Ann-Kathrin Büüsker: Tausende Kinder und Jugendliche gehen auch heute wieder in Deutschland für eine bessere Klimapolitik auf die Straße – bei den Fridays for Future. Nächste Woche ist ein europaweiter Aktionstag geplant. Schon jetzt sind in Deutschland deutlich über 100 Kundgebungen angekündigt. Und nicht nur dafür geht die Jugend auf die Straße; diese Woche kam es auch recht spontan zu Demonstrationen gegen die Urheberrechtsreform der Europäischen Union. Tausende mobilisierten gegen die Einführung von Upload-Filtern, nachdem es hieß, die Abstimmung darüber könne vorgezogen werden. Hier soll es am 23. März einen großen Aktionstag geben, um das Europaparlament dazu zu bringen, die Urheberrechtsreform so nicht zu verabschieden.
Deutschlands Jugend ist auf der Straße. Diejenigen, die als unpolitisch galten, die engagieren sich plötzlich. Und die Politik reagiert mit Mahnungen, die Schulpflicht einzuhalten, an die Klimademonstrantinnen und Vorwürfen, sie seien von Google gesteuert, gegen die Urheberrechtskritiker. Ist das Ausdruck eines Generationenkonfliktes? – Darüber möchte ich jetzt mit Saskia Esken sprechen. Für die SPD sitzt sie im Bundestag, dort unter anderem im Ausschuss für die digitale Agenda. Sie ist studierte Informatikerin und hat als eines ihrer politischen Kernthemen eine gerechte Zukunft als Ziel. – Guten Morgen, Frau Esken!
Saskia Esken: Guten Morgen, Frau Büüsker!
Büüsker: Deutschlands Jugend trommelt für die eigene Zukunft. Wieso bekommt sie dafür so viel Missbilligung von der Politik?
Esken: Die Politik ist natürlich von den Zeiten, in denen sie selbst demonstriert hat, vielleicht mal schon einigermaßen entfernt. Ich selbst war in meiner Jugend viel auf der Straße gegen rechts, für den Frieden, gegen Atomkraft, und wir haben auch damals nicht unbedingt zurückgespielt bekommen, dass wir ganz viel Einfluss haben. Und dennoch: Ich war vor ein paar Tagen bei dieser Demonstration gegen Artikel 13. Da war ich beeindruckt, mit welcher Begeisterung und mit welcher Zuversicht auch die jungen Leute da herangehen, und habe mich auch erinnert gefühlt an ACTA, wo auch ganz viele junge Leute unterwegs waren, die bestimmt vorher noch nie demonstriert hatten und die auch mit Politik nicht viel am Hut hatten und die gelernt haben, hey, wenn wir uns zusammentun, europaweit noch dazu – und das ist ja heute durch Flashmobs und Hashtags, die aufrufen zu einer gemeinsamen Sache, auch gut möglich -, dann können wir was bewegen.
"Das ist tatsächlich eine Verleumdung"
Büüsker: Der CDU-Europaabgeordnete Sven Schulze, der hat denjenigen, die ihm wegen dieser Urheberrechtsreform ihre Sorgen per E-Mail geschildert haben, vorgeworfen, sie seien von Google gesteuerte Fake-Accounts. Ist das ein bisschen Sinnbild für die Entfremdung zwischen Politik und Bürgerinnen?
Esken: Das ist tatsächlich eine Verleumdung. Das kann man wirklich nicht anders bezeichnen. Das ist einfach Teil auch dieser Lobby-Schlacht, die um Artikel 13 und Artikel 11 geschlagen wird. Das hat jetzt nichts mit Generationen zu tun, sondern da geht es darum, ein Argument zu diskreditieren.
Büüsker: Und trotzdem hat man ja das Gefühl, dass gerade beim Thema Digitalpolitik viele Politikerinnen und Politiker auch einfach ziemlich weit weg sind vom Thema. Wie ist da Ihr Eindruck?
Esken: Das ist natürlich wiederum vielleicht schon eine Generationenfrage, obwohl ich auch eher zur Mütter- oder bald Oma-Generation gehöre und mitten drin bin. Aber es ist natürlich schon ein Konflikt, wie auch die Kanzlerin sagte, zwischen denen, die eher die traditionelle Welt vertreten – so hatte sie jetzt, glaube ich, gesagt -, und ihrem berühmten Begriff des Neulands. Das ist schon richtig, ja.
Büüsker: Also eher eine Frage des persönlichen Lebensstils als der Generationen?
Esken: Drin zu sein und auch zu verstehen, wie die Welt heute funktioniert, das ist nicht jedem gegeben. Ganz offensichtlich, ja.
Büüsker: Aber müssen Sie nicht auch zugeben, dass Politik für junge Leute machen sich eigentlich nicht lohnt, weil es davon schlichtweg nicht so viele gibt, die einen wählen können?
Esken: Das glaube ich eigentlich nicht. Ich glaube, dass es sich sehr wohl lohnt, Politik zu machen, sei es nun außerparlamentarisch auf der Straße oder in den Parlamenten. Wir haben mittlerweile zumindest in meiner Fraktion, aber auch in den anderen Fraktionen auf meiner Seite des Parlaments eine ganze Menge junger Leute, die dort auch Einfluss nehmen können, und Politik machen lohnt sich auf jeden Fall. Ich freue mich jedenfalls.
Büüsker: Trotzdem macht die SPD ja gerade mit der Grundrente, die dann steuerfinanziert sein wird, eigentlich eher Klientelpolitik für ältere Leute.
Esken: Generationengerechtigkeit muss schon sein und Menschen, die 35 Jahre lang gearbeitet haben und geackert haben, die haben einen Anspruch darauf, dass sie im Alter nicht in Armut fallen. Ich glaube, das verstehen auch junge Leute. Auch junge Leute haben Omas und Opas.
"Grundrente möchte ich nicht gegen Upload-Filter aufgerechnet sehen"
Büüsker: Aber wie wollen Sie diesen jungen Leuten erklären, dass auf der einen Seite Politik gemacht wird für die Älteren und auf der anderen Seite aus Sicht derjenigen, die jetzt auf die Straße gehen, das Internet zerstört wird? Denn eigentlich steht ja auch im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union, dass es keine Upload-Filter geben soll. Wie erklären Sie diesen Menschen, dass Katarina Barley als SPD-Justizministerin diesen Upload-Filtern trotzdem jetzt erst mal zugestimmt hat?
Esken: Die Zustimmung von Frau Barley war auf der Grundlage einer Entscheidung in der Regierung, die die Kanzlerin mit ihrer Richtlinienkompetenz getroffen hat. Das ist schwer zu erklären, solche Zusammenhänge, und dass man dann nicht hinschmeißt und sagt, gut, dann macht euren Mist alleine, ist auch schwer zu erklären. Klar! Dennoch: Die Grundrente möchte ich nicht gegen die Upload-Filter aufgerechnet sehen. Das ist nicht die eine Seite und die andere Seite der Medaille. Denn die Upload-Filter kosten ja kein Geld und müssten jetzt eingespart werden, damit man die Grundrente finanzieren kann. Ich glaube, das ist ein bisschen ein schiefes Bild. Dass die jungen Leute das Gefühl haben, sie werden nicht gehört, das kann ich sehr gut nachvollziehen. Da gibt es aber wirklich Mittel und Methoden, sich auch Gehör zu verschaffen. Wir haben das auch mit dem Hambacher Forst erlebt. Da waren auch eine ganze Menge junger Leute unterwegs und die haben mit diesem Symbol ja den Kohleausstieg maßgeblich vorangetrieben.
Büüsker: Wäre es vor diesem Hintergrund dann vielleicht auch denkbar, dieses Gesetzesvorhaben zu verschieben, oder die Urheberrechtsreform zwar zu verabschieden, aber Artikel 13 erst mal auszuklammern, weil ja offensichtlich noch ein großer Diskussionsbedarf besteht?
Esken: Ja. Ich war nicht auf der Straße, um junge Leute zu beobachten, sondern ich war auf der Straße, weil ich dafür bin, dieses Vorhaben zu verschieben und noch mal zu diskutieren. Ich bin auf jeden Fall eine, die den Artikel 13 übrigens genauso wie Artikel 11 ablehnt.
"Junge Leute können mit 16 sehr gut entscheiden"
Büüsker: Nun haben Sie gesagt, Sie haben den Eindruck, dass die jungen Menschen auf der Straße schon etwas bewegen können, dass die auch lernen, dass sie auf diese Art und Weise Politik beeinflussen können. Vor diesem Hintergrund und auch mit Blick auf die Fridays for Future ist ja eine Debatte in Gang gekommen mit Blick auf das Wahlrecht. Katarina Barley – ich hatte sie eben schon angesprochen – hat zum Beispiel ins Spiel gebracht, dass man das Wahlalter herabsetzen könnte auf 16 Jahre. Wie stehen Sie dazu?
Esken: Ich bin der Meinung, dass junge Leute mit 16 sehr gut entscheiden können, wen sie wählen und wer sie im Parlament vertreten soll. Insbesondere, wenn man daran denkt, dass viele ja in diesem Alter die Schule abschließen, in dem Alter auch Politikunterricht genießen. Und wenn dann die erste Wahl kommt, wo man tatsächlich auch sein Verständnis einsetzen könnte, das man da gewonnen hat, dann sind einige Jahre vergangen. Da ist eine große Lücke dazwischen. Nicht zufällig am 18. Geburtstag findet die erste Wahl statt. Insofern kann ich das nur befürworten. Wir haben in Baden-Württemberg das Wahlalter in der Kommunalwahl auf 16 gesenkt und das ist eine sehr gute Entscheidung gewesen.
Büüsker: Aber den Führerschein darf man auch erst mit 18 machen.
Esken: Na gut. Das sind ganz andere Fähigkeiten, die da zum Tragen kommen. Da kann man sicher auch drüber nachdenken, aber das sind jetzt ganz unterschiedliche Dinge, finde ich.
"Im Klimawandel gibt es eine ganze Menge zu tun"
Büüsker: Die Demonstrantinnen, die bei den Fridays for Future auf die Straße gehen, die sagen, an die Politik und auch an die "Erwachsenen" gerichtet: "Eure Untätigkeit zerstört unsere Zukunft." – Was müssen Sie als Politikerin tun, damit das nicht passiert?
Esken: Im Klimawandel gibt es natürlich eine ganze Menge zu tun und da gibt es auch noch mal ganz andere Widerstände als jetzt beim Thema Upload-Filter. Da steht unsere Bequemlichkeit dagegen, da steht unser Lebensstil dagegen, da steht auch geübte industrielle Entwicklung dagegen, die wir anders leben müssen, natürlich der Verkehrssektor, der sich verändern muss und wo es viele Widerstände auch von der Wirtschaft natürlich gibt. Das ist eine große Nummer. Der Kohleausstieg ist da, glaube ich, jetzt im Vergleich zum Umbau des Verkehrssektors, weg vom Auto und vor allem weg vom Individualverkehr, eine kleine Nummer, und wir dachten, es wäre eine große Schraube, an der wir da drehen. Der Klimawandel ist wirklich ein großer auch gesellschaftlicher Umbau.
Büüsker: Und ich meine, Ihre Partei, die hat es ja theoretisch und auch ganz praktisch in der Hand, daran mitzuwirken, weil Ihre Partei die Umweltministerin stellt, die auch gerade an einem Klimaschutzgesetz arbeitet. Was muss denn da tatsächlich aus Ihrer Sicht drinstehen, damit die Zukunft der Jugendlichen, die jetzt auf die Straße gehen, gerettet werden kann?
Esken: Ich sagte es gerade. Wir haben ja die Klimaschutzziele für 2020 verpasst. Das wussten wir 2018, als wir den Koalitionsvertrag geschlossen haben. Da war schon klar, das wird nicht zu schaffen sein. Deswegen: Umso dringender müssen wir die Maßnahmen, auch die Maßnahmenschrauben andrehen, um 2030 zu erreichen. Und wir müssen die Ziele noch mal schärfen. Wie gesagt, dazu gehört maßgeblich der Verkehrssektor. Ich fahre zum Beispiel seit einigen Jahren elektrisch. Ich weiß aber, dass das eine Sache ist, die sich nicht jeder leisten kann und wo auch nicht für alle schon die Infrastruktur vorhanden ist. Da müssen wir Möglichkeiten finden, um auch allen persönlich zu ermöglichen, ihren Beitrag zu leisten. Aber von der Politik her müssen da auch entsprechende Richtwerte und Grenzwerte, auch was die Autoindustrie anbelangt, beispielsweise kommen, um da was zu bewegen. Mit der Heizung in den Gebäuden hat man zumindest bei den Neubauten und bei Umbauten ja schon einiges vorgeschrieben, was da Veränderungen mit sich bringt. Aber auch da ist es so, genauso beim Strom: Je höher wir die Schraube drehen, desto weiter steigen natürlich die Preise. Wir müssen auch sehen, dass wir die Sachen sozial gerecht gestalten, damit auch jeder mitkommt.
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