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Neues Asylrecht
"Es ist keine Verschärfung, die ans Eingemachte geht"

Der Asylrechtsexperte Kay Hailbronner hält die Folgen des verschärften Asylgesetzes für gering. Es sei keineswegs so, dass alle Personen, die wegen einer Straftat verurteilt würden, nun ausgewiesen werden könnten, sagte er im DLF. Zudem sei die Zahl der Flüchtlinge gering, die von den Verschärfungen betroffen seien.

Kay Hailbronner im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Die Parlamentarier des Deutschen Bundestag stimmen am 25.02.2016 im Reichstagsgebäude in Berlin über das Asylpaket II ab.
    Die Parlamentarier des Deutschen Bundestag stimmen am 25.02.2016 im Reichstagsgebäude in Berlin über das Asylpaket II ab. (pa/dpa/Kumm)
    Martin Zagatta: Schnellverfahren, wenn Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsländern kommen, eine Einschränkung des Familiennachzugs für bestimmte Zuwanderergruppen und die Ausweisung ausländischer Straftäter soll erleichtert werden. Das ist, verkürzt gesagt, der Inhalt des Asylpakets II, das der Bundestag gerade verabschiedet hat, mit breiter Mehrheit in der Großen Koalition und unter Protest der Opposition.
    Mitgehört hat Professor Kay Hailbronner, Leiter des Konstanzer Forschungszentrums Ausländer und Asylrecht. Guten Tag, Herr Hailbronner.
    Kay Hailbronner: Guten Tag.
    Zagatta: Aus Ihrer Sicht jetzt, da Regierungslager und Opposition, wie wir gehört haben, das völlig unterschiedlich beurteilen, sind das jetzt, was da beschlossen wurde, Korrekturen an etwas, was schlecht läuft, oder ist das eine Verschärfung des deutschen Asylrechts, die tatsächlich schon ins Eingemachte geht?
    Hailbronner: Meiner Ansicht nach ist es keine Verschärfung, die in dem Sinne ans Eingemachte geht. Es werden einige Dinge, die auch früher eigentlich schon immer kritisiert wurden, nämlich mangelnde Sanktionen gegen Asylsuchende, die nicht wirklich kooperieren, das wird bereinigt, und ich halte das durchaus in einer Linie mit einer Tendenz, die nicht erst seit diesem Jahr beginnt, sondern eigentlich schon längst überfällig ist und auch für vernünftig.
    Zagatta: Glauben Sie, dass diese Beschlüsse jetzt auch in der Praxis nennenswerte Auswirkungen haben werden?
    Hailbronner: Das ist die große Frage. Was den Familiennachzug für subsidiär Geschützte betrifft, sehe ich keine wirklich sehr großen Auswirkungen. Einmal ist die Zahl derjenigen, die subsidiären Schutz bekommen, ohnedies recht gering, und zum anderen können wir und werden wir auch nicht verhindern, dass Familienangehörige kommen und nicht unter Familiennachzug, sondern unter Behauptung, dass sie selber berechtigt sind, subsidiären Schutz zu erlangen, nach Deutschland kommen, illegal einreisen und dann hier sich auf subsidiären Schutz berufen.
    "Entscheidend ist eine faire Anhörung"
    Zagatta: Wie ist das mit den Schnellverfahren? Da geht es ja trotz dieser Verfahren nicht ohne Einzelfallprüfung. Kann man das in zwei Wochen erledigen, sinnvoll erledigen, so wie das jetzt geplant ist?
    Hailbronner: Ich meine, dass man das durchaus in der vorgesehenen Frist erledigen kann. Man wird nicht alles erledigen können. Das sieht ja auch das Gesetz insofern schon vor. Wenn man es nicht in einer Woche erledigen kann, dann geht das ja in das normale Verfahren über. Aber gerade bei der Kategorie, die jetzt in dem beschlossenen Gesetzespaket vorgesehen ist, sichere Herkunftsstaaten, Personen, die nicht kooperieren, da sehe ich das durchaus als möglich an. Es besteht eigentlich auch kein wirklicher Grund, warum das Verfahren dann derartig in die Länge gezogen werden soll. Entscheidend ist, dass man eine faire Anhörung bekommt und Gelegenheit bekommt, seine eigenen Gründe darzulegen. Ich kann nicht einsehen, warum das nicht in einer Woche möglich sein soll.
    Zagatta: Sinnvoll wäre es aus Ihrer Sicht. Aber ändert das sehr viel in der Praxis? Denn Abschiebungen sind ja nach wie vor problematisch und werden oft nicht vollzogen. Ändert sich da jetzt irgendetwas?
    Hailbronner: Das ist völlig richtig. Da bin ich auch etwas skeptisch, muss ich sagen, denn wir hatten natürlich ein großes Problem, und das Problem werden wir weiterhin haben: Was passiert eigentlich mit denen, deren Asylverfahren beendet ist? Unsere Erfahrungen der letzten Jahre haben uns gezeigt, dass in den meisten Fällen der negative Ausgang des Asylverfahrens nicht bedeutet, dass die Personen dann tatsächlich zurückgeführt werden können. Man kann versuchen, das zu beschleunigen. Ein beschleunigtes Asylverfahren bietet schon insgesamt auch eine bessere Chance, dass die Hindernisse, die sonst auftauchen, fehlende Dokumente, Nachweis gegenüber den Herkunftsländern, dass das ein bisschen schneller geht. Aber das große Problem bei nicht kooperierenden Staaten oder bei fehlenden Dokumenten, das kann man damit natürlich nicht lösen.
    "Falsche Vorstellungen"
    Zagatta: Die Ausweisung von straffällig gewordenen Ausländern oder auch Asylbewerbern, die steht ja seit der Kölner Silvesternacht fast im Fokus der Öffentlichkeit. Wird die jetzt tatsächlich irgendwie leichter? Sie haben es ja schon angesprochen: Wenn sich da betroffene Staaten weigern, ihre Landsleute zurückzunehmen, oder Sie können ja auch schlecht jemand nach Syrien zurückschicken. Wird das tatsächlich in der Praxis in irgendeiner Form erleichtert?
    Hailbronner: Da gibt es auch ein bisschen falsche Vorstellungen über die Wirkung des jetzt beschlossenen Gesetzes. Es ist keineswegs so, dass nun alle Personen quasi automatisch, die nun eine Straftat begangen haben und deswegen verurteilt werden, dass die nun ausgewiesen werden können. Wir haben nach wie vor eine Verpflichtung zu einer wirklich umfangreichen Prüfung. Alle Aspekte des Einzelfalls, das persönliche Schicksal, familiäre Beziehungen und all das muss abgewogen werden, und ob das dann wirklich zu einer erheblich höheren Zahl von Ausweisungen führt, da habe ich erhebliche Fragen.
    Zagatta: Sie vergleichen das ja oder forschen da auch. Im europäischen Vergleich, ist da das deutsche Asylrecht so viel großzügiger als andere? Warum haben wir diese Diskussionen eigentlich?
    Hailbronner: Im europäischen Vergleich ist das Asylrecht nicht so viel großzügiger. Wir reden jetzt über das Asylrecht. Die Kriterien, unter denen jemand Schutz bekommt, die sind nahezu hundertprozentig - wir haben zwar verfassungsrechtliche Dinge, aber die spielen praktisch keine Rolle - aber wir sind nahezu hundertprozentig identisch mit den unionsrechtlichen Vorgaben. Was unterschiedlich ist, ist die unterschiedliche Praxis. Das heißt, verschiedene Mitgliedsstaaten legen auch die Begriffe, die im Unionsrecht sind, unterschiedlich aus.
    Zagatta: Aber das ist nicht der Grund, dass weniger Flüchtlinge in andere Länder kommen, dass die Mehrheit oder viele, viele, viele nach Deutschland wollen. Man kann sagen, andere können sich dem entziehen, weil die meisten Flüchtlinge nach Deutschland wollen?
    Hailbronner: Ja, es ist schon einer der Gründe, der auch für die Entscheidung, ob man sich auf die Flucht begibt, eine Rolle spielen kann. Man weiß, dass in Deutschland bei bestimmten Kategorien von Flüchtlingen auch eine relativ großzügige Anerkennungspraxis ist. Das haben Sie etwa bei den Syrern gesehen, die dann zu einer sehr, sehr hohen Quote den Status eines anerkannten Flüchtlings bekommen haben. Das ist etwas günstiger als subsidiärer Schutz, obwohl man sich oft auch die Frage stellen kann, ist das eigentlich berechtigt für alle Personen, dass sie mit einer Quote von mehr als 90 Prozent dann den vollen Flüchtlingsstatus bekommen. Aber wie gesagt, das ist einer von vielen anderen Faktoren. Ein anderer Faktor ist: Muss ich damit rechnen, dass ich abgeschoben werde? Wie sind die Sozialleistungen und so weiter? Das ist alles insgesamt so in einem umfassenden Blick zu sehen, ob man nun die Fluchtentscheidung macht oder nicht macht.
    "Man will etwas zurückdrehen"
    Zagatta: Wenn wir das, was wir jetzt in diesem Gespräch versuchen, das juristisch bewerten, vom juristischen Standpunkt, was sagen Sie da eigentlich zu dem, was Horst Seehofer, der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident, der Bundesregierung vorwirft, dass wir da im Moment eine Herrschaft des Unrechts haben?
    Hailbronner: Ja nun, wir versuchen ja gerade, wieder einigermaßen geregelte Verhältnisse herzustellen. Partiell haben wir eine Nichtanwendung des Rechts gehabt. Das ist überhaupt gar keine Frage. Ich würde das nicht titulieren als Herrschaft des Unrechts. Es war aus politischen Gründen so, zum Teil auch wegen der völkerrechtlichen Vorgaben, Europäische Menschenrechtskonvention, und solange unsere Zahlen von Asylsuchenden relativ gering waren - bedenken Sie: es ist noch nicht so lange her, als die ganzen Vorschriften gemacht worden sind -, da haben wir zwischen 20.000 und 40.000 Asylsuchende gehabt. Das ist heute lächerlich, diese Zahl. Da hat man sich auch nicht so sehr darum gekümmert und hat dann großzügig immer weiter, hat einmal das Recht sozusagen bis zum äußersten Ende großzügig ausgelegt, und selbst dann, wenn eine klare Ablehnung eines Asylgesuchs war, hat man immer weitere Möglichkeiten gehabt, Duldung, Härtefallregelung, Kirchenasyl und und und, was dazu geführt hat, dass letztlich auch die Frage, ob jemand schutzberechtigt ist im rechtlichen Sinne, praktisch keine Rolle mehr gespielt hat. Es war die Erwartung, wenn ich mich aufmachen kann - das haben Sie ja schon gesehen. Man hat das Wunschland erreicht und damit war man in Sicherheit, ganz egal, ob man nun schutzberechtigt war oder nicht. Das will man jetzt ein bisschen zurückdrehen.
    Zagatta: Professor Kay Hailbronner, der Leiter des Forschungszentrums Ausländer und Asylrecht der Uni Konstanz. Herr Hailbronner, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
    Hailbronner: Ja! Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.