Kerstin Poppendieck: Vergangenes Jahr haben Sie eine Reise durch die Smoky Mountains in North Carolina unternommen. Der Grund der Reise war sehr persönlich: Sie wollten eine Verbindung zur familiären Seite Ihrer Mutter aufbauen. Was haben Sie auf dieser Reise erlebt, das Sie zu diesem Album inspiriert hat?
Tori Amos: Ich bin durch North Carolina und Tennessee gereist. Das ist wichtig zu wissen, denn in Tennessee ist meine Mutter geboren. Es hat etwas ganz besonderes, zu den Anfängen der eigenen Mutter zu reisen, denn da liegt ja auch mein eigener Anfang. Um ehrlich zu sein, hatte ich doch gehofft einige Songideen zu finden, irgendeine Art von Offenbarung. Ich habe tatsächlich eine ganz besondere Energie auf dieser Reise gespürt, die von der Natur ausging. Die Felsen, die Flüsse, die Berge – sie alle haben in Chören zu mir gesungen. Natürlich nur metaphorisch gesprochen. Bei dieser Reise ging es darum, die Umgebung wahrzunehmen, auf die Energieflüsse zu achten und darauf zu warten, dass sich diese Energien auch in mir freisetzen, was dann später auch passiert ist.
Kritischer Blick auf die Mächtigen dieser Welt
Poppendieck: Sie haben über ihr neues Album "Native Invader" gesagt: Ich hoffe, dieses Album zeigt den Menschen, dass wir unsere Zerstörungswut bekämpfen müssen. Und dass wir dafür auf die Natur blicken sollten. Wie meinen Sie das?
Amos: Wir sollten alle einen Schritt zurück gehen und uns genau ansehen, was gerade passiert – vor allem bei den Mächtigen dieser Welt sollten wir uns genau anschauen, wie sie vorgehen. Normalerweise hören sie nicht zu. Achten Sie mal genau darauf. Sie warten einfach nur darauf, selbst reden zu können. Aber sie hören dem anderen nicht zu, sie sind nicht präsent. Und das können wir von der Natur lernen: präsent zu sein. In diesem Punkt ist die Natur der wunderbarste Lehrer. Diese Mächtigen der Welt werden höchstwahrscheinlich nicht merken, wenn ein Sturm im Anmarsch ist. Ihnen ist klar, dass irgendwann ein Sturm kommt, aber weil sie nicht präsent sind, nicht zuhören, merken sie nicht, wenn es soweit ist.
Poppendieck: Ihr neues Album ist sehr persönlich und sehr emotional geworden. Es war ja auch viel los in den vergangenen Monaten in ihrem Leben – sowohl privat durch den Schlaganfall ihrer Mutter aber auch aus politischer Sicht. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Amos: Naja, ich versuche so gut wie möglich auf dem Boden zu bleiben. Jeden Tag aufs Neue. Das ist das klügste, was man gerade machen kann.
Poppendieck: Ist das eine Herausforderung?
Amos: Das ist eine Herausforderung, absolut. Ich kann mich an keine Zeit wie diese erinnern - mit Ausnahme der späten 60er Jahre, nachdem Martin Luther King und Robert Kennedy ermordet wurden, mit dem Vietnamkrieg, und als Nixon Präsident wurde. Ich will mit meinen Lieder nicht Nostradamus spielen und die Zukunft prophezeien, aber was ein guter Songschreiber macht, ist zuhören. Den Menschen zuhören, selbst, wenn sie nichts sagen. Daraus entstehen dann Lieder.
"Mary ist immer noch da"
Poppendieck: Auf Ihrem Album gibt es das Lied "Mary's Eyes". Für mich das berührendste Lied des Albums. Es ist ein Lied über ihre Mutter, die Anfang des Jahres einen schweren Schlaganfall hatte und seitdem nicht mehr sprechen kann und halbseitig gelähmt ist. Sie stehen ihrer Mutter sehr nah, und es ist eine Sache, so einen Song allein für sich zu schreiben – aber haben Sie schon darüber nachgedacht, wie Sie dieses so persönliche und zutiefst emotionale Lied auf einer Bühne singen werden?
Wir haben noch länger mit Tori Amos gesprochen -
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Amos: Ich habe "Mary's Eyes" noch nicht für die Bühne ausgearbeitet. Aber ich erzähle Ihnen etwas zu diesem Lied. Ich habe meiner Mutter Mary dieses Lied noch nicht vorgespielt, weil ich gar nicht weiß, was sie gerade mitbekommt. Leider kann Mary auch nicht schreiben, da sie seit dem Schlaganfall einseitig gelähmt ist. Natürlich ist diese Situation sehr schwer für uns. Mary war immer so produktiv und lebendig. Aber sie ist immer noch produktiv – in ihrer Liebe. Wenn man mit ihr zusammen sitzt, und sie berührt Deine Hand, dann will sie, dass Du ihr Musik vorspielst. Aber es muss Musik sein, die sie kennt. Dann sitzt man da mit ihr, teilt die Musik und Mary erstrahlt. In diesen Momenten sieht man, das Leben in Marys Augen. Mary ist noch immer da.
Poppendieck: Sie haben in dieses Album so viele Gefühle gepackt, politische Gedanken und sehr persönliche Erlebnisse. Was wünschen Sie sich, soll dieses Album beim Publikum auslösen?
Amos: Es war wirklich ein Kampf und eine Quälerei, sich mit den Nachrichten der vergangenen Monate seit dem Amtsantritt Donald Trumps auseinanderzusetzen. Dabei geht es weniger um ein, zwei Leute, sondern eher um eine Energie, mit der wir konfrontiert sind. Als wir angefangen haben, dieses Album zu machen, wollten wir eine Art Garten bauen. Ja, in diesem Garten gibt es Unkraut, es gibt positive wie negative Energien dort. Und die Zuhörer entscheiden selbst, was sie davon mitnehmen. Für jeden beinhaltet dieses Album etwas anderes.
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