen Teilen von Jan Stephan Werner, den das hiesige Publikum vielleicht als eine Hälfte des Duos Mouse on Mars kennt. Also zwei Pioniere der elektronischen und elektroakustischen Improvisation. Werner hat schon auf dem letzten National-Album, "Sleep Well Beast" aus dem Jahr 2017 mitgewirkt und seine Präsenz tut der Musik hier wirklich ganz gut.
Lechler: Er ist ja nicht der einzige Gast auf dem Album, vor allem kann man eine Vielzahl von Gastsängerinnen hören. Wer schlägt sich da wie?
Balzer: Zum Beispiel Gail Ann Dorsey, eine amerikanische Soul- und R’n’B-Sängerin die das breitere Publikum wahrscheinlich vor allem aus ihrer Zusammenarbeit mit David Bowie kennt sie hat von 1995 bis zu seinem Tod 2016 in seiner Band gespielt.
Bruch in der behaglichen Nabelshow
Oder auch Sharon Van Etten, eine der großen Protagonistinnen des neueren amerikanischen Alternative Country. Die beiden und noch einige andere Sängerinnen haben tragende, manchmal entscheidende Parts auf dieser Platte. Das ist auch ganz gut. Mal schmiegen sie sich konterkarierend, disharmonisch anschrängend, seltsam vibrierend unter den Gesang von Matt Berninger und bewahren ihn auf diese Weise von dem Eindruck der melancholischen Selbstgefälligkeit, in die er sonst schon gelegentlich kippt.
Und in dem, wie ich finde, interessantesten Stück auf der Platte, "Not In Kansas", verschwindet der Gesang von Berninger nach etwa zwei Minuten plötzlich im Mix und weicht einem hymnischen, erhebenden Chorgesang von Gail Ann Dorsey und zwei anderen Sängerinnen.
Da wird diese doch behagliche Nabelschau des mit sich selbst ringenden Mannes dann plötzlich durch etwas Anderes aufgebrochen, durch die Stimmen der Objekte seines Begehrens und seines Unverständnisses. Das ist schon ein sehr interessanter Moment.
Also das, was man vielleicht als überraschende Wendung auf dieser Platte bezeichnen könnte. Das steht exemplarisch für viele kleine Verschiebungen - wie eben auch die Dezentrierung des Gesangs durch das Elektronische, die dem Ganzen etwas Dialogisches, Gebrochenes auf - für The National - neuartige Weise Verunsichertes verleihen.
Lechler: Und dazu kommt nun dieser Videoclip-Kurzfilm zum Album. Was gibt es dort zusehen und inwiefern ergänzt oder erweitert das die Musik?
Ein ganzes Leben im Zeitraffer
Balzer: Der Kurzfilm, er dauert eine knappe halbe Stunde, stammt von dem Regisseur Mike Mills - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Bassisten (oder Ex-Bassisten) von R.E.M.
Dieser Regisseur wurde bekannt mit dem Spielfilm "Thumbsucker", der 2005 auch auf der Berlinale lief und von einem schwer erziehbaren Jugendlichen handelte, der mit Ritalin ruhiggestellt wird.
Er hat aber auch schon Musikvideos unter anderem für Sonic Youth, die Beastie Boys und Beck gedreht. In diesem Video erzählt er jetzt die Lebensgeschichte eines Mädchens, einer Frau von der Geburt bis zum Tod. Da läuft also im Zeitraffer ein ganzes Leben an uns vorbei.
Die Darstellerin ist Alicia Vikander, die das Kinopublikum aus dem Science-Fiction-Film "Ex Machina" kennt, wo sie eine Androidin spielt. Oder zuletzt auch aus dem Reboot von "Tomb Raider", in dem sie die Rolle der Lara Croft übernahm.
Hier spielt sie jetzt also die Hauptrolle, und zwar in sämtlichen Lebensphasen ohne Make-Up oder sonst welchen Modifikationen. Das heißt, sie sieht als Baby genauso jugendlich erwachsen aus, wie als Jugendliche oder als Erwachsene oder als reife Frau oder als Greisin. Das ist schon ganz interessant, wie sie diese verschiedenen Lebensalter allein durch ihre Mimik, ihre Bewegungen, ihre Körpersprache repräsentiert.
Die Geschichte, die dann erzählt wird, ist dann relativ vorhersehbar. Es gibt die Geborgenheit als Kind, den Aufbruch der Jugend, die erste Liebe, den Mann ihres Lebens, bei dem sie nicht weiß, ob er wirklich der Mann ihres Lebens ist, die Geburt ihres Sohnes, dessen Aufwachsen und Auszug, das Alter, den Tod des Mannes und so weiter. Das könnte langweilig sein in seiner Vorhersehbarkeit, aber das Spiel von Alicia Vikander und der melancholische Ton, den Mike Mills für seine Bilder findet, macht es dann doch sehr rührend, manchmal ergreifend und das passt sehr gut zu der Musik von The National.
Insgesamt sechs Songs aus dem Album begleiten dieses Video, die ineinander geblendet und variiert werden. Die Musik ist irgendwie ja auch immer ein bisschen langweilig und vorhersehbar. Aber in ihrer besonderen Tonalität dann doch auch wieder ergreifend.
Insofern könnte man sagen, dass wir es hier mit einer wirklich kongenialen Verbindung von Bildern und Tönen zu tun haben. So dass man nach dem Betrachten dieses Videos noch etwas besser versteht, was man an der Musik von The National mögen könnte oder eben auch nicht!