Pipetten saugen, Zentrifugen sausen, Zellsorter klicken im Labor an der Berliner Universitätsklinik Charité. Aber das wichtigste Labor-Gerät für die Entwicklung des Tests auf das neue Corona-Virus 2019-nCoV war schlicht ein Kühlschrank, erklärt Professor Christian Drosten. Denn hier bewahrt der Leiter des Instituts für Virologie der Charité Proben von Viren vergangener Krankheitsausbrüche auf. Christian Drosten hat schon das SARS-Virus mitentdeckt, er ist ein renommierter Experte für Corona-Viren und hat über Kontakte zu Forschern in China schon früh von dem neuen Virus erfahren.
"Bereits zwischen Weihnachten und Neujahr ging das los, dass hier die erste informelle Information ankam. Und wir haben uns dann natürlich gleich daran gemacht, das zu machen, was wir besonders gut können: In sehr kurzer Zeit diagnostische Testverfahren entwickeln. Und dann vor allem auch weltweit verfügbar machen."
Renommierter Virologe mit frühem Verdacht
Anfangs war noch gar nicht klar, um welche Art von Erreger es sich überhaupt handelt. Der erfahrene Virologe hatte aber einen Verdacht: "Ja wir haben uns tatsächlich auf so ein paar Indizien verlassen. Wir haben aus sozialen Medien Informationen gehabt, dass das ein SARS-ähnliches Virus sein könnte und wir haben dann eins und eins zusammen gezählt."
Im Computer in Berlin sind die Sequenzdaten zahlreicher Coronaviren gespeichert. Mit ihrer Hilfe entwarfen die Berliner Forscher sozusagen im virtuellen Raum Tests für ein Virus, von dem sie noch kaum etwas wussten:
"Und als dann so eine Zeit später die Kollegen aus China die erste Genom-Sequenz öffentlich gestellt haben von diesem neuen Virus, haben wir das natürlich mit all unseren Kandidatentests verglichen, die besten herausgesucht und mit denen weitergearbeitet."
Christian Drosten fährt den Computer hoch und sucht die passenden Dateien. Exakt übereinander angeordnet stehen die Gs, As, Ts, und Cs - die Abkürzungen für die DNA-Bausteine der Virengenome.
"Was Sie hier in der oberen Zeile sehen, sind die sehr großen Übereinstimmungen von SARS-Corona-Virus und diesem neuen Virus an den Stellen, wo die Moleküle andocken, die wir in dem Test benutzen. Und sie sehen hier die Abweichungen: Das sind auch nur Buchstaben, die hier eingetragen sind, in verwandten Viren aus Fledermäusen. Zum Teil aus Europa und zum Teil auch aus China."
Mit den DNA-Daten aus China wurde der Test weiter verfeinert
Fledermäuse gehören zu den natürlichen Wirten der Corona-Viren. Die Forscher guckten zunächst nach Sequenzen, die typisch für bereits bekannte Corona-Viren sind, die Menschen infizieren, wie etwa SARS und MERS. Für jeweils zwei dieser spezifischen DNA-Abschnitte konstruierten sie passende Sonden. Wenn die an ein Virusgenom binden, lässt sich das Stück dazwischen mit Hilfe der Polymerasekettenreaktion massiv vermehren und dann nachweisen. Befindet sich kein entsprechendes Virus-Erbgut in der Patientenprobe, dann passiert nichts. Dank der neuen Sequenz aus China konnte der Test weiter verfeinert werden. Wie beim Schwangerschaftstest gibt es jetzt zwei Streifen, beziehungsweise hier zwei Farben, die die PCR-Maschine anzeigt.
Charité-Forscher: "Beim Wuhan-Virus leuchtet es in zwei Farben gleichzeitig"
Christian Drosten: "Im Prinzip haben wir einen grauen Kasten, der steht auf der Laborbank, darin spielt sich die Reaktion ab in sehr, sehr kleinen Volumina, so ungefähr ein Viertel eines Wassertropfens. Und dann sehen wir die Ergebnisse am Computer. So nach dem Motto, wenn die Positivkontrolle funktioniert hat, dann leuchtet es nur in einer Farbe. Wenn das Wuhan-Virus drin ist, dann leuchtet es in zwei Farben gleichzeitig."
Das war zumindest der Plan für den Test, denn noch war er ja virtuell. Denn alles beruhte ausschließlich auf Informationen, auf DNA-Sequenzen. Kein einziges Viruspartikel kam aus China nach Berlin. Aber auch ein im Virtuellen entwickelter Test muss sich in der Realität bewähren. Und da kam der Kühlschrank ins Spiel. Die Forscher aus Berlin holten sich - zusammen mit Kollegen aus Rotterdam und London - alte Proben von Patienten mit bekannten Atemwegserkrankungen und probierten daran den neuen Virentest aus. Wie erwartet reagierte er weder bei Grippeviren, noch bei Adenoviren, Enteroviren oder anderen Erregern. Damit war klar: Der neue Test schlägt nicht fälschlich Alarm. Das ist das erste wichtige Kriterium für einen guten Test. Das zweite lautet natürlich: Erkennt der Test auch wirklich den gesuchten Erreger?
Lackmus-Test erfolgte in China - und überzeugte die WHO
"Wir haben diesen Test Kollegen in China zur Verfügung gestellt, deren Namen ich jetzt nicht nennen kann. Und die haben das für uns getestet und uns gesagt, dass es gut funktioniert."
Das hat auch die Weltgesundheitsorganisation überzeugt, die den Berliner Test auf ihrer Internetseite als ersten überhaupt vorgestellt hat. In China selbst wurde parallel ebenfalls ein Test entwickelt und im Land verteilt, aber bei den südostasiatischen Nationen gibt es großes Interesse an dem Test von Christian Drosten. Und auch aus Europa gibt es viele Anfragen. Über achtzig Bestellungen sind eingegangen, auf dem Flur stapeln sich wattierte Umschläge mit den Reagenzien - finanziert übrigens von Fördermittel der EU. Wo immer ein Reisender aus Wuhan mit Atembeschwerden und hohem Fieber ankommt, kann der neue Test eingesetzt werden. In Europa und Deutschland wird das Diagnosewerkzeug wohl vor allem zur Beruhigung beitragen, vermutet Christian Drosten.
"Naja, wir sind ja in der Influenza-Saison auf der Nordhalbkugel. Das heißt, alle diese Patienten, die jetzt kommen und sagen: 'Ich war in Wuhan und mir geht's schlecht' - die haben immer noch mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Influenza-Virus oder auch ein anderes Atemwegsvirus als jetzt dieses neue Virus. Das muss man ja voneinander unterscheiden. Und das kann man nicht mit der klinischen Blick-Diagnose - aber mit einem Labortest."
In Südostasien dagegen wird der Test helfen, die Ausbreitung der Infektion zu verfolgen. Denn nach wie vor steigen die Fallzahlen - und es lässt sich schwer abschätzen, wie groß die Bedrohung tatsächlich ist.