Eine Demo gegen das neue Bildungsgesetz in Barcelona. Auf der Plaça de Francesc Macià fahren ein paar Dutzend Autos im Kreis. Manche halten Spanienfahnen aus den Fenstern, andere blaue Pappschilder mit der Aufschrift, "auch auf Spanisch".
"Unsere Kinder haben das Recht, auf Spanisch unterrichtet zu werden, aber in Katalonien ist das nicht möglich", schallt es vom Band. Dann zuckelt der Tross im Schritttempo die Avinguda Diagonal, eine der Hauptverkehrsadern der Stadt, entlang. Die Stimme gehört Ana Losada. Sie hat die motorisierte Demo organisiert.
Dass das neue Bildungsgesetz, das neunte in der Geschichte des demokratischen Spaniens, "Spanisch" nicht explizit als Unterrichtssprache erwähnt, hält Losada für einen gravierenden Rückschritt einer ihrer Meinung nach ohnehin verfehlten Bildungspolitik:
"Das neue Gesetz steht auf Seiten derjenigen, die das Spanische aus der Schule ausschließen möchten. Dabei hatten viele gehofft, dass dieses Gesetz jetzt endlich die Rechte aller Bürgerinnen schützen würde, nicht nur der Katalanisch-, Baskisch- oder Galizisch-Sprechenden. Wir wollten ein Gesetz, das Spanisch im gleichen Maß wie die anderen offiziellen Sprachen Spaniens als Unterrichtsprache garantiert."
Katalanisch soll gefördert werden
In Spanien gibt der Staat zwar den Rahmen der Bildungspolitik vor, die konkrete Ausgestaltung aber obliegt den autonomen Regionen. Im zweisprachigen Katalonien werden seit den 1980er Jahren fast alle Fächer auf Katalanisch unterrichtet: Mathematik ebenso wie Geschichte oder Naturkunde.
"Immersió Lingüistica" nennt sich dieses System, auf Deutsch etwa: Sprachbad. Dadurch sollte die während der Franco-Diktatur aus dem öffentlichen Leben verbannte Regionalsprache wiederbelebt werden. Ziel ist, dass alle Schülerinnen und Schüler nach Ende der Schulpflicht beide Amtssprachen gleichermaßen beherrschen.
Da sich das Katalanische im Vergleich zur Weltsprache Spanisch in der schwächeren Position befindet, müsse es besonders gefördert und geschützt werden, so der Grundgedanke. Das System gilt als Erfolgsmodell: Inzwischen sprechen 85 Prozent der katalanischen Bevölkerung neben Spanisch auch Català, 65 Prozent – vor allem die Jüngeren – geben an, die Sprache auch korrekt schreiben zu können. Doch Ana Losada, die mit ihren Töchtern zu Hause Spanisch spricht, fühlt sich durch diese Politik diskriminiert.
"Als meine Tochter in die Vorschule kam, hat sie die Laute und Schreibweise nur auf Katalanisch gelernt. Fast alle Geschichten, das gesamte Vokabular war auf Katalanisch. Sie kam nach Hause und sagte: "Dieser Tisch ist nicht ‚rojo‘, rot, sondern ‚vermell‘". Und ich habe gesagt: "Nein, dieser Tisch ist ‚rojo‘ und ‚vermell‘: Die Zweisprachigkeit, die es in der Gesellschaft gibt, spiegelt sich in der Schule einfach nicht wider."
Ana Losada hat damals bei der Direktorin protestiert und erreicht, dass an der Schule ihrer Tochter ein Grundlagenfach auf Spanisch unterrichtet wird. Denn dies ermöglicht ein Grundsatzurteil des Verfassungsgerichts von 2010: Wenn Eltern es explizit wünschen, muss mindestens ein Viertel des Stoffes auf Spanisch unterrichtet werden. Losada war die Einzige an der Schule, die mehr Spanisch forderte.
"Im Elternchat hat man mich beleidigt und meine Tochter wurde fast ein Dreivierteljahr zu keinem Kindergeburtstag mehr eingeladen."
Erzählt Losada und schimpft:
"Es geht doch nicht um die Förderung des Katalanischen. Sie wollen einfach das Spanische verdrängen und unsere Kinder dazu zwingen, ausschließlich eine Sprache zu sprechen, die nicht ihre Muttersprache ist. So kontrollieren sie auch die Inhalte: In katalanischen Schulen wird das Bild eines unterdrückerischen Spaniens gezeichnet, das die Rechte der Katalanen immer wieder angreift und verletzt. Das geistige Rüstzeug, das vermittelt wird, entfernt unsere Kinder vom Rest Spaniens."
"Verletzung der Rechte aller Spanierinnen und Spanier"
Als "Demütigung" und "Verletzung der Rechte aller Spanierinnen und Spanier" bezeichnet Inés Arrimadas, die Chefin der rechtsliberalen Ciudadanos, das neue Bildungsgesetz. Die Partei ist fünftstärkste Kraft im spanischen Parlament. Gegründet wurde sie 2006 in Katalonien – aus Protest gegen die katalanische Sprachpolitik.
Als im spanischen Kongress im November vergangenen Jahres das Bildungsgesetz mit knapper Mehrheit angenommen wird, klopfen die Abgeordneten von Ciudadanos gemeinsam mit den Vertretern der konservativen Volkspartei und der rechtsextremen Vox auf die Tische. Einige skandieren "Freiheit", "Freiheit". Dass im neuen Gesetz "Spanisch" nicht mehr ausdrücklich erwähnt wird, ist zwar nur ein Nebenaspekt. Auch in Vorläufergesetzen fehlte der Hinweis auf die Sprache. Aber die wütenden Proteste der Opposition zeigen, wie sehr das Thema Sprache polarisiert.
"In Katalonien können wir seit langem unsere Kinder nicht auf Katalanisch und Spanisch einschulen, weil wir in Spanien seit Jahrzehnten von Parteien regiert werden, die unsere sprachlichen Rechte nicht schützen", so Arrimadas nach der Abstimmung.
"Verletzungen der Sprachrechte der Katalaninnen und Katalanen"
Der katalanische Verein "Plataforma per la Llengua", der sich als "NGO des Katalanischen" versteht, kontert solche Vorwürfe mit dicken Dossiers, in denen er seinerseits die "Verletzungen der Sprachrechte der Katalaninnen und Katalanen" auflistet: Beschwerden über Polizisten, die sich weigern eine Anzeige auf Katalanisch aufzunehmen. Über Unternehmen, deren Kundenbetreuung nur Spanisch spricht. Berichte über Beleidigungen und Beschimpfungen, weil jemand Katalanisch gesprochen hat.
Die Debatte ist nicht neu. Aber seit vor ein paar Jahren die Unabhängigkeitsbewegung zum bestimmenden Faktor der Politik wurde, hat sich der Ton verschärft.
Elvira Riera bedauert diese Entwicklung. Die Soziolinguistin hat die Sprachpolitik der Region von 2004 bis 2011 mitgestaltet und erinnert daran, dass ursprünglich ein breiter gesellschaftlicher Grundkonsens über das Schulmodell bestand.
"Das System sollte in erster Linie die Benachteiligung von Kindern aus zugewanderten Familien verhindern. Denn die Kinder aus spanischsprachigen Familien, die aus dem Rest des Landes zugezogen waren, stammten meistens aus ärmeren Schichten als die katalanischsprachigen Familien, die schon seit Generationen hier lebten. Aber es ging nicht nur um soziale, sondern auch um nationale Rechte: Nach Francos Tod sollte Katalanisch wieder zur legitimen Sprache der Institutionen werden: Man war sich einig darüber, dass das unverzichtbarer Bestandteil der Demokratisierung Spaniens sein musste. Die Kämpfe um soziale und nationale Rechte gingen also Hand in Hand."
Doch das ist lange her. Spanien hat seit 1978 eine demokratische Verfassung, Katalanisch ist – wie auch Baskisch und Galizisch – in den jeweiligen Regionen als Amtssprache längst etabliert. Politische Debatten, Fernsehnachrichten, Rundschreiben über neue Parkverordnungen, Schulzeugnisse: all das gibt es auf Euskera, Galego oder eben Català. Und gerade weil diese Sprachen von den Institutionen so gehegt und gepflegt werden, regt sich Widerstand gegen sie, glaubt Elvira Riera:
"Weil Katalanisch längst Teil des Systems ist, wird die Sprache eben nicht mehr mit dem Kampf um eine gerechte Sache in Verbindung gebracht. Und je mehr Katalanisch als Systemsprache wahrgenommen wird, desto stärker verteidigen diejenigen, die sich damit nicht abfinden wollen, ihr Recht auf Einsprachigkeit."
Der Grund dafür liegt laut Riera im institutionellen Design und im Selbstverständnis Spaniens.
"Der spanische Staat hat sich immer nur mit einer Sprache identifiziert, mit "castellà", mit Spanisch. Er hat seine Vielsprachigkeit nie als Teil seiner nationalen Identität begriffen."
Sprachpolitik als Identitätspolitik
"Eine Sprache, eine Nation!" Beschreibt diese Formel Spaniens Selbstverständnis? In der Verfassung ist das Verhältnis der Landessprachen untereinander in Artikel 3 definiert:
"Kastilisch ist im ganzen Staat die offizielle spanische Sprache. Alle Spanier haben die Pflicht, sie zu kennen und das Recht, sie zu verwenden. Die anderen spanischen Sprachen sind in den jeweiligen autonomen Gemeinschaften gemäß der jeweiligen Autonomiestatute ebenfalls offiziell. Die verschiedenen sprachlichen Modalitäten Spaniens werden als Kulturgut respektiert und geschützt."
Kastilisch als eine von mehreren "spanischen Sprachen", "verschiedene sprachliche Modalitäten": Die etwas schwammige Formulierung ist um Ausgleich bemüht und darum charakteristisch für die spanische Verfassung. In monatelangen Verhandlungen rang man nach Francos Tod um Kompromisse, die die Forderungen der Opposition erfüllen, zugleich die ehemaligen Unterstützer der Diktatur nicht allzu sehr vor den Kopf stoßen sollten.
"Die Verfassungsväter haben darauf verzichtet, Spanisch einen besonderen Symbolcharakter als identitätsstiftende Sprache zu geben. Das war die Antwort auf die damaligen Forderungen des katalanischen, baskischen und – in etwas geringerem Maß – auch des galizischen Nationalismus. Zugleich aber etabliert dieser Artikel die Vorherrschaft des Spanischen im ganzen Staatsgebiet. Es gibt eine ganz klare Hierarchie zwischen der Sprache, die alle kennen müssen und nutzen dürfen – und den anderen Sprachen, für die das nicht gilt", sagt José del Valle, der als Hispanist an der City University New York zu Sprache, Nation, Identität forscht.
Die autonomen Gemeinschaften kompensierten dieses Ungleichgewicht, in dem sie in den Autonomiestatuten ab 1979 die besondere Stellung der Regionalsprache als "lengua propia", als "eigene Sprache" verankerten.
Vor allem in Katalonien und im Baskenland, wo Parteien regierten, die sich Nation und Vaterland groß auf die Fahnen geschrieben hatten, gingen Sprach- und Identitätspolitik ab da Hand in Hand. Sie wurden zum Hebel eigenstaatlicher Ambitionen.
Regionale Sprachen profitieren vom "Sprachbad"-Modell
Folgt man den offiziellen Statistiken, profitierte zumindest die Sprache davon. Im Baskenland sprach Mitte der 1970er Jahre lediglich jeder Fünfte Euskera. Heute sind es über 28 Prozent. Für eine Sprache, die weder aus dem Romanischen noch einer anderen indogermanischen Sprachfamilie stammt, ein beachtlicher Erfolg. Im Baskenland können Eltern wählen, in welcher Sprache ihre Kinder unterrichtet werden sollen. Die Ikastolas, in denen – dem katalanischen Modell folgend – fast ausschließlich auf Baskisch unterrichtet wird, sind am beliebtesten.
Anders in Galizien, wo seit Beginn der Demokratie fast ununterbrochen die konservative Volkspartei Partido Popular das Sagen hat. Vor zehn Jahren hat die Regionalregierung das "Sprachbad"-Modell abgeschafft. An den Schulen wird seitdem zur Hälfte auf der einen, zur anderen Hälfte auf der anderen Sprache unterrichtet. Fächer wie Mathematik oder Physik müssen auf Spanisch unterrichtet werden. 44 Prozent der Jugendlichen geben inzwischen an, nie oder nur sehr selten Galego zu sprechen.
"Die Sprachpolitik in Galizien ist eher von Selbsthass als von Selbstliebe geprägt. Man hat die Besonderheit Galiziens über Käse und Wein, über gastronomische Produkte vermittelt und wie während der Diktatur völlig negiert, was unsere Identität als Land ausmacht. Viele Galizier haben ihre Kinder auf Spanisch erzogen, weil sie sich davon einen sozialen Aufstieg versprachen. Galizisch galt und gilt als Dorfsprache, als Sprache der Armen. Katalanisch dagegen war eine Sprache des Bürgertums", sagt Guadi Galego.
Die Musikerin dichtet und singt seit mehr als zwanzig Jahren in ihrer Muttersprache. Für ihr in allen Sprachen der iberischen Halbinsel gesungenes Album "Immersion" erhielt sie letztes Jahr einen Preis für die "Förderung der vielsprachigen Wirklichkeit Spaniens".
Verliehen wird die Auszeichnung nicht vom Kulturministerium, sondern von den mehrsprachigen autonomen Gemeinschaften. Spanien hat zwar bereits 1992 die Europäische Charta zum Schutz der Regional- und Minderheitensprachen unterzeichnet. In vielen Aspekten aber verstehen sich nicht Staat oder Regierung, sondern die Regionen als Garant für Spaniens Sprachenvielfalt.
In Madrid oder Barcelona tritt Guadi Galego meist vor einem kleinen, treuen Stammpublikum auf. Viele Veranstalter scheuten sich, sie einzuladen, weil sie eben nicht auf Spanisch oder einer anderen Weltsprache wie Englisch oder Französisch singt. "So ist nun einmal der Markt", sagt Galego: Um dessen Regeln zu ändern, brauche es politischen Willen. Doch der fehle.
Spanisch gilt als nützlicher
Für den Soziolinguisten José del Valle ist das bezeichnend. Auch in den Debatten um die Sprach- und Schulpolitik taucht immer wieder der Marktwert der Sprache auf:
"Der spanische Sprachnationalismus geht nicht mehr wie im 19. Jahrhundert von der strukturellen Überlegenheit des Spanischen aus, sondern von dessen Nützlichkeit. Weil so viele Menschen auf der ganzen Welt Spanisch sprechen, ist es den anderen Sprachen überlegen. Fördert man Katalanisch, Baskisch und Galizisch, geht das – so das falsche Argument – auf Kosten des Spanischen. Und das widerspreche dem Gemeinwohl."
Die verfassungsrechtliche Vormachtstellung des Spanischen und eine Unterteilung in nützliche und unnütze Sprachen im öffentlichen Diskurs: Für José del Valle ist das Teil des Problems. Dass sich durch das neue Bildungsgesetz daran etwas ändert, glaubt er nicht.
"Wir sind stolz auf unsere Sprachen. Für uns sind sie Ausdruck der Einheit und nicht Grund für Spaltung."
Mit diesen Worten verteidigte María Luz Martínez Seijo von den spanischen Sozialisten das neue Gesetz im November. Die spanische Linksregierung sieht es auch als Zugeständnis an die Vielsprachigkeit des Landes. Doch um diese Vielsprachigkeit tatsächlich als Wert zu verankern, brauche es sehr viel mehr, so del Valle.
"Spaniens Zivilgesellschaft muss ein neues Bewusstsein für den Wert seiner Vielsprachigkeit entwickeln. Für einen Andalusier, eine Andalusierin darf es nicht mehr unvorstellbar sein, Baskisch oder Katalanisch oder Galizisch zu lernen. Und wie erreicht man so einen Bewusstseinswandel? Natürlich über die Bildung. In den Lehrplänen im gesamten Land müsste die Vielsprachigkeit Thema sein."
Dieser Ansicht ist auch Mercè Vilarrubias. Die Sprachwissenschaftlerin aus Barcelona fordert ein spanienweites Sprachgesetz. Der Staat, nicht die autonomen Gemeinschaften müssten die Sprachpolitik gestalten. Um die Sprache zu entideologisieren, müsse man sie dem Zugriff der nationalistischen Parteien entziehen. Das hat Vilarrubias, selbst katalanische Muttersprachlerin, in ihrer Heimat einiges an Kritik eingebracht.
"In Spanien sind Nationalismen linguistische Nationalismen: Die Sprache ist es, die uns voneinander unterscheidet. Das haben sich die nationalistischen Parteien zunutze gemacht. Die Staatseliten stammen eben überwiegend aus Madrid. Sie sprechen nur Kastilisch und kennen sich mit dem Thema nicht aus. Daher haben sie versäumt, einen eigenen Diskurs zu entwickeln."
Viersprachige Beschilderung aller staatlichen Gebäude, Staatsakte, die grundsätzlich mit Worten in allen offiziellen Sprachen beginnen – das wären für Vilarrubias Ansatzpunkte für einen bewussteren Umgang. Doch allein bei Symbolpolitik dürfe es nicht bleiben.
"Vor allem aber brauchen wir ein Schulfach, in dem die sprachliche Vielfalt des Landes gezeigt wird – nicht als Problem, sondern als Reichtum, als Wert unseres Landes."
Der Streit um Spaniens Sprachen; er muss auch da beigelegt werden, wo er am lautesten ausgefochten wird – in der Schule. Bisher sind es nur wenige, die in dem polarisierten Land Spaniens Vielsprachigkeit als gemeinsamen Wert verteidigen. Doch immerhin: Es gibt diese Stimmen.