Vier Jahre lang haben Peter Hutchison, Kelly Nyks und Jared P. Scott den Linguisten und linken Gesellschaftstheoretiker Noam Chomsky immer wieder zum Interview gebeten. Das Ergebnis: ein 75-minütiger Dokumentarfilm mit dem Titel "Requiem for the American Dream", in dem Chomsky vornehmlich die verheerenden Auswirkungen ökonomischer Ungleichheit auf die demokratischen Strukturen und Willensbildungsprozesse analysiert.
Der Film, der 2016 seine Premiere hatte, ist auf schöne Weise altmodisch: Er ist ganz fokussiert auf die Ausführungen Chomskys, der in ruhigem Ton und großer Faktenkenntnis von einer ungeheuerlichen sozialen Schieflage in einem der reichsten Länder der Welt berichtet. Zwar sind manche der Gesprächspassagen noch vor dem folgenreichen US-Wahljahr 2016 entstanden – gleichwohl lassen sie sich fast alle ohne große Mühe darauf beziehen. Der Film wurde nun in ein Buch verwandelt. Man merkt der Publikation den ursprünglich mündlichen Vortrag noch an – was ihrer Absicht entgegenkommt. Sie vermittelt so deutlich, ohne akademisches Pfauengehabe und überzeugend einfach Chomskys Botschaften: Der amerikanische Traum war in seinen Augen schon immer ein Mythos. Mehr denn je aber ist die soziale Mobilität, die wider besseres Wissen von jedem Politiker propagiert wird, heute komplett zum Erliegen gekommen.
"Die Konzentration von Reichtum führt zu Konzentration von Macht, insbesondere wenn die Kosten für Wahlen immer mehr in die Höhe schießen, was die politischen Parteien zunehmend in die finanzielle Abhängigkeit von Großunternehmen treibt. Deren so gewonnene politische Macht schlägt sich alsbald in Gesetzen nieder, die die Konzentration von Reichtum unterstützen."
Kontrolle über Politik und Allgemeininteresse behalten
In zehn Kapiteln schildert der Autor Prinzipien, die von den "Herrschenden" angewandt werden, um die Kontrolle über die Politik und damit über das Allgemeininteresse zu behalten. Schon einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, James Madison, hat als wichtigste Aufgabe einer Gesellschaft angesehen, die "Minderheit der Reichen gegen die Mehrheit zu schützen". Dieses Muster ziehe sich durch die Geschichte der Vereinigten Staaten.
Der Widerstreit zwischen demokratischer Teilhabe und dem Machtinteresse vor allem der Geldeliten prägt, so Chomsky, eine liberale Gesellschaft wie jene der USA zutiefst. Die emanzipatorischen Bewegungen der sechziger Jahre seien spätestens seit den 70ern durch eine Großoffensive der Wirtschaft zurückgedrängt worden: Die Aufkündigung kontrollierter Wechselkurse unter Nixon, die neoliberale Mobilmachung der Reagan-Jahre, die Entfesselung des Finanzspekulantentums unter Clinton – all das habe dazu beigetragen, dass sich die USA in eine Plutonomie verwandelt hätten, in eine Volkswirtschaft also, deren Wachstum von den Superreichen angetrieben wird: Sie sind die Hauptkonsumenten und ihnen alleine fließt der Wohlstand zu. Steuern für die Wohlhabenden werden gesenkt; die Lasten tragen andere. Die Wirtschaft und die etablierte Politik verstünden es gut, in vielen Bereichen Entsolidarisierung zu befördern – und den Hass auf Schwächere oder Fremde zu schüren. Die Republikaner tituliert Noam Chomsky als "gefährlichste Organisation der Weltgeschichte".
Die Republikanische Partei dient sich den Reichen und den Konzernen so sehr an, dass sie gar nicht mehr darauf hoffen kann, mit ihrem tatsächlichen Programm Wählerstimmen zu erhalten. Deshalb hat sie sich darauf verlegt, Bevölkerungsgruppen zu mobilisieren, die es immer schon gab, die sich aber bisher nicht als politische Kraft organisiert und zu einer Koalition zusammengeschlossen haben: Evangelikale, Einwanderungsgegner, Rassisten und die Opfer einer Globalisierung, die die Arbeitnehmer weltweit zu Konkurrenten macht und gleichzeitig die Privilegierten schützt."
Fadenscheinige Rhetorik des Neoliberalismus
Chomsky beschreibt die Ideologie des Neoliberalismus, die eng mit den Republikanern verbunden ist, als fadenscheinige Rhetorik: Die Freiheit des Marktes gelte eben nur für die kleinen Leute, die sich eigenständig versichern und mit von ihnen nicht verantworteten Problemen selber fertig werden müssen. Nach dem Staat aber werde von den Hardcore-Anhängern des Neoliberalismus umso lauter gerufen, wenn es darum gehe, fremde Märkte militärisch zu sichern oder – wie in der Finanzkrise – jene Banken zu sanieren, die den Schlamassel erst verursacht haben.
Die Gegner Noam Chomskys verweisen gerne auf dessen einseitige Kritik an den USA oder werfen ihm Vereinfachung komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge vor. Tatsächlich sind aber viele Probleme gar nicht so kompliziert, wie deren Verursacher es glauben machen wollen: Rhetorische Nebelkerzen als solche zu benennen und Propaganda zu entlarven gehört schon seit den sechziger Jahren zu Chomskys liebster Übung, und er scheint auch in gesetzterem Alter keinen Deut nachgiebiger oder versöhnlicher zu werden. Gut so: Es braucht nämlich eine redliche Stimme, die zuspitzt und immer wieder auf oftmals ausgeblendete gesellschaftliche Konfliktlinien verweist.
Chomsky: der unverbesserliche Optimist
Für diejenigen, die Noam Chomskys gesellschaftspolitische Einwürfe und Bücher in den letzten Jahren und Jahrzehnten verfolgt haben, dürfte "Requiem für den amerikanischen Traum" kaum elementare Neuigkeiten bereithalten. Aber eine Ermutigung ist dieser Kritiker des American Way of Life auch mit diesem Buch. Und trotz seiner düsteren Diagnosen bleibt er ein unverbesserlicher Optimist:
"Es kann viel getan werden, wenn die Menschen sich organisieren, für ihre Rechte kämpfen, wie sie es in der Vergangenheit getan haben, und wir können noch viele Siege erringen."