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Neues Buch von Navid Kermani
Versöhnung mit dem Christentum

In seinem neuen Buch wirbt Friedenspreisträger Navid Kermani um Verständnis für das Christentum, um Sachkenntnis, um Ehrfurcht - ohne selbst Christ zu sein. Kermani zeigt ein schillerndes, ambivalentes Christentum, das nicht allein erfüllt ist von Nächstenliebe und Barmherzigkeit, sondern auch von Schmerzenslust, Selbstüberschätzung und Weltverachtung.

Von Christiane Florin |
    Der Schriftsteller Navid Kermani.
    Der Schriftsteller Navid Kermani. (picture alliance / dpa / Thomas Frey)
    "Danke Deutschland", sagte Navid Kermani im vergangenen Jahr im Bundestag. Er dankte im Namen der vielen, die wie seine Eltern vor Jahrzehnten als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Kermani ist Islamwissenschaftler und Schriftsteller, aber vor allem ist er Versöhner und Versteher. Er verbindet Koran und Kafka, er sucht im Fremden das Eigene und im Eigenen das Fremde. Er versöhnt, ohne zu beschönigen. Auch dafür bekommt er in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
    Sein neues Buch versöhnt das Christentum mit Deutschland. Kermani deutet darin sakrale Kunstwerke, bekannte und weniger bekannte. Deutschland und das Christentum versöhnen - ist das nötig? Das Christentum ist sogar Kirchenmitgliedern fremd geworden. Schuld, Erlösung, Leid, Sünde, Opfer, die Begriffe sind im Alltag noch da, aber sie sind religiös entkernt. Kermani füllt sie in diesem Buch wieder auf. Der Kölner schwärmt besonders für den Katholizismus:
    "In Rom wurde ich ... neidisch aufs Christentum, ... wenn ich den Gedanken der Inkarnation in nur einem Menschen nicht für grundverkehrt hielte und speziell die katholische Vorstellungswelt mir nicht so heidnisch vorkäme, mich die Ordnung nicht abstieße, die alle und eben auch die menschlichen Verhältnisse hierarchisiert, die Demonstration von Macht in jeder katholischen Kirche, dazu die bis in den Blutrausch reichende Leidensvergötterung, womöglich hätte ich mich seinen Praktiken nach und nach angeschlossen, hätte die lateinische Messe besucht und wäre mit Pausen in den Singsang eingefallen, wenngleich anfangs mehr aus ästhetischen Gründen, vielleicht auch aus Faszination für die beispiellose Kontinuität einer Institution, die aus Gottes Angehörigen eine Gemeinschaft bildet."
    Kermani bestaunt das Christentum nicht nur. Er wirbt um Verständnis, um Sachkenntnis, ja um Ehrfurcht, ohne selbst Christ zu sein. Damit ist er nicht allein: Es ist in der Kulturszene en vogue, zu bewundern, ohne zu bekennen. Kermani macht es sich schwerer als die reinen Ästheten. Auf seiner Reiseroute hält er für das Schöne, kunstkanonisch Abgesicherte an. Aber er registriert auch das Schreckliche und Hässliche. Er setzt sich zum Beispiel vors pummlige Jesuskind aus dem Berliner Bode-Museum und spekuliert:
    "Jesus könnte ein Rotzlöffel gewesen sein, ein Ungeheuer von einem Kind, mit Wunderkraft ausgestattet, ja, die er jedoch voller Arglist einsetzt. Ich fürchte, man wird meinen, ich lästere Jesus nun selbst. Dabei ist es keine Lästerung und die Arglist ein Attribut, das Gott ebenfalls zugesprochen wird."
    Es ist auch ein politisches Buch
    Die Gliederung des Buches ist poetisch bis rätselhaft. Kermani liebt zwar lange, ornamentale Sätze. Die Kapitel sind jedoch mit nur einem einzigen Wort oder einem Namen überschrieben. Sie heißen zum Beispiel Schönheit, Kreuz, Klage, Kain, Judith, Ursula I, Ursula II, Lust I, Lust II. Gäbe es da nicht die gelegentliche Beschreibung höchst irdischer Bedürfnisse – etwa die Suche nach einer Toilette in Kunstwerknähe: Jedes Kapitel wäre eine Bildmeditation. Das Buch enthält einige von Kermanis Reportagen, etwa über das Kloster Mar Musa in der syrischen Wüste, aber in ihrem journalistischen Ton wirken sie wie Fremdkörper.
    Immer wieder zieht der Orientalist Verbindungen zwischen Islam und Christentum. Franz von Assisi, Vorbild des aktuellen Papstes, preist er als kundigen Koranleser, der niemals der Kreuzzugsversuchung erlag.
    "Franziskus allein widerstand. ... Während die christliche Welt allein zu Franziskus' Lebzeiten nicht weniger als drei Kreuzzüge gegen die Sarazenen führte, marschierte er selbst ohne Waffen, ohne jeden Schutz, auch ohne Geld oder Besitz mit nur einem, ebenfalls barfüßigen Bruder ins Lager des Sultans al-Malik al-Kamil, des Feindes und Antichristen, und rief in offenbarer Kenntnis des islamischen Salam alaikum: "Der Herr gebe euch Frieden."
    An anderer Stelle knüpft der Autor erstaunliche Bande zwischen Christentum und Sufismus:
    "Jesus ist der Liebende - nicht nur im Christentum, noch zugespitzter, schillernder im Sufismus, der unter allen Propheten Jesus zur Verkörperung der mystisch-erotischen Liebe erklärt. Bis hin zum Attribut des Christus, das der Koran und selbst die Alltagssprache Jesus zubilligt, ..., ließe sich mit einiger Berechtigung von einem eigenen, islamischen Christentum sprechen, das die Evangelien jedenfalls nicht eigenwilliger deutet als manche christliche Theologie."
    Unmittelbar integrationspolitisch verwertbar sind diese Erkenntnisse nicht, und dennoch ist es ein politisches Buch. Wie unbequem Kunstbetrachtungen werden können, erfuhr Kermani vor sechs Jahren. 2009 wäre ihm fast der Hessische Kulturpreis vorenthalten worden, weil er in einem Artikel über ein Gemälde von Guido Reni angeblich das Kreuz angegriffen habe.
    Danke, Navid Kermani
    In diesem Buch schreibt Navid Kermani mehrfach über das Kreuz, nicht nur über das Reni-Gemälde, auch über eine Stahlskulptur in Kreuzform auf seinem Schreibtisch. Wieder betont er seine Ablehnung:
    "Nicht, dass ich die Menschen, die zum Kreuz beten, weniger respektiere als andere betende Menschen. Es ist kein Vorwurf. Es ist eine Absage. Gerade weil ich ernst nehme, was es darstellt, lehne ich das Kreuz rundweg ab. ... Ich kann im Herzen verstehen, warum Judentum und Islam die Kreuzigung ablehnen. ... Sie tun es ja höflich, viel zu höflich, wie mir manchmal erscheint, wenn ich Christen die Dreifaltigkeit erklären höre und dass der Mensch der Erlösung bedürfe, weil er in Sünde geboren sei. Der Koran sagt, dass ein anderer gekreuzigt wurde. Jesus sei entkommen. Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie."
    "Weil ich es ernst nehme", das ist der Schlüsselsatz. Kermani zeigt ein schillerndes, ambivalentes Christentum, das nicht allein erfüllt ist von Nächstenliebe und Barmherzigkeit, sondern auch von Schmerzenslust, Selbstüberschätzung und Weltverachtung. Es hatte Mäßigung und Relativierung nötig, um ins Grundgesetz-Deutschland integrierbar zu sein.
    Protestanten müssen bei der Lektüre tapfer sein. Luther wird nur achtmal erwähnt. Die prüden evangelischen Christen des Siegerlandes überzieht der in Siegen geborene Autor mit sanftem Spott. Aber wer neugierig ist aufs fremdgewordene, eigene Christentum dürfte seufzen: Danke, Navid Kermani.
    Navid Kermani: "Ungläubiges Staunen. Über das Christentum". C.H. Beck Verlag, 303 Seiten, 24, 95 Euro.